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Wer bastelt den schönsten Slogan?

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Offen ist der Wahltermin, unvollständig sind die Kandidatenlisten und ungewiß der Ausgang der nächsten Nationalratswahlen. Gewiß ist eines: Am 25. Mai, 8. Juni oder 5. Oktober wird es — will man den Wahlplakaten Glauben schenken — letztlich darum gehen, ob wir die nächsten vier Jahre in Fortschritt, Ordnung, Sicherheit und Wohlstand oder aber in Wohlstand, Sicherheit, Ordnung und Fortschritt leben werden.

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Offen ist der Wahltermin, unvollständig sind die Kandidatenlisten und ungewiß der Ausgang der nächsten Nationalratswahlen. Gewiß ist eines: Am 25. Mai, 8. Juni oder 5. Oktober wird es — will man den Wahlplakaten Glauben schenken — letztlich darum gehen, ob wir die nächsten vier Jahre in Fortschritt, Ordnung, Sicherheit und Wohlstand oder aber in Wohlstand, Sicherheit, Ordnung und Fortschritt leben werden.

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In den Zentralen der beiden großen Parteien und der FPÖ wird heute schon fieberhaft nach griffigen zugkräftigen, aussagestarken und einprägsamen Slogans gesucht. Denn Werbefachleute glauben, daß ein guter Wahlslogan schon der halbe Wahlerfolg ist. Die plakative Forderung der SPÖ im Wahlkampf 1971 „Laßt Kreisky und sein Team arbeiten” dürfte diesen Glauben auch bestätigt haben. In diesem Slogan war so etwas wie ein Appell an das Fairneßdenken im Wähler enthalten: Kreisky soll zeigen, was er kann, man sollte ihn dabei — jedenfalls zu Beginn — nicht stören.

Nach vielen Jahren der Team-Arbeit Kreiskys dürfte der gleiche oder ein ähnlicher Slogan heute kaum Aussicht auf Erfolg haben, wenngleich eine plakative VP-Forderung, wie etwa „Laßt Kreisky und sein Team abtreten”, beim Wählerpublikum fraglos nicht sonderlich gut ankommen dürfte.

Zweifellos wird die Wahlwerbung jedenfalls der beiden Großparteien Optimismus, Zukunftsglauben, Ordnungsdenken und Solidität ausstrahlen. So war das 1970, als die Regierung Klaus mit dem Versprechen, sie werde für „Fortschritt und Sicherheit” sorgen, in die Wahlschlacht zog. Damals war die Bevölkerung von vagen Vorstellungen über Reformen und Veränderungen erfüllt. Die SPÖ entsprach auch mit ihren plakativen Wahlaussagen diesen Vorstellungen: „Zeit zum Wechsel”, „Wir bauen das moderne Österreich”, usw. Schon 18 Monate später, als die Minderheitsregierung Kreisky einen Neuwahltermin ausschrieb, wollten Kreisky und sein Team nicht nur arbeiten, sondern garantierten, da sie nun einmal an der Macht waren, „Sicherheit und Fortschritt”. Regierungsmacht ändert offenbar den Blick für die Volksmeinung.

In diesem Wahlkampf wird sich das erneut bestätigen. Die Volkspartei, nun schon im fünften Oppositionsjahr, wird versprechen, was die Regierung Kreisky seit 1970 nicht gehalten hat: Mehr Lebensqualität, Stabilisierung der Wirtschaft, qualitative und soziale Marktwirtschaft, Veränderungen in allen Bereichen, vom Bundesheer bis zum ORF. Sie wird sich in diesem Wahlkampf auf den Plakaten als Partei präsentieren, die imstande ist, drohende Krisengefahren in den Griff zu bekommen, die wirtschaftliche Leistungsstarke Österreichs zu verbessern. Wahrscheinlich werden ihre Wahlslogans im. dem Maße „progressiv” wirken, wie die der Regierungspartei „konservativ” zugeschnitten sein werden. Auf diese Weise färbt das demokratische Wechselspiel auch auf die Qualität und Aussagekraft von Wahlslogans ab.

Die Regierungspartei wird dagegen in Nostalgie schwelgen. Dabei dürfte die Phantasie des SPÖ-Werbeleiters Brantl sicherlich in das Jahr 1945 und 1955 zurückreichen. Wäre in diesem Zusammenhang nicht gleich ein rot-weiß-rot umrandetes Porträt Kreiskys anzubieten, auf dem geschrieben steht: „Unser Staatsvertragskanzler?” Derlei Auswüchse wären deshalb denkbar, weil Bruno Kreisky seine Funktion in der Geschichte Österreichs in den letzten dreißig Jahren öfter aus sehr persönlicher Sicht variiert hat. Die Republiksfeier im April und das 20- jährige Jubiläum des Staatsvertrages im Mai werden ihm fraglos eine Chance zur differenzierten Intervention geben. Aber auch das ist Nostalgie.

Doch nicht nur auf die unbestrittene Persönlichkeit Kreiskys wird sich der Wahlkampf 1975 stützen. Sicherlich wird die SPÖ auch auf Plakaten die Relativitätstheorie bis zum Exzeß durchspielen: „Österreichs Wirtschaftswachstum ist höher als das von Italien, Großbritannien…” (und Island), „Österreichs Inflationsrate liegt unter der von Italien, Frankreich, Großbritannien…” (und Argentinien). Denkt man diese Relativitätstheorie zu Ende, so könnte man das österreichische Strafrecht in einen Wohlverhaltenskatalog umbenennen.

Fraglich ist freilich, ob sich relativierende Wahlwerbung auch tatsächlich rentiert. Ähnliches versuchten bisher noch alle regierenden Parteien mehr oder weniger erfolglos, zuletzt auch die ÖVP im Wahlkampf 1970.

Der einzelne Wähler ärgert sich nur über Erfolgsmeldungen, die möglicherweise die Gemeinschaft aber keineswegs ihn betreffen. Darüber hinaus vermitteln derlei Erfolgsmeldungen den Eindruck von Selbstzufriedenheit, ja sogar Arroganz derer, die solche Meldungen ausgeben. Möglicherweise aber rufen sie sogar Neidkomplexe wach.

Es bleibt abzuwarten, ob und wie es Heinz Brantl gelingen wird, diese Gefahrenstellen für die SPÖ-Wahl- werbung im kommenden Wahlkampf zu umschiffen. Zu vermuten ist, daß die SPÖ jedenfalls einen Wahlkampf mit sehr konservativen Slogans führen wird, daß aber die Partei insgesamt auch mit radikalen Phasen um politische Grenzgänger wird werben müssen. Möglicherweise wird etwa ein Günther Nenning 1975 einen Buhmann mit umgekehrten Vorzeichen spielen müssen: 1970 und zuvor trat er noch als das katholische, aber auch liberale Gewissen der SPÖ auf; it einiger Zeit schon treibt er seine eschäfte mit radikalen Brüdern. Alptraum des kommenden Wahlkampfes wäre allerdings das Bild einer ÖVP, die sich abplagt, „links” von der SPÖ zu regieren und die das vielleicht auch noch schafft, weil die Regierungspartei inzwischen das Werbekleid einer bürgerlichen, selbstzufriedenen und satten Partei angezogen hqt.

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