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Wer ist ein Psychologe ?

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Kaum zu glauben: Psychologe ist in Österreich, wer sich so nennt - und das darf jeder, der will. Aber die Tage dieses skandalösen Zustandes sind nun endlich gezählt.

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Kaum zu glauben: Psychologe ist in Österreich, wer sich so nennt - und das darf jeder, der will. Aber die Tage dieses skandalösen Zustandes sind nun endlich gezählt.

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Wer in Österreich derzeit den Beruf eines Psychologen ausübt, bewegt sich in einer Art Niemandsland. Die Anwendung psychologischer Erkenntnisse entbehrt jeder gesetzlichen Grundlage. Jeder kann sich Psychologe nennen und ohne Nachweis einer speziellen Ausbildung im ebenso komplizierten wie störungsanfälligen Bereich der menschlichen Seele als Berater herumfuhrwerken oder die ihm angemessen erscheinenden Techniken anwenden.

Diesem Zustand soll ein Ende bereitet werden. Schon vor 35 Jahren, als der Berufsverband österreichischer Psychologen gegründet wurde, war Hauptziel die

Schaffung eines Psychologengesetzes. Nun ist es in greifbare Nähe gerückt. Der Weg war mit vielen Hindernissen gepflastert.

Zunächst war der Gesetzgeber von der Notwendigkeit eines solchen Gesetzes zu überzeugen, was sich als nicht ganz einfach erwies, weil die Kompetenz zwischen Bund und Ländern aufgeteilt ist. Überdies wechselte immer, wenn sich Interesse und Verständnis für die Situation der Psychologen einstellten, der Gesundheitsminister. In der laufenden Legislaturperiode übernahm die Sektion Vplksgesundheit im Bundeskanzleramt diesen Bereich.

Seither ist man in der Sache weitergekommen. Das Kompetenzdilemma konnte überwunden werden, indem man eine überregionale Rechtskonstruktion ins Auge faßte, nämlich die Schaffung einer Psychologenkammer, an deren Mitgliedschaft die Ausübung psychologischer Tätigkeit gebunden sein soll. Diese Lösung war für den Großteil der Betroffenen akzeptabel, blieb jedoch nicht unumstritten, weil Kammern oft mit autoritären, restriktiven Institutionen gleichgesetzt werden.

Eine zweite Hürde waren die Widerstände anderer Berufsgruppen. Offensichtlich herrschte lange Zeit Unsicherheit und Verwirrung, für wen das Gesetz nun gelten sollte, denn mit psychologischen Erkenntnissen arbeiten längst nicht nur Psychologen. Es ist grundsätzlich auseinanderzuhalten, ob psychologisches Wissen für die Behandlung und Beratung eines einzelnen eingesetzt wird oder Voraussetzung für andere Tätigkeiten darstellt.

Der Kreis, auf den letzteres zutrifft, besteht hauptsächlich aus Soziologen, Markt- und Meinungsforschern, Werbefachleuten und Betriebsberatern. Sie sind von dem zu erwartenden Gesetz nicht berührt. Auch die Gruppendynamik fällt nicht unter die Kategorie der spezifisch psychologischen Behandlung und ist daher ausgeklammert.

Schwierig gestaltete sich die Abgrenzung der Psychologen gegenüber Berufen, mit denen es Überschneidungen gibt: Ärzten, Pädagogen, Psychotherapeuten, Lebens- und Sozialberatern. Das Gesetz wird eindeutig festlegen, wer sich Psychologe nennen und für seine Tätigkeit die Bezeichnung „psychologisch“ führen darf. Es sind Absolventen des Studiums der Psychologie als Hauptfach.

Auch ihre Tätigkeit ist klar umrissen. Sie umfaßt vor allem die Feststellung der psychischen Beschaffenheit von Menschen, was Leistungsfähigkeit, Persönlichkeitsmerkmale und psychische Veränderungen betrifft, und die Prognosen, die sich darauf gründen. Der zweite Schwerpunkt ist die psychologische Beratung, Betreuung und Behandlung bei Störungen (niemals aber Krankheiten im ärztlichen Sinn!) mit dem Zweck, sie zu mildern oder zu beseitigen.

Übergang ohne Härten

Der Schutz von Titel und Tätigkeit des Psychologen ist zugleich ein Schutz für den „Konsumenten“ vor Mißbrauch durch nicht geeignete Personen, denn mit psychologischem Wissen allein ist es nicht getan. Der Psychologe ist ethischen Prinzipien verpflichtet, und in seiner Ausbildung wird seine persönliche Eignung mehrfach überprüft. Für Nicht-Psychologen, die derzeit bereits Tätigkeiten im genannten Sinn ausüben, sind im Gesetz Ubergangsbestimmungen vorgesehen, um soziale Härten zu vermeiden.

Ursprünglich war es die Absicht des Gesetzgebers, Psychologie und Psychotherapie durch ein gemeinsames Gesetz zu regeln. Psychotherapie wird aber nicht ausschließlich von Psychologen, sondern auch von Ärzten und anderen Berufsgruppen betrieben. Die Psychologen plädierten, um eine gesetzliche Basis für alle ihre Belange zu erhalten, für getrennte Behandlung. Die Nicht-Psychologen unter den Psychotherapeuten fürchteten wiederum um ihre Berufserlaubnis bei einem solchen getrennten Vorgehen. Das steht jedoch keineswegs zur Debatte. Ein Psychotherapiegesetz, das ebenfalls angestrebt wird, soll vor allem die Ausbildungskriterien für den Psychotherapeuten regeln.

Konkurrenzängste

Ein Kernproblem bei der Erarbeitung des Psychologengesetzes war die Frage, ob ein Arzt vorgeschaltet werden soll, wenn ein Mensch psychologische Hilfe braucht. Die Ärzteschaft forderte das Delegationsprinzip mit der Begründung, daß alles, was mit Heilung von Menschen zu tun hat, also jede Art von Behandlung und Therapie, in den ärztlichen Verantwortungsbereich fällt. Dem stellten die Psychologen ihre berufliche Eigenverantwortung entgegen. Unterstützt von einer Rechtsauskunft des Justizministers, wonach für den Bereich der klinischen Psychologie auch Nicht-Ärzte bei einer entsprechenden Zusatzausbildung Berechtigung haben, konnten sie einen Kompromiß erzielen.

Besteht aber der Verdacht, daß das Problem, das der Psychologe behandelt, mit einer Krankheit zusammenhängt, muß ein Arzt beigezogen werden. Derartige interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Psychologen gibt es auch ohne gesetzlichen Hintergrund in der Praxis schon verschiedentlich. Sie ist wohl unumgänglich, wenn der Krankheitsbegriff etwas weiter gefaßt wird, der Mensch damit aber in der Folge eine umfassendere Versorgung erhält.

Das Psychologengesetz soll auch dazu beitragen, die Psychologie von der Aura des Magischen und Geheimnisvollen, die ihr noch immer anzuhaften scheint, zu befreien. Eine wirklichkeitsnahe Einschätzung, wie diese Wissenschaft dem Menschen dienlich sein kann, könnte dem „langen Marsch durch die Institutionen“ nachträglich einen Sinn geben.

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