6827792-1974_21_09.jpg
Digital In Arbeit

Wer ist in der Kirche kompetent ?

19451960198020002020

Vor einiger Zeit sprachen mich zwei Theologen wegen des weiteren Schicksals der „Lex Fundamentalis“ an. Der eine meinte fragend: „Nach der Veröffentlichung gab es ein heftiges Protestgeschrei, dann wurde es ganz still. Ist die Sache jetzt gänzlich eingeschlafen?“ Der andere wollte wissen, ob es etwas zu berichten gäbe. „Eine ganze Menge, denn die Bischöfe haben inzwischen kritisch Stellung bezogen, wünschen jedoch einen Fortgang der Arbeit“, war meine Antwort, denn die Antworten, wie sehr sie auch widersprüchlich sind, laufen darauf hinaus, daß auf die Voll endung des Entwurfes nicht verzichtet werden sollte.

19451960198020002020

Vor einiger Zeit sprachen mich zwei Theologen wegen des weiteren Schicksals der „Lex Fundamentalis“ an. Der eine meinte fragend: „Nach der Veröffentlichung gab es ein heftiges Protestgeschrei, dann wurde es ganz still. Ist die Sache jetzt gänzlich eingeschlafen?“ Der andere wollte wissen, ob es etwas zu berichten gäbe. „Eine ganze Menge, denn die Bischöfe haben inzwischen kritisch Stellung bezogen, wünschen jedoch einen Fortgang der Arbeit“, war meine Antwort, denn die Antworten, wie sehr sie auch widersprüchlich sind, laufen darauf hinaus, daß auf die Voll endung des Entwurfes nicht verzichtet werden sollte.

Werbung
Werbung
Werbung

Aufschlußreich war dann die Gegenfrage: „Sind die Bischöfe denn überhaupt kompetent In dieser Materie?“ Ich konnte nicht umhin, dazu zu bemerken: „Nun hat man auf dem II. Vaticanum das Prinzip der Kollegialität stark hervorgekehrt. Sollen die Bischöfe jetzt etwa bekennen, daß sie zu dieser kollegialen Tätigkeit gar nicht befähigt sind? Oder besteht diese Kollegialität nur im Widerstand, den sie dem römischen Bischof entgegenzusetzen hätten?“ Der Gesprächspartner meinte: „Nicht die Bischöfe sind kompetent, sondern die Theologen!“ Erstaunt mußte ich fragen: „Glauben Sie nicht, daß die Bischöfe ihre Theologen konsultieren? Jeder von ihnen hat seine Ratgeber, keiner kann auf eine fachliche Auskunft verzichten“. Dann aber glitt die Katze aus dem Sack: „Es müßten eben die richtigen Theologen sein“.

Das Gerede von der Pluriformität der Kirche erwies sich in diesem Augenblick als unglaubwürdig. Solange nicht die „richtigen Theologen“ gefragt werden, ist alles, was als Demokratie, Transparenz und Dialog bezeichnet wird, eher hinderlich. Zu reden haben nur die, denen man das Recht zubilligen will.

Vielmehr sollte es Pflicht sein, allen Fachleuten, den „richtigen“ und den „unrichtigen“, das Recht auf Gehör zu schenken. Mit der Klassifizierung in fortschrittliche und konservative, zuverlässige und unzuverlässige Ist hier nichts getan. Schon diese Klassifizierung ist uniwissenschaftlich und menschlich ungerecht. Nur zu häufig zeigt es sich, daß die Ausschaltung von „unbequemen“ Fachleuten vielfache Gefahren in sich birgt. Die als zuverlässig bezeichneten Experten fühlen sich in ihrem Kreise keiner Kritik ausgesetzt, sie werden betriebsblind und intolerant. Gerade jenen, die man von der Diskussion ausschließt, hat man einen Dienst erwiesen; wurde ihnen doch der Vorwurf in die Hand gespielt, man habe sie gar nicht gehört, selbst wenn man ihre Publikationen kennt. Sie mußten sich nicht der Kritik stellen und es blieb ungesagt, wie unwissenschaftlich, wenig konstruktiv und vor allem emotionsgeladen so manche Veröffentlichungen sind. Richten sich doch nicht wenige Angriffe gegen die Tatsache, daß der Entwurf von einer rechtlich geordneten und hierarchisch strukturierten Kirche ausgegangen war. Die kurze Spanne zwischen Konzil und Veröffentlichung des Dokumentes hätte vergessen lassen sollen, daß das II. Vaticanum weder an der Rechtsnatur der sichtbaren Kirche, noch an ihrer Verfassung Zweifel zuließ.

