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Wenn Mediziner Schlange stehen

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Vervierfacht hat sich in den vergangenen vier Jahren in Wien die Zahl der Medizinstudenten, die auf einen Ausbildungsplatz warten. Eine Jobbörse möchte Abhilfe schaffen.

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Vervierfacht hat sich in den vergangenen vier Jahren in Wien die Zahl der Medizinstudenten, die auf einen Ausbildungsplatz warten. Eine Jobbörse möchte Abhilfe schaffen.

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Der Ansturm auf die im Ausbildungsweg eines jeden Arztes vorgeschriebene Turnusausbildung in Wiens Spitälern ist gigantisch. Während pro Jahr nur etwa 200 bis 250 neue Ausbildungsplätze frei werden, drängen jährlich 700 frische Absolventen auf die Listen. In den vergangenen vier Jahren ist die Zahl der Wartenden von 462 auf mehr als 2000 angestiegen; die Wartezeit - derzeit vier Jahre - wird bald an die acht Jahre betragen.

Stauen sich auf Wiens Wartelisten die fertig promovierten Mediziner, so stehen in den Wartezimmern der Ärzte in manchen Teilen Österreichs die Patienten bis auf die Straße. Viele Regionen, wie etwa das Waldviertel, sind vor allem mit Fachärzten unterversorgt.

Gibt es nun zu viele Studenten, zu viele oder zuwenig Ärzte oder zuwenig Geld? Manfred Matzka, Sekretär des für Gesundheitsfragen zuständigen Ministers Franz Löschnak: „Österreichs Position bei der medizinischen Versorgung liegt im oberen Mittelfeld, doch gibt es Probleme der Verteilung. Viele Mediziner sind nicht bereit, in ländlichen Regionen oder auch in bestimmten Fachgebieten tätig zu werden. Und das, obwohl die Krankenkasse prinzipiell bereit wäre, zusätzliche Verträge abzuschließen.”

Hier liegt ein grundsätzliches Problem: Die Kassen und Krankenhausträger können ihr Gesamtbudget nicht erhöhen. Daraus folgt, daß die Ärzteschaft zugunsten dichterer medizinischer Versorgung Einkommensverluste hinnehmen müßte. Was bisher von der Ärztekammer erfolgreich verhindert wurde: „Sie werden verstehen, daß die Interessenvertreter der Ärzte gegen eine derartige Lösung Einspruch erheben”, gibt auch Romeo Reichel, Obmann der Sektion Turnusärzte der Ärztekammer Wien, offen zu. Doch auch wenn hier — sicherlich notwendige - Reformen gesetzt würden, bliebe der „Flaschenhals”, also der Engpaß bei den Turnusplätzen, bestehen.

„Mit der Zahl der Ausbildungsplätze sind wir bereits am Plafond angekommen”, schildert Wiens Gesundheitsstadtrat Alois Stacher die Situation. Und tatsächlich liegt die Stadt Wien bundesweit mit Ausbildungsplätzen an der Spitze. Wurde das Verhältnis Ärzte zu Krankenbetten — der sogenannte Bettenschlüssel — in allen Bundesländern unlängst per Ärztegesetznovelle von 1:20 auf 1:15 reduziert, so hält man in Wien seit einiger Zeit ohnehin schon beim Verhältnis 1:12. Trotzdem muß die Stadt Wien mit 60 Prozent der Medizinstudenten fertig werden.

In den Bundesländern werden Studenten aus der Bundeshauptstadt nur nach langer Wartezeit oder gar nicht ausgebildet. Doch auch nach der Ärztegesetznovelle — sie brachte 500 zusätzliche Ausbildungsstellen —ist die Zunahme des Studentenpotentials immer noch gigantisch.

Eine mögliche Lösung: Das Medizinerbild muß breiter werden. Nicht nur praktizierende Ärzte — auch wenn sie in manchen Regionen und Gebieten durchaus notwendig wären — dürfen das einzige Ausbildungsziel der medizinischen Fakultät sein.

So besteht etwa in den Labors der Pharma-Industrie ein starker Bedarf an Medizinpromoventen, weshalb man nun zur Selbsthilfe griff: Manfred Flener, Manager im „Abbotf'-Konzern, organisierte zusammen mit der Ärztekammer ein „Beschäftigungsmodell Medizinpromoventen”. Den auf einen Ausbildungsplatz wartenden Studenten soll dabei ein Job in der Pharmazeutischen Industrie oder auch im Versicherungswesen schmackhaft gemacht werden.

Flener: „Wir wollen eine Art .Jobbörse' auf der Universität einrichten, wo Angebot und Nachfrage zusammentreffen. Zu diesem Zweck wurden auch schon Kontakte mit der Industriellenvereinigung sowie dem Bundeskanzleramt und Wissenschaftsministerium geknüpft.” Dort gibt man sich aber noch wenig auskunftsfreudig: Das Projekt müsse erst überprüft werden, etwa auch im Hinblick darauf, ob nicht der Ausbildungsaspekt hinter das industrielle Interesse zurücktritt.

Das Projekt könnte - Erfolg vorausgesetzt - etwa 200 Promo-venten beschäftigen. Emil Brix vom Wissenschaftsministerium: „Auf jeden Fall sind alle Initiativen, die zu einer Verbreiterung des Medizinerbildes beitragen, wünschenswert. Es gibt hier auch Projekte im Bereich der Entwicklungshilfe. Endgültige Entscheidungen fallen aber erst im Herbst.”

Wird also eine stärkere Kooperation mit der Industrie als Lösung für steigende Studentenzahlen im gesamten Universitätsbereich forciert? Brix: „Hier kann nicht legislativ eine Zusammenarbeit verordnet werden, jedoch sollen Universitätsinstitute in Hinkunft auch selbständig Verträge mit der Industrie schließen dürfen, um mehr Kooperation zu erreichen. Auch muß sich erst einmal die grundsätzliche Einstellung dazu ändern.”

Ändern soll sich auch das Medizinstudium: „Das Berufsbild soll breiter werden”, sind sich Ge-sundheits- und Wissenschaftsministerium einig. Uber konkrete Maßnahmen wird jedoch noch verhandelt, der Erfolg der Reform — der neue Studienplan soll im Herbst fertig werden—ist noch nicht abzusehen.

Neben dem Bild des Industriemediziners gibt es allerdings auch noch Bedarf an Ärzten im Bereich der Psychiatrie, der Pathologie und der Psychosomatik. Ein Zweig, der zwar ansatzweise, aber doch noch zu wenig anerkannt wird und ebenfalls Beschäftigungsmöglichkeiten böte. Stadtrat Stacher: „Im Medizinstudium erfährt man viel zu wenig über diesen Bereich — auch ich wurde erst als Stadtrat damit richtig konfrontiert. Viele Mediziner sträuben sich aufgrund ihrer Ausbildung dagegen, dort zu arbeiten.”

Eine Diskussion zugunsten dieser Sparten ist zwar ansatzweise in den Ministerien zu erkennen, ein wirklicher Durchbruch aber noch nicht auszumachen.

Die ständig steigenden Studentenzahlen müssen jedenfalls als Chance begriffen werden, neue Berufsfelder zu eröffnen und die medizinische Versorgung auszubauen.

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