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Wenn Singles verreisen...

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Kein Zweifel, das Unterfangen, „als Einzelgängerin auf Rei- sen zu gehen, erfordert heute mehr denn je resolute Selbstbehauptung und Mut - oder Selbstverleugnung, je nachdem. Wer keine dieser Fä- higkeiten besitzt, könnte allerlei unliebsame Überraschungen und - um es gleich zu sagen - sogar seine blauen Wunder erleben.

Jene einst hochgepriesenen Ka- valiere, zum Beispiel, die sich zu freiwilligem Kofferhochheben, zur Sitzplatzüberlassung oder auch nur zu einer verläßlichen Auskunft bereit zeigen, haben heute den Sei-

tenheitsgrad von Diamanten im Müll. Weit eher beobachtet eine Alleinreisende beim Andeuten von Hilfsbedürftigkeit ein Sichblind- und Taubstellen oder bestenfalls ein verspätetes zögernd-brummi- ges Eingreifen aus Prestigegrün- den. An sich erscheint dies auch recht selbstverständlich, denn Hilfsbedürftigkeit darf es beim so erstarkten weiblichen Geschlecht nach männlichem Gutdünken heut- zutage einfach nicht mehr geben. „Das habt's jetzt davon..."

Zugegeben sei allerdings, daß es darin zu Ausnahmen kommen mag. Sie werden vor allem jenen Schik- ken und Schönen zuteil, auf deren raffiniert-kokettes Sich-unterle- gen-Stellen achtbare Männer heu- te noch hereinfallen können. Oder aber alten Damen knapp vor dem Zusammenbrechen, deren öffentli- ches Scheitern deutlich bevorsteht. „Das kommt davon. Wärst z'Haus blieben, Muttel!"

Warum also nicht gleich die über- triebenen Einzelgängerallüren ab- legen und sich einer Gruppe ein- verleiben, einer jener großartig organisierten, vorprogrammierten und so beliebten Reisegesellschaf- ten? Schon das sonnige Lächeln des Angestellten im Reisebüro beim Ausfolgen des Tickets beruhigt enorm. Alles ist jetzt reserviert und gesichert, keine Sorgen mehr. Al- lerdings auch keine Sonderwün- sche, bitte. Jedes auch nur haar- breite Abweichen vom Vorausge- planten würde die gute Ordnung stören. Sollte jedoch etwa höhere Gewalt eine kleine Änderung im Ablauf des Zugesicherten erzwin- gen, wäre ein einsichtsvolles Sich- fügen so gut wie selbstverständ- lich. Ist, zum Beispiel, das bestellte Einbettzimmer durch ein Versehen nicht verfügbar, hat man der Un- terbringung im Zweibettigen vor- behaltlos zuzustimmen. Eine ande- re Alleinreisende, die das gleiche Los trifft, stellt sich sofort als Zimmergenossin zur Verfügung; man muß doch zusammenhalten. Was macht es schon aus, wenn sie spät abends, nach ermüdendem Tagesablauf und zu üppigem Nachtmahl, im Kämmerlein vor der Schlafgefährtin ihr Schicksal aus- zubreiten beginnt und sich immer wortreicher in dramatischen Ein- zelheiten ergeht? Man hockt, das Gähnen verbeißend, am Bettrand und heuchelt Teilnahme, denn Mitleid und Nächstenliebe sind auf Reisen höchstes Gebot, schon gar für Singles.

Auch wer selber auf Mitleid stößt,

sei nur ja nicht empfindlich. Es ist die mildeste Art, auf die glückliche oder nur scheinbar glückliche ur- laubende Paare einen Wall der Un- nahbarkeit um sich errichten. „Sind Sie schon lang solo? Hm, na ja, das Leben ist hart." Gering- schätzung ist herauszuhören. Wahr- scheinlich ist die Angesprochene unleidlich, weil sie keinen Partner hat. Wenn einer danach ist, findet sie schon einen.

Sicherlich, vielleicht fände sich einer... Auch männliche Singles unternehmen mitunter Gruppenrei- sen, keine Supermänner natürlich, aber vereinsamte Witwer oder Spätnachholer vielleicht, die sich unterwegs charmant geben wie einst im Mai, jedoch die verständnisvoll scheinende Reisegenossin heimlich taxieren, ob sie sich vielleicht auch zur opferbereiten Alltagsgefährtin eignen würde. Die Beteuerungen, man bleibe wirklich gerne unge- bunden, werden von den mehr oder

weniger noch immer Feschen zu- meist als unglaubwürdig abgetan. Vorsicht also. Hiebei erweist sich ein forsches bis strenges Gehaben als unbedingt nützlich. Es schafft zwar kaum Sympathien, hilft aber, wenn nötig, Distanz zu wahren und beeindruckt das jeweilige Perso- nal, besonders wenn nebstbei die Börse locker sitzt.

Sonst aber - nichts wie gutwilli- ges Untertauchen und Mithalten. Frisch und munter von einem Er- lebnishotel ins nächste, immer hübsch in der Karawane und ja nicht aus der Reihe tanzen. Bleibt man zurück, etwa um ein besonde- res Motiv zu knipsen, ruft auch schon der schneidige, von ein paar eifernden Grazien umworbene Rei- seleiter: „Bitte, anschließen, meine

Dame!" Wie peinlich.

Besichtigungen häufen sich, Geschautes überstürzt sich, der Kopf schwirrt. Will man ihn abends ausrauchen lassen und die zu flüch- tigen Eindrücke ordnend festhal- ten, beginnt erst der von vielen ersehnte Tagesabschluß: die Ani- mation. Es glitzert und funkelt, tönt und orgelt, trampelt und grölt. Sich absondern und Schlafengehen - bei diesem Lärm? „Ihnen fehlt halt der Partner! Haben S' kein Oropax? Sind S' net fad und trinken S' noch ein Glaserl!"

Bedauernswerte Einzelreisende, wäre es nicht doch besser, daheim zu bleiben? Halt, nein, noch gäbe es einen rettenden Ausweg, nämlich den in die Stille unserer geliebten, bedrohten, noch immer vorhande- nen Wälder, wo man mit den Bäu- men reden kann, vorausgesetzt, daß manihre Sprache versteht. Sie wird für noch nicht lärmzerstörte Ohren nur fernab vom menschlichen Ge-

tose vernehmbar, denn üaume spre- chen leise. „Bist du aber schön!" bewundert man eine hohe Fichte, „geht's dir gut?" Und sie antwortet: „Danke, so halbwegs. Wenn du mir noch nichts anmerkst, freut es mich..." Auch die mächtige Lärche nahe der einst so idyllischen Berg- hütte läßt sich ansprechen: „Hallo, Schwester Baum, du wirst doch hoffentlich nicht nächstens einem Zubau, einer erweiterten Skipiste oder dem Getümmel der Schneeka- nonen weichen?" - „ Noch nicht...", raunt es aus ihren Zweigen.

Noch - diesen Begriff kennt heu- te schon die Mehrzahl aller Bäume. Auch sie wissen um Abschied und Ende und sehnen sich nach einem lebbaren Dasein - wie auch die Menschen.

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