Die dogmatische Konstitution über die Kirche und das Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe waren dazu angetan, der Rechtsordnung, so wie der Hierarchie ihren Platz zuzuweisen.

Dabei waren sich die Verfasser des angefeindeten Entwurfes durchaus im klaren, daß eine Rechtsordnung nicht die ganze Wirklichkeit der Kirche umfassen kann, sondern die Leitung „auch durch Gesetze“ (etiam legibus) zu erfolgen hat. Diese unscheinbare Wendung im Vorwort ist absichtlich oder unabsichtlich übersehen worden. Über den Versuch, hier im trüben fischen zu wollen, täuscht auch die Unterscheidung zwischen „Rechtskirche“ und „Liebeskirche“ nicht hinweg. Das erneute Auftauchen dieses oberflächlichen und unrichtigen Schlagwortes ist allerdings ein Zeichen dafür, daß man die These Sohms von den rechtsfremden Kirchen zu früh überwunden glaubte und sie deshalb im katholischen Raum nie emstlich ausdiskutiert hat.

Am 10. Februar 1971 war das Schema an die Bischöfe versandt worden. Kurz danach erfolgte auf eine Indiskretion hin die Befassung der Presse mit diesem Entwurf. Im Frühling und Sommer beherrschte eine vielfach unsachlich geführte Fehde das Feld, so daß man die Hoffnung aufzugeben versucht war, mit der Arbeit der Kommission noch etwas anfangen zu können. . Was dann folgte, war ein Schweigen, das beherrscht schien von der Devise: „Kein Grundgesetz der Kirche ohne Zustimmung des Gottesvolkes“. Nur muß man sich fragen, von wo das gern und oft zitierte Gottesvolk die sachliche Kompetenz hernimmt, wenn man den Bischöfen und ihren theologischen Ratgebern diese Fähigkeit abspricht Oder verbirgt sich hier der Ruf nach der Straße? *

Am 3. November 1971 berichtete Kardinal Fellci, Präses der Kodex-Revisions-Komimission, vor der Bischofssynode über das weitere Schicksal des Entwurfes. Inzwischen waren aus der ganzen Welt die Äußerungen jener eingetroffen, denen man legitimerweise das Dokument, übersandt hatte, nämlich die für inkompetent gehaltenen Bischöfe. Der große Teü der Bischöfe hat sich, so Felici, für die Ausarbeitung eines Grundgesetzes ausgesprochen.

Im Mitteilungsblatt der Revisionskommission, den Communicationes (1972, II, 122—160) veröffentlichte Professor Onclin, der Relator der Spezialkommission, eine Zusammenfassung der Stellungnahmen, die von den Bischofskonferenzen oder auch von einzelnen Vertretern des Episkopates eingetroffen waren.

Es würde den Rahmen dieser Veröffentlichung sprengen, wollte man den Bericht auch nur zusammenfassend wiedergeben; darüber hinaus zeigt sich eine verwirrende Vielfalt der Meinungen, die sich selten auf einen Nenner zurückführen lassen.

So konnte über den theologischen oder juristischen Charakter des Grundgesetzes keine Einstimmigkeit erzielt werden, obgleich die Meinung der meisten Bischöfe dahin ging, daß ein Grundgesetz sowohl theologische Grundsätze als auch die wesentlichen Rechtsnormen umfassen müsse. Nicht wenige Bischöfe verlangten, daß das Dokument juristisch sein müsse; es sei von theologischen Aussagen gänzlich oder zumeist freizuhalten.

Nicht wenige vertraten die Meinung, daß das Schema vom Geist des II. Vaticanums abweiche, andere hingegen sahen die Gefahr, daß eine Normierung der ständigen Reform der Kirche im Wege stehen könnte. Auch äußerten einige Bischöfe, daß die volle theologische Entwicklung und ihr Fortschritt nicht in genügender Weise ausgedrückt worden seien. *

Ein weiteres Augenmerk wurde dem Begriff der Kollegialität zugewendet. Wenn einige Bischöfe fanden, daß man diesen Begriff näher bestimmen und entfalten werde müssen, ging eine andere Meinung dahin, daß die Festlegung der Kollegialität nicht Sache einer Normierung sei. Auch die Ausübung der Kollegialität, so fanden wieder andere, sei nicht in genügender Weise beachtet worden. Eine (nichtgenannte) Bischofskonferenz habe drei Arten der Kollegialität unterscheiden wollen: die strikte, die zwischen Papst und Bischofskollegium besteht, eine Kollegialität im weiteren Sinn, die sich in der Zusammenarbeit einer Gruppe von Bischöfen zeigt, und schließlich eine Mitverantwortung der Laien in den einzelnen kirchlichen Einrichtungen.

