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Wer ist am stärksten auf Hilfe angewiesen? / Was Prominente dazu meinen

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Vielfältig sind die Weisen der Hilfs­bedürftigkeit. die uns begegnen, nicht aufzählbar sind die Erscheinungsfor­men von Leid und Elend in aller Welt. Die Massenmedien informieren uns heute laufend über neue Katastrophen und Notsituationen größten Ausma­ßes. Können wir daran überhaupt noch persönlichen Anteil nehmen, ist uns die Fähigkeit, mitzuleiden noch gegeben, und wenn ja, welche Gruppe von Hilfs­bedürftigen liegt uns am meisten am Herzen?

Die FURCHE fragte vier promi­nente Persönlichkeiten um deren Mei­nung

Ulli Maier:

Ich habe lange nachgedacht, wie ich diese Frage beantworten soll. Irgend­wie ging es mir, als ob ich in einen Sack mit Kugeln greifen soll und eine heraus­holen muß. Welche Gruppe braucht un­sere Hilfe besonders: hungernde Kinder in der 3. Welt, dicke Kinder bei uns, die nach Liebe hungrig sind, alte, einsame Menschen, Körperbehinderte? Eine ganze Zeitung könnte damit gefüllt werden.

Es gäbe viel zu tun: Da sind Diktatu­ren in Chile und Südafrika, Diktaturen, die sich auf Karl Marx berufen, da sind Demokratien, in denen Politiker gegen Volksabstimmungen aufbegehren; da sind Jugendliche, die im Rauschgift die Lösung ihrer Probleme suchen und Menschen, die es nicht dulden, daß in ihrer Umgebung ein Behandlungszen­trum für Drogensüchtige existiert.

Nächstenliebe für eine bestimmte Personengruppe zu einer bestimmten Zeit? Das finde ich seltsam. Wenn schon Liebe - ein viel zu großes Wort dafür, was meistens kaum mehr sein kann als Verständnis und Toleranz -, dann für alle und zu jeder Zeit. Nicht nur, wenn ein Feiertag uns dazu nötigt, lieb und freundlich zu sein. Nicht nur.

weil wir ein Alibi brauchen für den Rest des Jahres.

(Ulli Maier ist Schauspielerin am Volkstheater in Wien)

Paul Flora:

Es gibt allzuviele Menschen auf die­ser schlechtesten aller Welten, die er­bärmlich und schrecklich leben und zu Tode kommen, weniger durch Natur­ereignisse als durch die Schlechtigkeit und Verrücktheit ihrer Mitmenschen.

Ich wage nicht zu entscheiden wer unter all den Unglücklichen am übel­sten dran ist und unserer Hilfe am mei­sten bedürfte. Was wir tun können und was wir tun, ist angesichts der Größe des Problems und auch angesichts unserer relativen Gleichgültigkeit herzlich we­nig.

Ich bewundere Menschen; die den Mut und die Konsequenz haben, Initia­tiven des Helfens zu ergreifen. In Inns­bruck zum Beispiel haben einige Leute mit Hausverstand und humanem Emp­finden den KIT-Verein gegründet. KIT meint Kontakt, Information, Therapie und bemüht sich, drogenabhängigen Jugendlichen zu helfen.

Dieser Verein hat in Steinach am Brenner eine weniger im Sinne einer Drogenklinik sondern mehr in der Art einer Großfamilie geführte Therapie­station aufgebaut - übrigens neben Wien-Mödling die einzige in Öster­reich. Sie wird von einem Ehepaar, das nebenher noch eine Beratungsstelle und eine Nachbetreuungswohngemein­schaft in Innsbruck führt, aufopfernd und erfolgreich geleitet. Das Unterneh­men wird wohl von den Behörden un­terstützt, ist aber auf private Hilfe an­gewiesen. Wer ein Herz für ratlose und mit ihren Problemen allein gelassene Jugendliche hat, könnte den Verein mit Spenden, auch Buchspenden unterstüt­zen.

(Sparkasse der Stadt Innsbruck Konto 0000-085134 KIT-Verein bzw.

KIT-Verein, 6150 Steinach, Haus Her- rengschwend)

(Paul Flora ist Graphiker und lebt in Innsbruck)

Hanns Koren:

Die Frage will eine Antwort haben, aber kaum meint man, ja, da sind die Ärmsten, kommen immer deutlicher dunkle Schatten über 'die nächste Gruppe. Man überlegt immer wieder, weil man vorschnell niemandem den Vorzug geben und dem anderen damit Unrecht zufügen will.

Die Frage weckt viele Gedanken: ob­wohl sie in diesen Tagen gestellt wird, spekuliert sie gewiß nicht mit dem zur „Stillen Heiligen Nacht“ so leicht zu rührenden und gebefreudigen Herzen. Es geht nicht nur um den lieben Kinder- vers: Vergiß der Armen nie. So schön und gut Kinder- und Altenbescherun­gen, Weihnachtsgaben, Geschenke, Spenden und Almosen sein mögen, das Weihnachtliche berühren sie nur am Rande.

Merkwürdige Widersprüche, Miß­verständnisse um die Kindheitsge­schichte Jesu, sogar Theologen reden von Legenden, denen der eigentliche hi­storische Inhalt fehlt. Sosehr hat die Verniedlichung die Erlebnisse und die Berichte der Herbergssuche, der Unter­kunft im Stall, der Flucht nach Ägyp­ten, des bethlehemitischen Kindermor­des (also Angewiesensein, Heimatver­treibung, brutale Verfolgung des kaum Geborenen) zur Idylle werden lassen, in deren friedlicher Atmosphäre sich in gegebenen Grenzen gut sein läßt. Als ob es nicht elementare Aussagen wä­ren, die in ihren Bildern eine innere Wahrheit mitteilen, so wie manche an­dere Bibelstellen auch, an deren Histo- rität die Exegeten zweifeln mögen.

Die Notlagen, Leiden und Miß­stände der Menschheit sind sozusagen im Bericht von der Niederkunft des zum Kreuze Entschlossenen program­miert. Wer von ihnen ist auf unsere Hilfe

wohl am meisten angewiesen? Die Ärmsten sind gewiß die, die im vollen klaren Bewußtsein ihr Ausgestoßensein, ihre Schmerzen, ihre Almosen, ihre Peinigungen, ihr Zurückgebliebensein ertragen müssen.

Ich weiß es nicht und will nichts Un­rechtes sagen, aber vielleicht tragen die ihr Leid um einen Grad leichter, die ihre Not in einer leichten Dämmerung des Bewußtseins nicht so heftig erken­nen. Arm sind sie alle, die in Gefängnis­sen und Spitälern, die um der Freiheit des Glaubens willens Gepeinigten, die Hilflosen, Alten und unheilbaren Kran­ken. Wer bringt in sich die Kraft der Nächstenliebe auf, die sie alle erreichen könnte?

Dann denke ich an die, die am mei­sten auf unsere Hilfe angewiesen sind, an unser Gedenken, an unseren Glau­ben und an unsere stärkere Zuversicht für ihr Opferleben.

Ich denke an alle die, die dem Bei­spiel der Mutter Teresa folgend ihr Le­ben für die anderen opfern. Es bleibt mir unvergeßlich, das Bild der blutjun­gen Kreuzschwester mit dem frischen Gesicht einer steirischen Bauerntoch­ter, die knapp vor Weihnachten die völ­lig hilflosen, immer lallenden, mit ver­renkten Gebärden sich verständigen­den, immer auch mit Schwamm- und Taschentuch zu versorgenden Kinder „Fröhliche Weihnachten“ ihren Eltern mit Farbstiften auf Buntpapier schrei­ben lehrte. Wenn die kleine Schwester nicht weiß, daß der liebe Gott beim Fenster herein^chaut, könnte sie als schwacher Mensch ihre Arbeit nicht er­tragen.

Das glaube ich, sind die Wichtigsten, die brauchen unsere Hilfe am meisten, die an unser aller Stelle das Menschli­che vollbringen, zu dem wir die gerin­gen Almosen beitragen, die wir aber mit der ganzen Kraft unserer Gesin­nung unterstützen müssen, daß sie fest bleiben und durchhalten und nicht nur ihren kleinen Schützlingen mütterliche

und schwesterliche Hilfe geben, son­dern der ganzen Welt mit ihrem Bei­spiel in das Gewissen reden.

(Hanns Koren ist Präsident des Steiermärkischen Landtags und lebt in Graz)

Klausjürgen Wussow:

Betrachten wir dieses Jahrhundert, so hatten wir noch nie so lange Zeit Frieden wie jetzt in den Jahren von 1945 bis heute, hier in Mitteleuropa. Nun wird er mehr und mehr ein trügeri­scher Frieden. Im Grunde ist es auch keiner, so wenig, wie Ruhe herrscht, hier in Europa wie in der Welt.

Der Wohlstand wuchs und wir haben alle fast zuviel. Wir scheinen auch nicht mehr in der Lage zu sein, es uns bewußt zu machen, daß auch mit weniger aus­zukommen ist.

Unruhen in Lateinamerika, der Nahe Osten kommt ebenso wenig zur Ruhe wie Vietnam, Persien brennt, Terror herrscht in vielen Ländern der Welt, Flüchtlingselend und Hunger in Afrika.

Was erschüttert mich am meisten?

Die Kinder überall in der Welt, die hungernden Kinder überall in der Welt. In einer Welt, die für alle Platz hätte, die Raum genug bieten würde, für alle da zu sein, Erde genug, sie zu bebauen, zu säen und zu ernten, genug für jeden, der Hunger hat, für jeden Lebenden, Hungernden.

Die Kinder, hineingeboren in eine Welt der Menschen, von Menschen, die nicht begreifen können und wollen, daß nur Liebe und Nächstenliebe diese Erde und auch die Menschen dieser Erde fortbestehen läßt.

Das Schicksal all der Kinder, die nicht wissen, was Hunger ist und Durst, die Hunger und Durst nur fühlen. Das ist es, was mich bewegt und erschüttert und was mich zweifeln läßt an uns allen. (Klausjürgen Wussow ist Kammerschauspieler des Burgtheaters in Wien)

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