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Wer hat den Mut zur Unpopularität?

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Bei einem Gesamtbudget von 159,4 Milliarden Schilling belief sich das Verteidigungsbudget für das Haushaltsjahr 1974 quf 5,ff Milliarden, das sind 3,69 Prozent vom Gesamthaushalt des Bundes in diesem Jahr. Bundeskanzler Dr. Kreisky erklärte anläßlich einer Enquete zum Thema „Volk und Verteidigung“ am 26. Oktober 1973 in der Wiener Hofburg: „Es werden die Einrichtungen der Landesverteidigung so-sehr unseren Möglichkeiten und den Aufgaben, die wir haben, adäquat sein müssen,’ daß sie überzeugend, sinnvoll und ßnanziell vertretbar erscheinen.“ Bundesminister für Landesverteidigung, Karl F. Lütgendorf, meinte am 25. Juni 1974 bei einer Stadtgespräche-Sendung des ORF, daß er ein Verteidigungsbudget in der Höhe von etwa 7 Prozent des Gesamtbudgets für angemessen erachten würde. Die Sozialwissenschaftliche Studiengesellschaft veröffentlichte kürzlich ein Umfrageergebnis, nach dem sich 62 Prozent von 1400 befragten Österreichern gegen eine Erhöhung des Verteidigungsbudgets ausgesprochen hätteq.

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Bei einem Gesamtbudget von 159,4 Milliarden Schilling belief sich das Verteidigungsbudget für das Haushaltsjahr 1974 quf 5,ff Milliarden, das sind 3,69 Prozent vom Gesamthaushalt des Bundes in diesem Jahr. Bundeskanzler Dr. Kreisky erklärte anläßlich einer Enquete zum Thema „Volk und Verteidigung“ am 26. Oktober 1973 in der Wiener Hofburg: „Es werden die Einrichtungen der Landesverteidigung so-sehr unseren Möglichkeiten und den Aufgaben, die wir haben, adäquat sein müssen,’ daß sie überzeugend, sinnvoll und ßnanziell vertretbar erscheinen.“ Bundesminister für Landesverteidigung, Karl F. Lütgendorf, meinte am 25. Juni 1974 bei einer Stadtgespräche-Sendung des ORF, daß er ein Verteidigungsbudget in der Höhe von etwa 7 Prozent des Gesamtbudgets für angemessen erachten würde. Die Sozialwissenschaftliche Studiengesellschaft veröffentlichte kürzlich ein Umfrageergebnis, nach dem sich 62 Prozent von 1400 befragten Österreichern gegen eine Erhöhung des Verteidigungsbudgets ausgesprochen hätteq.

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Armeekommandant General Span- nocchi meinte kürzlich: „Wir haben Kasernen, welche die Wirtschaft nicht einmal Hilfsarbeitern zumuten würde.“ Die Renovierung der Kasernen ist innerhalb absehbarer Zeit unerläßlich. Dazu kommt der bereits dringend gewordene Ausbau anderer Anlagen, wie etwa des Radarnetzes und verschiedener militärischer Versorgungseinrichtungen. Auch die sogenannte Mannesausrüstung, vor allem Bekleidung und Schuhwerk, muß nachgeschafft werden. Der Grundstock der Bewaffnung und die Geräteausstattung des Bundesheeres sind gut und modern. Notwendig aber ist ihre Ergänzung und Verstärkung. Das gleiche gilt auch für verschiedene andere Bedarfsgüter des Heeres.

Das alles macht in den nächsten Jahren einen beträchtlichen finanziellen Aufwand notwendig. Das Bundesheer hat nämlich seit seiner Aufstellung im Jahr 1955 durchschnittlich lediglich um die vier Prozent vom jeweiligen Gesamtbudget erhalten; nur im Jahre 1964 erhielt das Bundesheer 5,12 Prozent. Seit dem Jahre 1971 liegt der Personalaufwand ziffernmäßig über dem Sachaufwand. Aus der Sicht des Verteidigungsressorts ist damit der Politik die Aufgabe gestellt, die österreichische Öffentlichkeit mehr noch als bisher über die grundlegenden wehrpolitischen Angelegenheiten und die aktuellen Probleme des Bundesheeres zu informieren.

Geschichtliche Erfahrung zeigt, daß sich Krisen und Konflikte innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit entwickeln können. Wenn es heute auch nicht wahrscheinlich ist, so kann doch nicht ausgeschlossen werden, daß eines Tages in Mitteleuropa eine Lage entsteht, die eine starke militärische Sicherung unseres Staatsgebietes notwendig macht. Erst dann Verteidigungs Vorsorgen zu treffen, wäre nicht nur verfehlt, sondern wahrscheinlich auch aussichtslos, da man moderne Waffensysteme und militärisches Großgerät nicht wie ein Auto bei irgend einem Händler einkaufen kann. Abgesehen davon, daß in krisenhafter Lage kaum die Möglichkeit der Beschaffung von Kriegsmaterial gegeben sein würde, erstrecken sich die Lieferfristen bei derartigen Gütlrn mitunter über Jahre.

Daraus resultiert die Verpflichtung der Bundesregierung, nach Maßgabe einer umfassenden politischen Lagebeurteilung auch unpopuläre Maßnahmen zeitgerecht zu setzen; so etwa, was die Erhöhung des Verteidigungsbudgets und, damit zusammenhängend, die Beschaffung von Waffen, Gerät und militärischen Versorgungsgütern anlangt.

Fachleute erachten heute ein Verteidigungsbudget in der Größenordnung von rund 15 Milliarden Schilling für notwendig. Ein Anteil des Verteidigungsbudgets von sieben Prozent am Gesamtbudget wäre daher ein Minimalerfordernis. Nur solchermaßen wäre wohl dem oben zitierten Grundsatz des Bundeskanzlers Rechnung getragen. Anderseits wäre nämlich die Frage nach der Wirtschaftlichkeit des Heeres zu stellen, wenn es einer über Jahre unzureichenden Budge tierung wegen nicht in der Lage wäre, den gestellten Aufgaben zu genügen.

Der Generaltruppeninspektor General Leeb hat erst kürzlich erklärt, daß man in der Werbung gesagt habe, „Kommt zu uns, wir haben neue Uniformen, nette Kasernen“ und nichts davon sei wahr gewesen. Nun, die Feststellung einer solchen Tatsache wirft die Frage auf, ob eine militärische Institution, die mit solchen Mängeln behaftet ist, sowohl überzeugen als auch finanziell vertretbar erscheinen kann.

Der Artikel VIII der Wehrgesetznovelle 1971 ordnet die unverzügliche Aufstellung einer Bereitschaftstruppe an und macht es der Bundesregierung für den Fall, daß die von ihr bestimmte Stärke der Bereitschaftstruppe nicht erreicht wird, zur Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen, die zur Erreichung des notwendigen Umfanges der Bereitschaftstruppe erforderlich sind. Generaltruppeninspektor General Leeb erklärte erst im Vormonat: „Tatsache bleibt aber, daß ein Reformziel, die Auffüllung der Bereitschaftstruppe durch Freiwillige, bis Ende 1974 nicht erreicht werden wird.“ Es scheint daher fraglich, ob bei Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung, die wir alle wünschen, das erwähnte Reformziel überhaupt erreichbar ist.

Tatsache ist, daß sich bislang nicht genug Freiwillige für zusätzliche Kaderübungen gemeldet haben; solche Übungen dienen der Ausbildung von Kommandanten im Rahmen des Reserveheeres. Deshalb scheint es fraglich zu sein, ob dem nach 1976 zur Verfügung stehenden neuen Reserveheer auch neues MobKaderpersonal in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen kann.

Wie der Tagespresse zu entnehmen war, fehlt es manchen Einheiten an Ausbildungspersonal. Dazu kommen das Problem der Überalterung des Offiziers- und Unteroffizierskorps sowie das der organisatorischen und personellen Anforderungen im Zusammenhang mit der Durchführung der wehrgesetzlich vorgeschriebenen Truppenübungen.

Zufolge der kurzen Grundwehrdienstzeit und der Notwendigkeit, für den Fall der Mobilmachung einen gewissen organisatorischen Rahmen zu halten, ist es lediglich möglich, die Verbände der Bereitschaftstruppe alle neun Monate, und jene der Landwehr einmal jährlich mit Soldaten des Grundwehrdienstes aufzufüllen. Trotz der Notwendigkeit, Truppenübungen durchzuführen, ist es bislang unvermeidlich, daß Truppenteile zeitweilig „leer“ stehen und für gewisse Zeiträume nur über ein sogenanntes „Uberbrückungskontingent“ an jungen Soldaten verfügen.

Die Kommandanten der 3. und 9. Panzergrenadierbrigade des Bundesheeres haben vor nicht allzu langer Zeit gelegentlich ,von Manövern erklärt, daß man in der sechs Monate dauernden Grundwehrdienstzeit alles daransetzt, die jungen Soldaten so zweckmäßig als nur möglich auszubilden. In dieser Zeit könnte man sie jedoch nur für Hilfsfunktionen ausbilden, weil me chanisierte Truppen Spezialisten mit einer langen Ausbildungszeit benötigen. Dabei wurde darauf hingewiesen, daß auch die neunmonatige Dienstzeit für die Panzertruppe zu kurz war. Es dürfte nicht mehr allgemein erinnerlich sein, daß Spitzenfunktionäre der SPÖ vor den Nationalrats wählen 1970 mit sachlicher Berechtigung erklärten, daß die SPÖ sowohl für eine Ver längerung als auch für eine Verkürzung der damals neunmonatigen Grundwehrdienstzeit eintrete,

nämlich für eine fünfzehnmonatige Grundwehrdienstzeit für mechanisierte und andere Spezialtruppen, für sechs Monate Grundwehrdienst vor allem für die Infanterie.

So wie die Dinge heute liegen, scheint also die Grundwehrdienstzeit von sechs Monaten nicht geeignet zu sein, ein optimal wirtschaftliches System im Betrieb des Heeres zuzulassen.

Nachdem wir vor allem im ge- sellschaftspolitischen Bereich darangegangen sind, das einmal Undenkbare zu denken, stellt sich die Frage, ob es nicht an der Zeit wäre, im wehrpolitischen und militärischen Bereich das angeblich politisch Unrealistische und Undenkbare zu denken. Ob eine Erhöhung des Verteidigungsbudgets oder eine Verlängerung der Grundwehr- ■dienstzeit zweckmäßig ist, entscheidet sich mit der Antwort auf die Frage, welches Maß an Einsatzbereitschaft das aktive Heer, und welche Stärke das mobilgemachte Heer (Reserveheer) besitzen soll.

Nach den in der Öffentlichkeit von maßgeblicher Seite abgegebenen Erklärungen ist das Bundesheer erst nach Mobilmachung einsatzbereit. In einem Krisenfall könnte eine frühzeitig notwendig werdende Mobilmachung bedenkliche politische Auswirkungen haben, so daß es wünschenswert erscheint, so bald als möglich über eine voll einsatzbereite Bereitschaftstruppe in der ursprünglich konzipierten Stärke und Zusammensetzung zu verfügen. Das bedeutet zusätzlich

12.0 bis 15.000 freiwillig längerdienende Soldaten, die man allerdings bislang nicht gewinnen konnte. Vielleicht, weil das Bundesheer seit jeher nicht genug Mittel erhielt, um seine Einrichtungen im Sinne der Aussage des Bundeskanzlers wirklich überzeugend zu gestalten; also sich nicht nur modern, sondern auch in erforderlicher Stärke zu bewaffnen und die Qualität des Dienstbetriebes auf jenes Niveau anzuheben, das auch die Nachbarstaaten besitzen. Das ist einerseits eine Frage der Budgetierung und eine Frage der Länge der Grundwehrdienstzeit, anderseits der wehrrechtlichen Grundlagen und der Organisation.