Auch fehle es, nach der Meinung einiger, an einer gebührenden Rücksichtnahme auf das Volk Gottes, besonders der Laien, hingegen sei die Hierarchie zu stark berücksichtigt worden. Einige betonen, daß das Subsidiaritätsprinzip stärker zu berücksichtigen sei, nämlich im Sinn einer Dezentralisation. Diesem Gedanken entspricht auch die Anregung, der gesamtkirchliche Gesetzgeber möge der teilkirchlichen Normierung einen größeren Spielraum gewähren.

Über die Bischofssynode, das Kardinalskollegium, die Priester- und Pastoralräte wurden widerspüchliche Vorschläge gemacht. Da diese Einrichtungen lediglich dem kanonischen Recht entstammen und daher den Charakter des Zufälligen aufweisen, seien sie nicht zu erwähnen. Andere hingegen regen an, daß die Bischofssynode mit beschließender Stimme ausgestattet werde. Ebenso widersprüchlich ist die Forderung, gerade die neuen Strukturen (Räte) dem Grundgesetz einzuverleiben.

Nicht zu übersehen ist die Kritik an der Nennung des Kardinalskollegiums, das nach Meinung einer Bischofskonferenz als Einrichtung der Lateinischen Kirche nicht erwähnt werden sollte. Auch sei das Kardinalskollegium nicht als Senat des Papstes zu betrachten, mehr Bedeutung verdiene die Bischofssynode, von der man mehr sagen müsse, als daß sie dem Papst nur helfend zur Seite stehe.

Uber die Verpflichtung aller Getauften durch das Kirchengesetz wurden entgegengesetzte Meinungen vorgebracht. Es fehlte nicht an Stimmen, die ein Freisein von Verpflichtungen des menschlichen Gesetzes, sofern es sich um Nichtkatholiken handelt, forderten, auch wenn die Taufe als das einigende Band anzuerkennen sei.

Über den Stil des Entwurfes fehlte es nicht an kritischen Stimmen, da er vielfach als zu schwülstig und unjuristisch empfunden wurde. Wenn auch einige Bischöfe eine theologische und Pastorale Sprache wünschten, so ging die Meinung der Mehrheit dahin, daß die Ausdrucksweise juristisch sein müsse.

Eine Auswahl von Stimmen kann der Gefahr eines willkürlichen Vorgehens unterliegen, nicht nur in dem, was erwähnt wurde, sondern auch in dem, was unerwähnt blieb. Auch ist eine exaktere Beurteilung nicht möglich, da die Ausdrucksweise „einige“, „nicht wenige“, „viele“ oder die „meisten“ kein Zahlenverhältnis angibt, zumal die Vota der Bischöfe sich nicht in gleicher Weise allen Fragen zuwenden. Das Ergebnis ist daher nicht einer Abstimmung gleichzusetzen. Handelte es sich doch nur um einen ersten Überschlag, dem entnommen werden sollte, ob eine Fortführung der Arbeiten noch sinnvoll erscheint.

Aus einiger Distanz zur ersten, heftigen Reaktion, läßt sich heute erkennen, wohin der Wegweiser zeigt. Es wird ein Grundgesetz der Kirche geben, es wird sich einer juristischen Ausdrucksweise bedienen, es wird vom Bestreben getragen sein, den Geist des Konzils zu wahren. Wie weit konkrete Hinweise auf kollegiale Strukturen und ein Bemühen um Dezentralisation Gestalt gewinnen werden, bleibt abzuwarten.' Ebenso ungewiß ist es noch, was in das Grundgesetz aufgenommen werden wird, und welche Bestimmungen den einzelnen Verfassungen zu überlassen sind.

Die künftigen Kritiker mögen auch daran erinnert werden, daß eine oberflächliche Betrachtungsweise mathematischer Art nicht zielführend ist. Welchen Wert hätte es etwa, nur aufzuzählen, wie oft das Wort „Volk“ und wie häufig der Begriff „Hierarchie“ verwendet wurde. Wollte man nach diesem dilettantischen Vorgehen die österreichische Verfassung überprüfen, käme man nicht um die Feststellung herum, daß staatliche Organe der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung öfter genannt werden als der Begriff „Volk“, von dem alle Macht ausgeht.

Der kirchliche Dienst erfolgt durch die Beauftragung und Bevollmächtigung, mit der Christus seine Kirche ausgestattet hat. Dieser Dienst vollzieht sich am Volk, das nicht im Gegensatz zur „Amtskirche“ steht. Bischöfe und Priester gehören dem Volk Gottes an, wie auch die Laien Mitglieder einer hierarchisch strukturierten Kirche sind.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung