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Digital In Arbeit

Wer macht die Arbeit?

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Verschiedene Maßnahmen der Arbeitszeitverkürzung und die Weigerung, neue Ärzteplanstellen in Kliniken zu schaffen, lassen die Forderung des Sozialministers, durch kürzere Arbeitszeit zusätzliche Beschäftigung zu schaffen, unglaubwürdig erscheinen. Ergebnis: ein deutliches Absinken der Leistung.

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Verschiedene Maßnahmen der Arbeitszeitverkürzung und die Weigerung, neue Ärzteplanstellen in Kliniken zu schaffen, lassen die Forderung des Sozialministers, durch kürzere Arbeitszeit zusätzliche Beschäftigung zu schaffen, unglaubwürdig erscheinen. Ergebnis: ein deutliches Absinken der Leistung.

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Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung und Urlaubsverlängerung und die Uberstundenmisere sind solange ein Ärgernis, als nicht konkret gesagt und auch gezeigt wird, wie der dabei entstehende Arbeitsausfall kompensiert werden soll. Schließlich gibt es ja Betriebe, in denen es gar nicht möglich ist, weniger zu arbeiten, ohne großen Schaden zu stiften, z. B. in Spitälern.

Es gibt aber keine Neueinstellungen. Der Herr Sozialminister, der diese Forderung am lautesten stellt, müßte das, jedenfalls für arbeitsintensive Bundesbetriebe, auch auf zeigen!

1964 erhielt ich vom damals zuständigen Unterrichtsministerium „den Ruf“, die Lehrkanzel für Kinderheilkunde an der Universität Innsbruck zu übernehmen. Zu den ersten Aufgaben eines Leiters eines Universitätsinstitutes oder einer Universitätsklinik gehört es, sein Fach in Forschung und Lehre zu vertreten, um Wissensfortschritt und Ausbildung mit garantieren zu helfen, wozu jeder Vorstand auch gesetzlich verpflichtet wird.

Im Falle eines Klinikvorstandes ist er außerdem noch Chefarzt,

wobei die Innsbrucker Kinderklinik zusätzlich als regionales Schwerpunktspital für Westösterreich tätig ist, ein Betrieb mit heute rund 200 Angestellten und damals etwa 2000 stationär zu behandelnden Patienten jährlich, wofür rund 210 — 220 Krankenbetten zur Verfügung stehen. Dazu kamen damals etwa 10.000 ambulante Patienten, sowie eine Reihe von Spezialaufgaben.

Dank der Unterstützung durch Universität, Land und Bund gelang es uns schließlich, in fünf bis sechs Jahren einen Auf- und Ausbaustand zu erreichen, der dem angestrebten Ziel nahekam.

Kaum hatten wir die Mindestzahl von A-Planstellen erreicht und mit auszubildenden Ärzten besetzt, die es erlaubte, die uns vorgegebenen und verpflichtenden Aufgaben in Forschung, Lehre und ärztlicher Betreuung zu erfüllen, nämlich 28 (die niedrigste an den drei Universitätskinderkliniken in Österreich), kam die erste verordnete Arbeitszeitverkürzung, die 40-Stunden-Woche.

Bald darauf gab es eine Urlaubsverlängerung um ca. eine Woche und die Verordnung, daß ein Großteil der von den Mitarbeitern geleisteten Überstunden — und das sind an einer Klinik mit Nacht-, Samstags-, Sonn- und Feiertagsdiensten nicht wenige, da Spitalpatienten ja rund um die Uhr ärztlich gut betreut werden müssen — in Freizeit abzugelten sei.

In Arbeitszeit umgerechnet, bedeutete dies sofort wieder einen Verlust von drei bis vier der eben erwähnten Planstellen (=15 Prozent), da die Zahl der Stellen für unsere Klinik nicht, wie logischerweise zu erwarten gewesen wäre, aufgestockt wurde.

In den folgenden zehn Jahren kam es dann zu einer starken Vermehrung der Zahl der Medizinstudenten um gut 200 Prozent und die Zahl der auszubildenden Turnusärzte verdreifachte sich. Ein so großes Mehr an Studenten muß nicht nur unterrichtet, sondern — was noch zeitaufwendiger ist — auch geprüft werden.

Den Turnusärzten, d. h. den zukünftigen praktischen Ärzten müssen die praktischen Kenntnisse in Kinderheilkunde beigebracht werden. Dazu kommt, daß die klinische Arbeit sich inzwischen, gemessen an der Zahl der stationären und ambulanten Patienten, mehr als verdoppelt bis vervierfacht hatte.

Das weitere Resultat dieser Arbeitszeitverkürzung: Die unbedingt erforderliche Arbeit machte eine Umgruppierung der Arbeit und der Mitarbeiter nötig. Die noch zur Verfügung stehende Arbeitszeit mußte selbstverständlich zuerst den Patienten zugewendet werden, dann der Ausbildung und schließlich kann erst, falls überhaupt noch Zeit bleibt, Forschung betrieben werden. Bei dieser Art von Arbeitszeitverkürzung kommen also Forschungsaufgaben sowie wissenschaftliche Verpflichtungen immer mehr zu kurz. In der Regel kann und muß diese Arbeit vom Führungspersonal durchgeführt werden.

Da die Studenten (300—400 pro Jahr!) aber andererseits auch nur von den Professoren und Dozenten geprüft werden können, fallen diese Führungs- und Ausbildungskräfte während dieser Prüfungszeit für andere Aufgaben aus. Umgerechnet in Arbeitszeit sind das wenigstens 10 Arbeitswochen pro Jahr!

Nicht nur, daß dadurch die Ausbildung auch der zukünftigen Kinderärzte und des wissenschaftlichen Nachwuchses mangels Anleitung zu kurz kommt, sind die auszubildenden Ärzte selbst auch wegen ihrer Arbeitszeitverkürzung, Urlaubsverlängerung und Uberstundenabgeltung in Form von Freizeit um 4-6 Wochen pro Jahr weniger am Arbeitsplatz und damit empfindlich kürzer in Ausbildung.

In Arbeitszeit umgerechnet heißt das für unsere Klinik erneut eine Reduktion von drei bis vier ärztlichen Arbeitskräften, d. h. nachdem vor 10-13 Jahren ein Personalstand erreicht war, der es uns gerade erlaubt hatte, unseren Verpflichtungen in Lehre und Forschung nachzukommen, haben wir heute durch die Verminderung der Arbeitszeit und ein Mehr an Freizeit 25—30 Prozent der Planstellen praktisch wieder eingebüßt und sind um das natürlich auch weniger leistungsfähig.

Nun ist es nicht so, daß dies den verantwortlichen politischen Stellen nicht bekannt wäre. Da wir jedes Jahr zu einer Erstellung eines Personal- und Sachbudgets angehalten sind, werden diese Sorgen und Bedürfnisse jährlich auch dem Ministerium für Wis-

senschaft und Forschung mitgeteilt. Leider ohne jede konkrete Antwort, jedenfalls keine Planstellenvermehrung.

Man wird verstehen, daß eine Regierung, die arbeitszeitverkürzende Maßnahmen ergreift und weiter ergreifen will, um vermehrt Arbeits- und Stellenlose einstellen zu können, es selbst aber in dem von ihr unmittelbar zu verantworteten Bereich nicht tut, mit solchen Vorschlägen nicht überzeugt.

Wöchentlich muß ich bereits ein bis zwei stellenlosen Jungärzten, die an unserer Klinik um Arbeit vorsprechen, die hier geschilderte Situation erklären. Nicht einmal als unbezahlte Gastärzte können wir sie mehr aufnehmen, weil die Zahl unserer Ausbildner einfach nicht mehr ausreicht.

Aber auch die Ausbildung zum Facharzt für Kinderheilkunde muß bei einer derartigen Arbeitszeitpolitik schlechter werden. Vier Jahre Ausbildung im Fach sind vorgeschrieben — keineswegs zuviel. Wegen der schon jetzt bestehenden Arbeitszeitverkürzung und Urlaubsverlängerung können die auszubildenden jungen Ärzte praktisch statt vier nur noch drei Jahre Ausbildung erfahren. Die übrigen zwölf Monate sind ja gesetzlich „frei“. Kein Wunder, wenn sie sich bei dieser verkürzten Ausbildungszeit selbst als noch zu wenig ausgebildet verstehen und lieber ihre Ausbildungszeit verlängert haben möchten, was wiederum den nachdrängenden stellenlosen Ärzten die Planstellen versperrt. Es ist anzunehmen, daß ähnliche Ausbildungsprobleme auch für andere Berufe und für andere Kliniken gelten.

Es scheint mir daher wichtig, die Frage der Arbeitszeitverkürzung auch von dieser Seite her zu beleuchten. Denn ich halte den bisher entstandenen Schaden, jedenfalls in unserem Universitätsbereich, bereits für so groß, daß das Problem politisch höchst relevant ist und die Öffentlichkeit diesen Schaden auch kennen muß.

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