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Wer ist Jude?

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„Wer ist Jude?“ Diese Frage wird in Israel nicht nur seit vielen Jahren diskutiert, sie ist vielmehr zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch politisch höchst bedeutsam. Von den Religiösnationalen und einer weiteren radikalen orthodoxen Partei, der sogenannten „Thora-Front“, wird eine Revision des israelischen „Rückwanderer-Gesetzes“ gefordert, in dem die seit vielen Jahren in Israel heiß diskutierte Frage „Wer ist Jude?“ gesetzlich geregelt ist. Nachdem die Religiösnationalen aus der jüngsten Wahl gestärkt hervorgegangen und nun gleichsam das „Zünglein an der Waage“ sind, wollen sie ihren Standpunkt durchsetzen.

Die orthodoxen Parteien verlangen ultimativ eine Revision des Gesetzes, das vorsieht, daß jedem Juden die Rückkehr nach Israel und das Recht auf israelische Staatsbürgerschaft gesichert ist. Der Gesetzgeber in Israel, also die Knesset, hatte in dem bisher in Kraft befindlichen Gesetz festgestellt, ein Jude sei jeder Mensch, der von Geburt aus Jude ist, also eine jüdische Mutter hat, oder ein Mensch, der zum Judentum konvertierte. Die Frage, wer die Konvertierung, also den Übertritt zum Judentum, vorgenommen hat, erhitzt nun in besonderer Weise die Gemüter der Öffentlichkeit. Die Orthodoxen wollen nur einen orthodoxen Rabbi als Behörde, die eine Konvertierung vornahm, anerkennen. Da es aber auch Reformgemeinden und andere jüdische rabbinische Gemeinden gibt, die in der Diaspora, also in verschiedenen Ländern, von der ortho-

doxen Linie abweichen und Konvertierungen vornehmen, wollen die Orthodoxen deren Konvertierungen nicht anerkennen. Kommen zum Beispiel Juden aus Oststaaten, die einst Christen waren und auf dem Weg nach Israel zum Judentum übertraten, werden sie vom Gesetz als Juden anerkannt, aber nicht von den Orthodoxen. Es gibt zahlreiche Einwanderer, die in Mischehen leben, jüdische Männer, die Christinnen geheiratet haben und umgekehrt. Das Kind einer christlichen Mutter, die mit einem Juden verheiratet oder zum Judentum, aber ohne orthodoxen Rabbi, übergetreten ist, wird weiterhin von orthodoxen Juden als „Goi“ angesehen. Und in Israel it der orthodoxe Rabbiner der einzige anerkannte Rabbi. Die Reformrabbiner haben noch keine gesetzliche Gültigkeit. Dennoch macht das Rückkehrgesetz hier keine Unterschiede.

Neben dem Ringen um territoriale Verzichte Israels im Interesse einer friedlichen Regelung des Nahost-Problems ist auch die Frage des religiösen Status quo zu einem innenpolitischen Problem in Israel geworden. Bekanntlich sind die orthodoxen Oppositionsparteien Gegner eines Truppenabzuges Israels aus besetzten arabischen Gebieten. Gegenwärtig hat es allen Anschein, als ob ein Kompromiß in der Richtung gefunden würde, daß die Forderung der Nationalreligiösen nach Revision des „Rückwanderer-Gesetzes“ von der gegenwärtig noch regierenden Arbeiterpartei zur Gänze anerkannt wird.

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