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Wer lügt?

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Man sollte nicht so tun, als ob es vor dem Amtsantritt von Frau Gesundheitsminister Ingrid Leodolter, Primaria im Sophienspital in Wien, keine staatliche Gesundheitspflege in Österreich gegeben hätte. Es gab nur kein eigenes Ministerium dafür, sondern im Sozialministerium, das auch jetzt noch unverändert die Kompetenzen für die Sozialversicherung (die ja, wie man glauben möchte, untrennbar mit der Gesundheitspolitik verbunden sind) wahrnimmt, einige Sektionen zu diesem Zwecke. Dort saßen genau diejenigen beamteten Ärzte, die jetzt im Gesundheitsministerium sitzen, womöglich hat sich nicht einmal etwas an den Räumlichkeiten geändert, in denen sie jetzt sitzen — außer dem Türschild „Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz“.

Das Ministerzimmer war eilends aus zur Suite des Sozialministers gehörenden Nebenräumen adaptiert worden, und der zweite Teil des Namens des Ministeriums, nämlich Umweltschutz, erwies sich nach einem Blick in die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern als höchst problematisch: der Umweltschutz ist Ländersache.

War also das ganze Ministerium von Anfang an eine Totgeburt? Denkt man an den Mißmut von Sozialminister Häuser anläßlich der Einsetzung der neuen Ministerin zurück, so könnte man dies fast glauben. Vielfach hörte man: „Na ja, der Kreisky will noch eine Frau in der Regierung haben, das wirkt populär und bringt die Stimmen der weiblichen Wähler!“

Seither ist aber wenig geschehen, was die Gründung eines neuen Ministeriums gerechtfertigt hätte.

Dafür hat aber die frischgebackene Ministerin seit ihrem Amtsantritt schon mehr als eine Kostprobe ihres mangelnden politischen Fingerspitzengefühls gegeben — obwohl gerade sie aus einer traditionell sozialistisch gesinnten Familie stammt und aus ihrer parteipolitischen Einstellung schon während ihrer Zeit als aktive Ärztin keinen Hehl machte.

Nun entfesselte Minister Leodolter im Parlament eine Zwischenruforgie, als sie von der Regierungsbank ganz arglos von einer Regierungsvorlage zur Fristenlösung sprach. Die Oppositionsparteien erhoben lautstark Einspruch und der Präsident mußte die Ressortchefin darauf aufmerksam machen, daß es sich um einen Antrag der SPÖ-Fraktion handelte, worauf sie ratlos ihre Ausführungen unterbrach und sich niedersetzte. Es war peinlich.

Den Gipfel politischer, aber auch menschlicher Unvoreingenommen-heit erklomm die Frau Minister aber erst unlängst mühelos in einem Interview, das sie einem jungen Reporter der „Wochenpresse“ im Beisein eines Redakteurs einer Tageszeitung gab. Sie soll expressis verbis die Vorstände der Frauenkliniken beschuldigt haben, gewußt zu haben, daß in ihren Anstalten von dort beschäftigten Ärzten Abtreibungen vorgenommen wurden, und sie beschuldigte die Klinikchefs weiters, Schweigegelder von diesen Ärzten genommen zu haben. So wurde es zumindest in der „Wochenpresse“ wiedergegeben und als Bekräftigung ihrer These fügte die Ministerin noch hinzu: „Schauen Sie sich doch die Paläste dieser Herren an.“ Womit die Privatvillen der solcherart apostrophierten Klinikvorstände gemeint waren, zu deren Errichtung nach den in der Zeitung wiedergegebenen Äußerungen Leodolters offensichtlich diese „Schweigegelder“ beigetragen haben müssen.

Kaum waren die Äußerungen Leodolters gedruckt erschienen — sie wurden am Tag des Erscheinens der „Wochenpresse“ auch von einer großen Wiener Boulevardzeitung wie dergegeben —, kam auch schon im Eilzugstempo das Dementi. Die beiden Journalisten blieben trotzdem dabei, daß Leodolter es so und nicht anders gesagt habe. Bundeskanzler Kreisky, bei seiner letzten Pressekonferenz auf die Affäre angesprochen, mußte feststellen, von der Frau Minister nicht die ganze Wahrheit erfahren zu haben: sie hatte ihm auf seine diesbezügliche Frage nur von einem Gespräch erzählt, das sie unter Zeugen geführt habe, nicht jedoch ein zweites erwähnt, in dem sie — allein — die Äußerungen gemacht haben soll.

Kreisky sprach recht nebulos von Gerichten, die den Sachverhalt möglicherweise klären sollten; grundsätzlich — so der Regierungschef — müßten Minister nicht mehr Glaubwürdigkeit genießen als jemand anderer. Nur: der dementierenden Minister Leodolter stehen zwei Aussagen von Journalisten gegenüber. Welche Motive sollten sie haben? Der Reporter der „Wochenpresse“ wird sogar am 1. Jänner in Regierungsdienste übertreten und Pressereferent des Verkehrsministers Lanc werden. Sollte er wirklich einen Einstand mit einem „erlogenen“ Gespräch wollen?

Die ÖVP ihrerseits hat eine politische Chance ersten Ranges verpaßt. Eine geplante „Dringliche Anfrage“ an die Ressortministerin erblickte nicht das Licht der an diesem Tage stattfindenden Nationalratssitzung. Sie scheiterte daran, daß es nicht gelang, sie rasch genug zu formulieren, um sie zu Beginn der Sitzung bereits einzubringen. Nur so wäre die Gewähr gewesen, daß noch am selben Tag eine klärende Debatte hätte stattfinden können. Die Volkspartei hätte sogar noch einen Schritt weiter gehen können: sie hätte einen Mißtrauensantrag gegen die Ministerin einbringen können. Aber mit der Courage für solche Schritte ist es beim ÖVP-Abgeordentenklub offenbar nicht sehr weit her. Es wird immer gegen solche Vorschläge eingewendet, ein diesbezüglicher Antrag würde von der SPÖ-Fraktion mit ihrer Mehrheit abgelehnt werden. Dennoch würde in jedem Fall die demonstrative Wirkung bleiben und das Echo in den Massenmedien wäre gesichert: so ist das Ganze zunächst im Sande verlaufen und wird nicht dort geklärt, wo dies wünschbar wäre: im Parlament.

Für die unbefangenen Beobachter des politischen Tagesgeschehens bleibt die Frage offen: Was muß eigentlich geschehen, bis ein Minister vom Parlament in Österreich hart unter die Lupe genommen wird? Kann er tun und lassen, was er will, ohne daß die Öffentlichkeit — oder wenigstens die parlamentarische Opposition — davon Notiz nimmt?

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