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Wer ist ein gläubiger Christ?
Der Autor ist Student der Publizistik und der Kunstgeschichte in Wien
Der Autor ist Student der Publizistik und der Kunstgeschichte in Wien
Es war noch vor nicht allzu langer Zeit, als ich mit einer Person, die ich nicht näher benennenwill, ein Gespräch führte. Sie sagte etwa so:
Du brauchst nicht zu glauben, daß ich kein guter Christ bin, weil ich nicht jeden Sonntag in die Kirche gehe. Wenn ich andernorts mein Gebet verrichte, so hört m ich Gott genauso. Gott ist überall, ob in der freien Natur, ob am Arbeitsplatz oder zu Hause. Ich muß meiner Arbeit nachkommen, so viel Zeit wie die „Betwei-ber" habe ich nicht, die jeden Tag in die Kirche gehen und beten. Außerdem sind die gar nicht so fromm, wie du vielleicht glaubst. Sie treffen sich oft nur, um die Leute auszurichten .
Man darf nun nicht dem Fehler verfallen, diese Aussage auf die Goldwaage zu legen. Freilich war mein Gesprächspartner bemüht, seinen nur spontanen Kirchenbesuch zu rechtfertigen. Daß er dazu einen bestimmten Personenkreis heranzieht, diesen einem Allgemeinurteil unterzieht und sie abwertend mit „Betweiber" tituliert, ist sicherlich nicht ehrenhaft, aber verständlich.
Mir geht es aber nicht darum, die Rechtfertigung eines Menschen zu kritisieren (dazu bin ich nicht berechtigt), wesentlich scheint mir ein besonderer Aspekt dieser Aussage, den ich anhand einer Frage formulieren will: Ist ein Mensch, der jeden Tag in die Kirche geht, ein besserer, ein gläubigerer Christ, als einer, der nur spontan in die Kirche geht?
Könnte man sich den Platz im Himmel sichern, indem man öfter zur Kirche geht, so wäre diese wahrscheinlich überfüllt, aber von Ungläubigen und Egoisten, die sich insgeheim freuen, mit diesem Kirchenbesuch wiederum dem Himmel einen Schritt nähergekommen zu sein.
Niemand kann sagen, ob er auserwählt ist, in den Himmel aufgenommen zu werden, aber man kann und darf hoffen, daß Gott Gnade und Barmherzigkeit übt, wenn man sich seiner Sünde bewußt wird, wenn man sich ehrlich bemüht, nicht zu fehlen.
Oft schon hörte ich den Ausspruch: „Das müssen gläubige Menschen sein, sie gehen jeden Tag in die Kirche!"
Liegt in diesem Satz nicht ein gefährlicher Trugschluß? Ist ein Mensch gläubig, weil er in die Kirche geht? Gibt es nicht auch Menschen, die das Gotteshaus besuchen, weil sie es so gelernt haben, weil sie es gewohnt sind? Gibt es nicht welche, die den Mitmenschen vortäuschen wollen, ein guter Christ zu sein?
Ich kann ein Gebet aufsagen und an etwas anderes denken, ich kann ein Gebet aufsagen und an nichts denken. Entscheidend ist aber, ein Gebet so aufzusagen, daß ich mir jederzeit bewußt bin, welche Gedanken, welcher Inhalt sich etwa im Glaubensbekenntnis verbergen.
So kann ein Mensch, der jede Woche in die Kirche geht, um ein Gebet zu verrichten, weniger Beziehung zu Gott haben als jemand, der einmal in der Woche ein Gebet verrichtet.
Viele besuchen das Gotteshaus, ohne zu wissen, daß sie sich von Gott immer mehr entfremden. Wenn man jeden Tag das Glaubensbekenntnis bemüht, besteht mehr und mehr die Gefahr, den Sinngehalt des Gebetes außer acht zu lassen, weil man ja ohnehin weiß, was damit ausgedrückt werden soll. Darin liegt der Fehler.
Gott will nicht nur das allgemeingültige Glaubensbekenntnis aller Menschen hören, das freilich die entscheidenden Grundgedanken des christlichen Glaubens enthält. Er will auch das individuelle Glaubensbekenntnis hören, die Sorgen, das Leid, das Glück, die Freuden eines Menschen, auch wenn es noch so ungeschickt und grammatikalisch falsch formuliert ist. Gott ist kein Schulmeister, der auf solche Äußerlichkeiten Wert legt.
Wie ich etwas sage, ist entscheidend, nicht, was ich sage. Worte sind gefährliche Werkzeuge des Menschen. Man kann mit ihnen etwas verschönern, verzerren, Doppeldeutigkeiten ausdrücken. Menschen können getäuscht werden, Gott nicht.
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