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Wer glaubt, hält aus

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EJRCHE: Wieviel Prozent al-er Getauften in Osterreich gehen jeden Sonntag zur Messe? Ist hier der Begriff „praktizierender Katholik” sinnvoll?

BOGENSBERGER: Derzeit erfüllen 28 Prozent der Katholiken in Österreich ihre Sonntagspflicht, das heißt, etwa jeder vierte Österreicher steht in einer regelmäßigen und einigermaßen intakten Beziehung' zur Kirche.

Der Begriff „praktizierender Katholik” ist aber aus verschiedenen Gründen fragwürdig. Zunächst besteht die Praxis der Religion ja nicht nur darin, daß man am Sonntagsgottesdienst teilnimmt, sondern sie drückt sich in vielen Formen des Verhaltens aus, die durch eine Glaubensüberzeugung bestimmt sind. Der Begriff gibt auch insofern zu Fehldeutungen Anlaß, als er eine Zwei-Kategorien-Lehre nahelegt: hier die wirklich Gläubigen und Guten, dort die Lauen, sich Absondernden, moralisch Defekten.

Bezüglich des Ausmaßes der Kirchenmitgliedschaft in Österreich muß man auch die geschichtliche Entwicklung berücksichtigen. Konkret: Man hat in der Vergangenheit fast alle sozialen Institutionen wie Familie, Gemeinde, Staat, Herrscherhaus und Prozesse für die Eingliederung von Menschen in die Kirche in Dienst nehmen können. Dies konnte aber nicht dazu führen, daß alle Kirchenmitglieder tatsächlich auch den vollen kirchlichen Glaubens- und Verhaltensstandard erreicht haben.

FURCHE: Wo liegen die Probleme der Katholiken mit ihrer Kirche im Bereich Glauben?

BOGENSBERGER: Es gibt ein Grundbedürfnis nach Religion, daraus ergibt sich, daß die Menschen prinzipiell der religiösen Institution gegenüber eher positiv eingestellt sind. Aber das Vorhandensein dieses Grundbedürfnisses bedeutet natürlich nicht, daß man die von der Religion markierten Lebensfragen im biblisch-christlichen Sinn sieht und den Glaubensnormen vollinhaltlich zustimmt. Und in dem Maß, in dem die soziale Kontrolle zugunsten der Einhaltung kirchlicher Normen nachläßt und mehr persönlicher „Spielraum” für den einzelnen verlangt wird, variieren die Menschen nach eigenen Vorstellungen das ihnen von der Kirche Vorgegebene, nehmen das an, wo sie zustimmen können, und lassen anderes weg.

FURCHE: Wo tun sich Österreicher eher schwer, zuzustimmen?

BOGENSBERGER: Umfang der Kirchenmitgliedschaft und Ausmaß der Beantwortung der Gottesfrage im Sinn der Kirche und der biblischen Offenbarung stimmen nicht überein. Ein nicht unbeträchtlicher Teil ist unsicher und sagt „Es ist möglich, daß es

Gott gibt, aber man kann nichts Genaues darüber wissen.” Oder: Die Hälfte der Kirchgänger eines Bundeslandes stimmt dem Satz „Die Menschen werden mit Leib und Seele von den Toten auferstehen” zu. Von allen Getauften bejaht ein Drittel diesen Satz.

FURCHE: Wie steht es mit den Sittenlehren der Kirche? Welche werden am wenigsten akzeptiert?

BOGENSBERGER: Ein großes Problem in der Realisierung christlicher Ethik war ja immer schon, daß man zu individual-ethisch gedacht und die soziale Dimension der ethischen Normen zu wenig gesehen hat. Aber abgesehen davon ist es so, daß es etwa in der Frage der Gerechtigkeit, der Güterverteilung, der Beziehung der Geschlechter zueinander, beim Schutz des Lebens relativ große Diskrepanzen gibt.

Nun wird vielleicht zu wenig gesehen, daß die Kirche ethische Normen als Zielnormen vorgibt und daß die Realisierungschancen unterschiedlich groß sind. Es kann sein, daß die meisten Menschen diesen Normen prinzipiell zustimmen, daß sie aber in ihrer Lebenspraxis diesen Normstandard nicht erreichen.

Vielleicht hat man die Erfüllung ethischer Normen aber auch zu statisch gesehen, nämlich in der Weise, daß man gesagt hat, hier liegt Schuld vor, und derjenige, der Schuld auf sich geladen hat, müsse auf Dauer be- und auch verurteilt werden. Eine solche Be- und Verurteilung von Menschen wird aber auch ein Mechanismus, der Gruppen von Menschen aus der Kirche hinausdrängt, weil die Verurteilung der Schuld auch zu einer Verurteilung der Person wird, während im richtigen Verständnis des Bußsakramentes enthalten wäre, daß die sakramentale Vergebung der Schuld auch zu einem sozialen Prozeß eines neuen Anfangs in der kirchlichen Gemeinschaft gemacht werden kann.

FURCHE: Gibt es noch andere entscheidende Gründe für einen Rückzug aus der Kirche? Etwa das Erleben der Kirche als bürokratischen Apparat, der Kirchensteuer eintreibt?

BOGENSBERGER: Nach meiner Einschätzung sind negative Erfahrungen mit konkreten Erscheinungsformen der Institution von unterschiedlicher Bedeutung. In der Regel ist es schon so, daß die Vorentscheidung, wie sehr man sich mit Glaubensinhalten identifiziert, bestimmend dafür ist, in welchem Maß man dann konkrete Mängel der Kirche aushalten kann. Es gibt hier allerdings Unterschiede nach Generationen und Regionen.

Vor allem die junge Generation ist hier sehr empfindlich, sodaß es in der Regel nicht möglich ist, Erscheinungsformen der Institution, etwa Mängel im konkreten Ablauf des pfarrliehen Lebens, zu tolerieren, auch wenn man sonst christlichen Vorstellungen zustimmt.

FURCHE: Gibt es hier eine Parallele zur Parteienverdrossenheit der Jugend?

BOGENSBERGER: Es gibt eine allgemeine Institutionenkrise in der Weise, daß die Institutionen strenger unter das Gericht ihrer eigenen Ideologie oder ihres eigenen Programms gestellt werden. Und in dem Maß, in dem sie dem nicht entsprechen, wenden sich die Menschen entweder kritisch ab, oder sie versuchen zunächst noch etwas zu reparieren, und wenn das nicht geht, dann gehen sie ihrer eigenen Wege.

Friedrich Heer hat hier eine neue Art Absolutheitsanspruch der Jugend festgestellt: Man will die Ewigkeit und die ewigen Werte nicht in einem Jenseits, in der Transzendenz erleben, sondern jetzt, heute. Man läßt sich nicht auf ein Später vertrösten, sondern will die Wahrheitsfrage gleich und durch Praxis beantwortet haben. Unter diesem Anspruch stehen alle Institutionen, auch die Kirche.

Mit Dkfm. Hugo Bogensberger, dem Leiter des Instituts für Kirchliche Sozialforschung in Wien, sprach Heiner Boberski.

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