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Wer ist der eigentliche Aggressor?

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Jetzt war er also auch in Wien, der Ministerpräsident Rest-Jugoslawiens, Milan Panic. Es gelang ihm aber nicht, die hier weilende Delegation des US-Senats zu überzeugen. George Mitchell, der demokratische Mehrheitsführer im Senat stellte eindeutig fest, daß die USA Serbien als den Hauptaggressor betrachten. Immer wieder wird nämlich von serbischer Seite vor einseitigen Schuldzuweisungen gewarnt. Und auch hierzulande wird manchmal so feinsinnig differenziert, daß man sich damit die Antwort auf die Frage erspart, wer denn eigentlich in diesem Krieg der Aggressor sei. Es wird dabei manchmal so argumentiert, daß alles nicht so weit hätte kommen können, wenn Slowenien und Kroatien sich nicht von Jugoslawien losgesagt hätten.

Dabei wird vergessen, daß Slowenien und Kroatien durchaus versucht hatten, mit Konföderationsvorschlägen eine Eskalation zu verhindern. Nur: Die Serben wollten nicht. Es wird auch vergessen, daß es der Kroate Stipe Mesic war, der als Präsident noch die Fiktion eines Einheitsstaates aufrechtzuerhalten versuchte, obwohl sich zeigte, daß eigentlich niemand mehr willens war,,die Autorität dieses Präsidenten anzuerkennen.

Als die Bundesarmee versuchte, in Slowenien einzumarschieren, gab es dort keine serbische Minderheit zu verteidigen, und als sich Bosnien-Herzegowina

für selbständig erklärte, wurde dem Präsidenten dieses Staates, dem Moslem Izetbegovic, der Vorwurf gemacht, er habe zu sehr darauf vertraut, daß das Auseinandergehen vielleicht doch friedlich vor sich gehen könne.

Daß in einem solchen Krieg von allen Seiten Greuel begangen werden, ist eine bittere Wahrheit. Aber die Frage der Quantität spielt hier doch auch eine nicht unwesentliche Rolle. Und eines sollte doch eindeutig sein: Jedes Land hat zwar ein Recht, seine Minderheit zu schützen, aber kein Volk agiert wie die Serben, die alles als serbisch erklären wollen, wo eine serbische Minderheit lebt. Weil sie gar nicht anerkennen wollen, daß es sie auch als Minderheit gibt. Und wo sie die Macht haben, wie im Kosovo, unterdrückt die Minderheit die Mehrheit.

Es gibt Formen der Differenzierung, die dem Versuch gleichkommen, eine Neutralität dort zu bewahren, wo es nicht mehr möglich ist. In Bosnien-Herzegowina wird mit brutaler Konsequenz „ethnisch gesäubert", und eine wohlgerüstete Militärmacht (aufgebaut nicht zuletzt mit Mitteln des Westens) schafft mit Gewalt ein sogenanntes einiges serbisches Reich. Wer das ignorieren möchte, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, den Aggressor nicht beim Namen nennen zu wollen und ihm damit für weitere Aktionen Mut zu machen.

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