Nach durchschnittlich mehrwöchiger Grundausbildung muß auch ein verhältnismäßig großer Prozentsatz an Soldaten zu verschiedenen Hilfsdiensten herangezogen werden; ebenso wie bei der seinerzeitigen neunmonatigen Dienstzeit als Kraftfahrer, Telefonisten, Köche usw. Solcher Hilfskräfte bedarf das Heer zur Sicherstellung des Betriebes. Sofern sich diese Soldaten nicht freiwillig zum sogenannten Durchdienen, also zu einer durchgehenden Dienstzeit von acht Monaten verpflichten, müssen sie innerhalb der darauffolgenden fünf Jahre 30 Tage, und in weiteren acht Jahren 30 Tage Truppenübungen ableisten.

Die Truppenübungen wären bei längerer Grundwehrdienstzeit eine an sich zweckmäßige Lösung, soweit es darauf ankommt, die Einsatzfähigkeit der ausgebildeten Soldaten und deren Beorderung für den Mobilmachungsfall sicherzustellen. Es ist aber zweifellos unzweckmäßig und unwirtschaftlich, Soldaten, die lediglich eine achtwöchige Grundausbildung erhalten haben, zu Truppenübungen einzuberufen, weil es ausgeschlossen erscheint, in 60 über 13 Jahre verteilten Ausbildungstagen vier bis fünf Monate militärischer Ausbildung nachzuholen. Es ist aber auch unwirtschaftlich, Soldaten auszubilden, die man in der Reservearmee nicht mehr verwenden kann. Es liegt auch auf der Hand, daß ein Soldat mit einer Sechs-Monate-Ausbildung im allgemeinen einem Soldaten mit 15- oder gar 24monatiger Ausbildung unterlegen sein wird.

Militärische Fachleute haben stets darauf hingewiesen, daß eine längere Dienstzeit von 15 bis 18 Monaten zweckmäßig wäre. Fest steht, daß erst bei einer derartigen Länge der Grundwehrdienstzeit, die heute allenthalben als Utopie angesehen wird, und einem Verteidigungsbudget von sieben bis zehn Prozent des Gesamthaushaltes eine ökonomische Führung des Bundesheeres möglich wäre.

Die Qualität der Ausbildung könnte auf internationalen Standard an gehoben werden. Es wäre damit das Kaderpersonalproblem zu lösen. Es wäre auch damit zu rechnen, daß sich mehr Leute als bisher dem Unteroffiziers- oder Offiziersberuf zuwenden. Die Personallage des Reserveheeres wäre alsbald kein Problem mehr. Die Auslese der zum Wehrdienst einzuberufenden Personen könnte unter strengeren Maßstäben erfolgen; nur tatsächlich den physischen und psychischen Anforderungen des Militärdienstes entsprechende Männer würden einberufen werden. Die Zahl der alljährlich auszubildenden Soldaten könnte so knapp gehalten werden, daß keine „Überproduktion“ an Reservisten entsteht; das würde für viele junge Österreicher bedeuten, daß sie überhaupt nicht zum Militärdienst herangezogen werden. Das würde für den Staat bedeuten, daß er nicht Geld und Arbeitszeit zur Ausbildug von Leuten verwendet, deren er in der Folge nicht mehr bedarf.

Hinsichtlich der finanziellen Abgeltung der Wehrdienstleistung ließe sich zweifellos ein- Weg finden, der kaum einen Verwaltungsaufwand bedeuten würde; etwa bei steuerlicher Berücksichtigung.

Ein Bundesheer, das den gestellten Aufgaben adäquat sein soll, bedarf in unserer geopolitischen Lage einer verhältnismäßig hohen Einsatzbereitschaft und beträchtlicher militärischer Stärke. Das hätte einige Korrekturen, vor allem legistischer Art, sowie eine Anhebung des Verteidi- dungsbudgets auf etwa 7 Prozent des Gesamtbudgets zur Voraussetzung. Dann wäre das Bundesheer für den Staatsbürger überzeugend, sinnvoll und auch finanziell vertretbar.

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