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Wenn Regime töten lassen

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Hunderttausende Menschen wurden in den letzten zehn Jahren durch die politischen Machthaber ihrer Länder ermordet. Das Morden geht weiter. Tag für Tag erhält die Gefangenenhilfeorganisation amnesty international (ai) Berichte über vorsätzliche politische Tötungen — Morde, die von der Armee oder Polizei begangen werden, von anderen regulären Sicherheitskräften, von Sondereinheiten, die für Einsätze außerhalb der normalen Dienstaufsicht geschaffen wurden, von Todesschwadronen, die mit Billigung der Behörden operieren, oder von staatlich gedungenen Mördern.

Diesen Tötungen geht kein gesetzliches oder gerichtliches Ver-

fahren voraus, sie finden jenseits von Recht und Gesetz statt Viele Opfer werden entführt, unrechtmäßig inhaftiert oder gefoltert, bevor sie ermordet werden. Manchmal werden die Morde auf höchster Regierungsebene angeordnet, in anderen Fällen stellt die Regierung bewußt keine Ermittlungen an, oder sie trifft keine Maßnahmen, um weitere Morde zu verhindern.

Oft versuchen Regierungen, die Tatsache, daß sie politische Morde begangen haben, zu verschleiern. Sie bestreiten, daß überhaupt Morde stattgefunden haben und lasten sie oppositionellen Kräften an oder versuchen, die Toten als Opfer bewaffneter Zusammenstöße mit Regierungstruppen auszugeben.

Das Spektrum der Tötungen reicht von einzelnen Morden bis zur vollständigen Auslöschung der politischen Opposition.

Dabei ist es oft schwierig, die Fakten herauszufinden. Die Mörder versuchen in der Regel, die Tatsachen zu verbergen oder zu verdrehen, und dies tun in manchen Fällen auch diejenigen, die über die Morde berichten. Die Identität des Opfers, Täter und Tathergang bleiben oft unbekannt.

Oft ist es unmöglich, Augenzeugenberichte zu erhalten: Bisweilen sind die einzigen Zeugen die Mörder selbst, vielfach sind überlebende Zeugen selbst in höchster Gefahr. Die Tatsache, daß das Opfer getötet worden ist, mag — wenn überhaupt — erst Monate oder Jahre später ans Licht kommen. Auch wenn sofort eindeutige Beweise für die Tat vorliegen, müssen diese nicht unbedingt ausreichen, die Mittäterschaft der Regierung nachzuweisen.

In anderen Fällen wiederum liegen eindeutige Beweise für die Mittäterschaft der Regierung bei systematischen Tötungen auf der Hand. Beispiele für solche Beweise sind offizielle Aufrufe zur Eliminierung einer bestimmten Kategorie politischer Gegner; Zeugenaussagen von ehemaligen Killern, die mitgewirkt, sich aber losgesagt haben; schließlich die Praxis eines Regimes, Tötungen durch Regierungskräfte als „legale“, „gerichtlich sanktionierte“ Hinrichtungen auszugeben.

Von ai beweisbare politische Morde komme gerade in Lateinamerika in einer Reihe von Ländern vor, zum Beispiel Argentinien, Bolivien, Chile, El Salvador, Kolumbien, Mexiko. Aber nicht nur hier, sondern etwa auch in Äthiopien, Lybien, Iran und vielen anderen Ländern mehr. Konzentrieren wir uns hier aber auf die Praxis“ in Lateinamerika. Beispiele:

• Guatemala: Am 17. Juli 1982 drangen guatemaltekische Soldaten in das indianische Dörfchen San Francisco ein und schlachteten mehr als 300 Personen ab, praktisch die gesamte Dorfbevölkerung.

Ein Zeuge, dessen Frau und neun Kinder ums Leben kamen, beschrieb die Ankunft der etwa 500 Soldaten. Die Soldaten hätten alle Frauen und Kinder in einer Kapelle und in einem Haus zusammengetrieben, die Männer seien in ein als Gefängnis bekanntes Holzhaus gebracht worden. Dann hätten die Soldaten begonnen, die Leute zu töten.

Ein anderer Zeuge berichtet: „Wir sahen einen kleinen Jungen von etwa sieben Jahren weinen, als ihn ein Soldat am Handgelenk heranschleifte und dann seinen Bauch mit dem Messer aufschlitzte.“

• Bolivien: Nach dem Militärputsch vom Juli 1980 erhielt ai Berichte über die Beteiligung von Sicherheitskräften an zahlreichen Fällen von „Verschwindenlassen“ und politischen Morden. In Bergwerksgebieten, in denen Streiks gegen den Putsch organisiert worden waren, griffen Truppen mit Panzern und schweren Geschützen an, um jeglichen Widerstand gegen die Machtüber nahme der Militärs zu unterdrük- ken.

Im August 1980 veröffentlichte ai einen Bericht, daß Truppen im Bergwerksgebiet von Caracoles eine Gruppe von Bergleuten und Bauern umgebracht hatten. Frauen wurden von Soldaten mißhandelt und bedroht. Bevor die Toten identifiziert werden konnten, wurden sie fortgeschafft. Eine große Zahl von Personen wurde vermißt gemeldet.

• Argentinien: Die jüngst gemachte Entdeckung nicht ausgewiesener Gräber auf mindestens neun Friedhöfen im Gebiet von Buenos Aires hat die Vermutung verstärkt, daß verschwundene Gefangene getötet und heimlich begraben worden sein könnten. 1979 nahm die Interamerikanische Menschenrechtskommission bei ihrem Besuch in Argentinien öffentliche Friedhöfe in Augenschein. Die Delegierten untersuchten eine Reihe von Gräbern und erhielten die Information, daß Angehörige der Streitkräfte nachts auf die Friedhöfe kämen, um Leichname zu begraben.

Untersuchungen, die seit Oktober 1982 durchgeführt werden, haben ergeben, daß allein auf dem Gran Bourg Friedhof bis zu 400 Leichname in anonymen Massengräbern verscharrt worden sein könnten. Menschenrechtsgruppen haben gerichtliche Untersu-

chungen in Gang gesetzt, die noch laufen.

• Chile: Seit dem Militärputsch von 1973 hat die chilenische Regierung eine Reihe von Methoden angewandt, die Aktivitäten der Opposition zu unterdrücken. Berichten zufolge wurden in den ersten Monaten nach dem Putsch Tausende im Schnellverfahren hingerichtet. Zwischen 1973 und 1979 „verschwanden“ Hunderte von Menschen — vor allem politisch Engagierte, Gewerkschafter und Bauern — nachdem sie von den’ Sicherheitskräften der Armee, der Marine, der Luftwaffe oder der uniformierten Polizei festgenommen worden waren.

• Mexiko: Auch in diesem Land gab es eine Reihe von Tötungen, an denen reguläre Armee-Einheiten beteiligt waren oder bei denen man eine Verbindung zu staatlichen Stellen feststellen oder vermuten konnte. Am 25. Juli 1982 entführte ein Militärtrupp 13 Bauern. Fünf der 13 wurden tot aufgefunden.

1 El Salvador: Nach dem Militärputsch vom Oktober 1979 sind wahrscheinlich Tausende von Menschen Opfer politischer Morde durch Regierungstruppen geworden. Zu den Opfern zählen nicht nur Personen, die der Opposition gegen die Regierung verdächtig wurden, sondern Tausende von unbewaffneten Bauern, die in Gebieten lebten, in denen die Regierung im Rahmen ihrer Anti- Guerillakampagne militärische Sicherheitsoperationen durchführen ließ.

Insbesondere die Landbevölkerung leidet unter der rücksichtslosen, blinden Gewalt, mit der die Sicherheitskräfte in diesen Gebieten jedwede potentielle Unterstützung für die Guerillas zu un-. terbinden suchen. Zu den Opfern zählen auch Priester, Gewerkschafter, Mitarbeiter der Kirche, Lehrer, Journalisten und Sozialarbeiter. Personen, die die Übergriffe der Regierung verfolgt und an die Öffentlichkeit brachten, wurden eingeschüchtert, festgenommen und getötet.

Gekürzter Auszug eines anläßlich der Wie- ner Lateinamerika-Wochen im Juni gehaltenen Vortrages. Die Autorinnen sind Mitarbeiterinnen von amnesty international.

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