6870939-1978_23_09.jpg
Digital In Arbeit

Wer Jesus ist, kann heute nur unser Handeln demonstrieren

Werbung
Werbung
Werbung

Angespornt von dem überaus großen Interesse, das der Vortrag des Tübinger Theologen Hans Küng selbst in außerkirchlichen Kreisen hervorgerufen hat, wollen nun der Katholische Akademikerverband Wien und das Bildungswerk der Erzdiözese auch andere international bekannte Theologen einladen, in größeren Veranstaltungen zu sprechen. Das Bedürfnis nach mehr Information über religiöse Themen beschränkt sich keineswegs auf das katholische Kirchenvolk. Evangelische Christen, gleich welcher Bekenntnisse, unbeheimatete Suchende bis zu den Agnostikern können auf akademischem Boden angesprochen werden, wenn der Theologe durch seine publizistische Tätigkeit bereits bekannt ist, daß er Grundlegendes zu den Problemen des christlichen Glaubens in Verbindung mit dem modernen Leben auszusagen hat.

Der Frage nach Gott, wie sie Hans Küng behandelt hatte, mußte konsequenterweise die Frage nach Jesus folgen. Gerade sie ist es, die heute besonders stark die junge Generation bewegt; sie wurde mit Absicht gewählt, um insbesondere die Studenten anzusprechen.

Edward Schillebeeckx, Theologieprofessor an der Universität von Nim-wegen in Holland, hat sich in seinen

wissenschaftlichen Werken „Jesus, die Geschichte von einem Lebenden“ und „Christus und die Christen, die Geschichte einer neuen Lebenspraxis“ mit der Botschaft Jesus im modernen Leben auseinandergesetzt. Der An-

drang der Interessierten war so stark, daß sich wohl ein größerer Saal als der Festsaal der Wiener Universität gelohnt hätte! v

Das große Anliegen Schillebeeckxs war es, nachdrücklichst klar zu machen, daß es nicht darum geht, das Leben Jesu weiterzuerzählen. Er meinte, die Kirche habe eine Lehre daraus gemacht, doch dieses Angelernte würde beim ersten Anstoß fallen. „Dieses Friss oder Stirb“, gebe es beim heutigen Menschen nicht mehr. Es gehe vielmehr um eine wahrhaft gelebte Botschaft: Gott geht es darum, uns in sein Leben einzubeziehen. Das geschieht aber nur durch ununterbrochene Erfahrung mit Jesus. Durch unsere Erfahrung in dieser konkreten geschichtlichen Situation können wir

erst in lebendiger Tradition sein Leben, seine Bojtschaft weitergeben. Die Entscheidung fällt hier und jetzt. Wir sind aufgerufen, in der Nachfolge Jesu ein eigenes Kapitel in der lebendig weitergegebenen Geschichte Jesu zu

schreiben, ihn für die heutige Welt zu interpretieren wie dies seine Jünger für die antike Welt getan haben.

Dabei müssen wir wohl mit den gleichen Risken rechnen, denen Jesus in seinem Leben gegenüberstand. Doch wer rechnet schon wirklich damit? Deshalb sei auch unser Engagement meist nur ein halbes. Die Nachfolge aber bestehe darin, sie durch unsere lebendige Glaubenserfahrung zur Botschaft zu machen. Erst dann gebe es auch eine Kontinuität in der christli-i chen Tradition. Glaubenserfahrung, sagt Schülebeeckx, kann nicht kodifiziert werden. Eine Religion aber, die nicht offen ist für neue Erfahrungen müsse altern, müsse notgedrungen absterben. Das Christentum muß daher imstande sein, die Impulse, die auch

heute aus der Menschheit kommen, aufzunehmen. Dabei gehe es nicht nur um das Seelenheil, es gehe um das Heil, um die Heiligmachung des ganzen Menschen. Selbst die politischen und gesellschaftlichen Probleme, mit denen wir ringen, sind eingeschlossen. Es geht darum, die Welt zu verändern. Wir müssen in allen Aspekten des Lebens das Christentum glaubwürdig und verständlich machen.

Vor allem forderte Schillebeeckx, daß wir in der Nachfolge Jesu, so wie er, selbstlos Partei für die Unterdrückten und Erniedrigten zu ergreifen haben. Aber gerade das sei bis jetzt viel zu sehr intellektualisiert und nicht tatsächlich verwirklicht worden.

Diese sehr eindringliche Botschaft des holländischen Theologen, weg vom Buchstaben und hin zum Tun, wurde durch seine überaus theoretische Vortragsweise nur von einem kleinen Teil der Zuhörer in ihrer ganzen Tragweite aufgenommen. Der moderne Mensch' braucht wohl auch auf akademischem Boden, besonders aber in der ihm fremd gewordenen Theologie, eine dem heutigen Leben angepaßte Ausdrucksweise, um das Erregende der „menschlichen Erfahrung im Glauben an Jesus“ auch wirklich zu erfassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung