7069127-1992_16_05.jpg
Digital In Arbeit

Wer hat das letzte Wort?

19451960198020002020

Welche Rolle spielt der Bundespräsident tatsächlich für die Gesetzgebung? Darf er die Beurkundung verweigern? Hat er ein Vetorecht?

19451960198020002020

Welche Rolle spielt der Bundespräsident tatsächlich für die Gesetzgebung? Darf er die Beurkundung verweigern? Hat er ein Vetorecht?

Werbung
Werbung
Werbung

Die Verfassung beruft den Bundespräsidenten auch zur Mitwirkung an der Erzeugung von innerstaatlichen Rechtsnormen: Dabei geht es nicht mehr um die politische Willensbildung im eigentlichen Sinn, sondern um die Entscheidung von Rechtsfragen, die freilieh politische Konsequenzen haben kann. Auf dem Weg der Bundesgesetzgebung ist dem Bundespräsidenten die Aufgabe übertragen, das „verfassungsmäßige Zustandekommen der Bundesgesetze" durch seine Unterschrift zu beurkunden.

Damit beruft ihn die Bundesverfassung zu einem der „Hüter der Verfassung". Nur wenn er den Gesetzesbeschluß im Hinblick auf die Bestimmungen der Verfassung gemessen und sie diesen entsprechend befunden hat, darf (und muß) er beurkunden. Je nach dem Ergebnis seiner Kontrolle muß er den Gesetzesbeschluß beurkunden oder aber die Beurkundung verweigern. Er hat die Fra'ge der Verfassungsmäßigkeit in eigener Verantwortung auf dem Weg der Bundesgesetzgebung endgültig zu entscheiden. Die Beurkundung ist vom Bundeskanzler gegenzuzeichnen. Daraufhin ist das Bundesgesetz im Bundesgesetzblatt kundzumachen. Erst das kundgemachte Bundesgesetz unterliegt der verfassungsgerichtlichen Kontrolle.

Während der Bundespräsident über die Verfassungsmäßigkeit eines Bun-desgesetzesbeschlusses zu erkennen hat, hat der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes zu erkennen. Beide sind aber in gleicher Weise zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit berufen. Eine andere Auffassung würde sich über den Wortlaut der Bundesverfassung hinwegsetzen. Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes bedeutet Prüfung des verfassungsmäßigen Zustandekommens.

Da der Bundespräsident zu prüfen hat, ob der ihm vorgelegte Gesetzesbeschluß verfassungsmäßig erzeugt worden ist und damit durch Beurkundung und Kundmachung ein Bundesgesetz werden kann, steht ihm eine angemessene Frist zur Verfügung. Sie wurde von der Verfassung nicht ausdrücklich festgesetzt. Das wäre auch nicht sinnvoll, da es sich um komplexe verfassungsrechtliche Probleme handelt, die durchaus unterschiedlich Zeit zum Nachdenken verlangen.

Während aber der Verfassungsgerichtshof Jahr für Jahr rund ein Dutzend Bestimmungen von Bundesgesetzen als verfassungswidrig aufhebt haben die Bundespräsidenten noch nie eines von den Tausenden von Bundesgesetzen seit 1920 nicht beurkundet. Sie haben das verfassungsmäßige Zustandekommen eines Gesetzesbeschlusses auch dann beurkundet, wenn von Experten, von begutachtenden Stellen, von der Opposition im Nationalrat und im Bundesrat gewichtige verfassungsrechtliche Bedenken geäußert wurden.

Unbestritten ist, daß dem Bundespräsidenten mit der Zuständigkeit zur Beurkundung des verfassungsmäßigen Zustandekommens der Bundesgesetze keine inhaltliche Zustimmungskompetenz eingeräumt ist. Er hat kein Vetorecht. Er hat kein Sanktionsrecht wie seinerzeit der Kaiser.

Der Bundespräsident kann die Frage der Verfahrensrichtigkeit des Gesetzgebungsprozesses gar nicht beantworten, ohne den Inhalt des zu beurkundenden Gesetzesbeschlusses zu beachten. Erst aufgrund des Inhalts ist überhaupt feststellbar, welche verfassungsmäßigen Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Bundesgesetzes vorgesehen sind, deren Einhaltung durch die Unterschrift des Bundespräsidenten zu beurkunden ist. Inhalt und Form sind aufeinander abzustimmen. Bundespräsident Rudolf Kirchschläger hat die Auffassung vertreten, daß der Bundespräsident im Zweifel die Verfassungsmäßigkeit des Zustandekommens eines Bundesgesetzes zu beurkunden hat. Denn immer dann, wenn er die Beurkundung unterläßt, nehme er der parlamentarischen Mehrheit die Möglichkeit, ihre Auffassung durch Erlassung eines Bundesgesetzes durchzusetzen; während dann, wenn aufgrund der Beurkundung ein Bundesgesetz kundgemacht wird, jedenfalls der qualifizierten politischen Minderheit Möglichkeiten offenstehen, die Frage der Verfassungsmäßigkeit an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

Diese Auffassung mag inkonsequent sein, sie ist aber praktisch. Sie geht davon aus, daß auch Gesetzesbeschlüsse im Zweifel verfassungskonform auszulegen sind, eine Maxime, der auch der Verfassungsgerichtshof bei fertigen Bundesgesetzen im Zweifelsfall folgt. Schließlich unterliegt die Prüfung des verfassungsmäßigen Zustandekommens eines Bundesgesetzes durch den Bundespräsidenten der nachprüfenden Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes.

Der Verfassungsgerichtshof hat im Konfliktfall jedenfalls das letzte Wort. Er ist nicht nur zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bundesgesetze berufen. Er hat auch zu prüfen, ob der Bundespräsident die Verfassung verletzt hat, wenn dieser bei ihm angeklagt wird. Das Ergebnis der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des vom Bundeskanzler vorgelegten Gesetzesbeschlusses durch den Bundespräsidenten muß also keine endgültige Entscheidung in der Sache sein. Der Autor ist Professor für Rechtslehre und seit 1991 Rektor der Universität für Bodenkultur in Wien. Vorabdruck (gekürzt) aus dem demnächst erscheinenden Buch: DER BUNDES-PRÄSDIENT. KEIN KAISER IN DER REPUBLIK. Böhlau-Verlag, Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung