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Wer gilt heute als ein Märtyrer?

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Am 16. November 1989 wurden auf dem Campus der Zentralamerikanischen Universität (UCA) in San Salvador sechs Jesuitenpatres und zwei Frauen von einer Eliteeinheit der Armee ermordet. In einem Brief an den damaligen Rektor der UCA, Ignacio Ellacu-ria SJ, sinniert ein Jesuit über den Begriff des Martyriums.

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Am 16. November 1989 wurden auf dem Campus der Zentralamerikanischen Universität (UCA) in San Salvador sechs Jesuitenpatres und zwei Frauen von einer Eliteeinheit der Armee ermordet. In einem Brief an den damaligen Rektor der UCA, Ignacio Ellacu-ria SJ, sinniert ein Jesuit über den Begriff des Martyriums.

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Lieber Padre Ignacio, im Kindergarten, bei den Sacre Coeur-Schwestern, hörte ich zum ersten Mal von den Märtyrern. Es waren jene Menschen, die sterben mußten, weil sie Jesus nicht verraten wollten. Ich muß gestehen, daß die Schilderungen der blutigen Märtyrertode einen gewissen Eindruck auf mich machten.

Mit 14 sah ich im Kino „Quo va-dis?". Wilde Tiere fielen in den Arenen von Rom singende Christen an und zerfleischten sie unter dem johlenden Beifall der geifernden Menge. „Panem et circenses" hieß das dann im Lateinunterricht. „Das Blut der Märtyrer ist der Samen für (neue) Christen", urteilt die kirchliche Tradition.

Als vor drei Jahren im Fernsehen die Bilder von Deiner bestialischen Abschlachtung zu sehen waren, erinnerten sie mich an die Folterberichte der Urkirche. Dein Körper und die der anderen sieben Exekutierten waren durchsiebt von Kugeln, die Gesichter zum Teil bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Nie werde ich vergessen, was Jon Sobrino SJ sagte, der durch Zufall dem Attentat entkommen ist: „Sie wollten unser Denken auslöschen, deshalb schössen sie in das Hirn meiner Mitbrüder."

Der Prozeß gegen die Täter hat (im

September 1991) stattgefunden. Von acht Angeklagten wurden zwei verurteilt. Die übrigen, die bis ins makabre Detail ihre Beteiligung an der Bluttat gestanden hatten, wurden freigesprochen, da sie nur Befehle ausgeführt hätten. Dem Buchstaben des Gesetzes ist also Genüge getan. Die Hintergründe des Verbrechens bleiben nach wie vor im dunkeln, seine Ursachen sind nicht Gegenstand einer juristischen Debatte. Recht(ssprechung) wird Makulatur.

Bist Du nun ein Märtyrer? In einem der Arbeitspapiere für die Vierte Vollversammlung der Lateinamerikanischen Bischofskonferenzen in Santo Domingo waren Erzbischof Oscar Ro-mero und die sechs Jesuiten als „Märtyrer der lateinamerikanischen Kirche" bezeichnet worden. In der von Rom korrigierten, endgültigen

Fassung war nur noch von „Opfern der politischen Gewalt" die Rede.

Wortklaubereien? Die traditionelle Unterscheidung zwischen „Beken-nern" und „Märtyrern" ist heute problematisch geworden. Die Grenzen sind, wie Karl Rahner 1983 in einem „Plädoyer für eine gewisse Erweiterung des traditionellen Martyriumsbegriffes" (unter Berufung auf Thomas von Aquin!) meinte, zu fließend und zu schwer zu bestimmen: „Die modernen ,Christenverfolger' werden den Christen von heute gar keine Gelegenheit geben, ihren Glauben im alten Stil der ersten christlichen Jahrhunderte zu bekennen und einen Tod durch Gerichtsbeschluß anzunehmen."

Wie andere Niedergemetzelte hattest Du überhaupt keine Möglichkeit, mit einem ausdrücklichen Treuebekenntnis auf den Lippen zu sterben, so plötzlich kam der Tod. Soll ich Dich deshalb nicht als Märtyrer verehren dürfen? Der Einsatz für Glaube, Gerechtigkeit und Friede unter den Menschen um Christi willen wird nicht in harmlosen Gedankenspielen gelebt. Er ist über längere Strecken sichtbar, greifbar, hörbar. Er kann zum entscheidenen Zeugnis des Martyriums werden. Diese Sichtweise müssen wir europäischen Spätkonvertiten einer „Option für die Armen" uns erst aneignen.

Im Blick auf die 500jährige Geschichte der Entdeckung und Zudek-kung Lateinamerikas hast Du acht Monate vor Deinem Sterben gesagt: „Die Priester, Ordensleute und Laien, die ermordet wurden, sind das Vermächtnis einer Kirche, die nicht nur schlechte Samen in Lateinamerika streute, sondern auch viel Kampf und fruchtbares Blut zugunsten des einfachen Volkes einbrachte. Sie sind ganz einfach unsere Märtyrer."

Du, Padre Ignacio, bist ganz einfach ein Märtyrer.

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