6845464-1976_18_02.jpg
Digital In Arbeit

Wer hat Mut, unbequem zu sein?

Werbung
Werbung
Werbung

ICH sehe sie vor mir, die Frau Wissenschaftmini-ster Firnberg, der gewiß nicht ganz wohl zumute ist, wenn sie an die Besetzung eines der heiklen Posten der Wiener Akademie der bildenden Künste denkt. Denn seit Fritz Wotrubas Tod wartet der Sessel auf einen neuen Mann. Aul einen Künstler von gewaltigem Kaliber, einen Steinbildhauer, der — so denkt wohl mancher zu Recht — die große Wiener Tradition der Wotruba-Zeit fortsetzen muß. Denn aus der Klasse Wotrubas zu kommen, das zeugte schließlich für jeden von Format. Auch international. Ich denke bloß an all die Prominenten, die von ihm herkamen: an einen Urteil, einen Avramidis, Hoflehner...

Da mußte' nun das Kollegium der Akademie der Ministerin einen Dreiervorschlag für die Wotruba-Nachfolge vorlegen. Man sah sich also um, fühlte zu-

erst bei der internationalen Prominenz vor. Tinguely, Luginbühl, sogar Oldenburg standen im Gespräch. Bedauerndes Ablehnen überall. Sogar den Hinweis mußte man einstecken, daß Wien in Sachen Kunst halt am End' der Welt liege (um nichts weitaus weniger Feines zu zitieren!). Aber das wäre doch eigentlich der Moment gewesen, in dem sich alle Beteiligten, vom Kollegium bis hinauf zur Ministerin, hätten fragen müssen, warum Wien eigentlich noch immer so abseits aller Ereignisse liegt (auch wenn Wiener Selbstgefälligkeit und Phantasterei sich sogar da gern als Mittelpunkt der Welt sieht). Warum etwa in der Enklave Berlin sich viel mehr abspielt?

In einer Analyse wäre man drauf gekommen: „Goldschätze aus Peru“ und „Thrakisches Gold“, „Chinas Kunst“ und „Rußlands Wandermaler“, Maulbertsch und Babenberger ... Gewiß, das

sind alles bedeutende, notwendige Ausstellungen. Auch daß Wiens Kleingalerien sich offenbar schon stündlich vermehren, schadet nicht. Aber wird deshalb auch schon das Wiener Publikum in Sachen Kunst der Gegenwart intensiver informiert? Gibt es in Wien deshalb auch schon eine fruchtbare Auseinandersetzung mit moderner Kunst?

Gibt es deshalb schon beim Publikum echtes Engagement?

Wohl kaum. Der immer gleiche Clan von Menschen zieht von Galerie zu Galerie wie eine andere Gruppe Opernhäuser und eine dritte etwa Burg und Josefstadt bevölkern. Und über diese Enge des Spielraums in der Auseinandersetzung mit der Gegenwart hinauszukommen, versuchen nur wenige. Ja, das Fernsehen trachtet offenbar sogar, den Spielraum noch zu verengen, indem es intern schon allem den Kampf ansagt, was nur irgendwo nach Avantgarde oder „höheren Ansprüchen“ riecht... Im Grunde sind an dieser Enge jene schuld, die eigentlich dagegen auf die Barrikaden gehen müßten: das Museum des 20. Jahrhunderts zum Beispiel, zu einem Schattenreich internationaler Kunstereignisse hinuntergeschlittert, scheint heute — verglichen mit der Direktionsära Werner Hofmanns — weder imstande, seine Bestände um Wichtiges zu vermehren, noch konsequent Auseinandersetzungen mit der Moderne in breite Publikumskreise hineinzutragen. Ein Bild der Lethargie.

Auch die Mehrzahl der großen internationalen Ausstellungen, von Brancusi bis zum „Bauhaus“, zieht an Wien vorbei. An den Schulen sieht man moderne Kunst scheel als Absurdität an. Und die

„Popularisierungsmaßnahmen“ des Museums beschränken sich vorwiegend auf Kindermalaktiö-nen, wo ständige Auseinandersetzung mit Kunst im soziologischen Zusammenhang entscheidend wäre.

Und gar erst die Werke der führenden Bildhauer der Welt: Wann werden sie schon in Wien gezeigt? Wann kann Wiens Publikum sich da schon eine Meinung bilden, wer interessant ist, Neues macht, was Original und was Aufguß ist. Informationsnotstand also, der von Jahr zu Jahr größer wird, weil die Versäumnisse immer weniger aufzuholen sind.

Diese Situation prägt auch die Vorschläge des Akademiekollegiums für die Wotruba-Nachfolge: da Bruno Gironcoli, verdienstvoll-eigenbrötlerischer Künstler aus dem Freundesumkreis um Rainer und Pichler in der Galerie nächst Sankt Stephan; ferner Rudolf Wach, in Mailand arbeitender Wotruba-Schüler, der die Steinbildhauertradition aufrecht erhalten könnte; schließlich Francesco Somaini, Vertreter einer elegantglatten Linienführung in der italienischen Plastik. Das sind die drei Vorschläge. Doch wer annimmt, die Öffentlichkeit, vor allem auch die Studenten, hätten eine Möglichkeit gehabt, sich bei der Nennung der drei Künstler

auch über deren Werk zu informieren, irrt gewaltig. Durch einen (vielleicht gelenkten?) Zufall wurde zwar Somaini im „Zwanzgerhaus“ präsentiert. Aber eine Gironcoli-Ausstellung wird frühestens 1977 aktuell. Und Rudi Wachs Werk bleibt überhaupt im Dunkel.

Was ist mit all den anderen, die in Österreich für diese Professur in Frage gekommen wären, wird man fragen. Ein Alfred Hrdlicka, renommierter Professor in Hamburg und Stuttgart, der durch sein Werk den meisten Anspruch auf diese Professur hätte? Oder ein Walter Pichler oder Karl Prantl? Die letzten beiden winkten gleich dankend ab (Prantl befand den Weg an die Akademie als einen „Tod im Akademismus“), und Hrdlicka, der politisch Aggressive, ein bißchen Unbequeme, war nicht einmal bereit, sich schriftlich zu bewerben. Was dem Kollegium, das aus seiner Verlegenheit ohnedies nicht so recht herausfand, gewiß nicht ungelegen kam. Man ersparte sich halt eine definitive Reihung, weil sich ohnedies die Ministerin den Kopf zerbrechen muß. Bedauerlich nur für die Studenten, die in Wien Steinbildhauerei studieren wollen. Wen wird man ihnen also vor die Nase setzen? Und vor allem: Wird es ein Professor sein, der diesem fatalen Wiener Kunstklima endlich Denkanstöße verpaßt, Impulse gibt, einer, der den Mut haben wird, sich notfalls unbeliebt zu machen?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung