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Wer nicht zahlt, der hat die Macht

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Im Zeitraum von 1975 bis 1984 wurden 113 Umschuldungsab-kommen zwischen 38 Schuldnerländern einerseits sowie den im „Pariser Club” (hier treffen einander die jeweiligen Gläubigerund Schuldnerländer zu Gesprächen, Anm.) vertretenen Ländern andererseits in Höhe von 190 Milliarden Dollar (umgerechnet 3.800 Milliarden Schilling) ausgehandelt. Das ist mehr als das doppelte Bruttoinlandsprodukt (BIP) Österreichs.

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Im Zeitraum von 1975 bis 1984 wurden 113 Umschuldungsab-kommen zwischen 38 Schuldnerländern einerseits sowie den im „Pariser Club” (hier treffen einander die jeweiligen Gläubigerund Schuldnerländer zu Gesprächen, Anm.) vertretenen Ländern andererseits in Höhe von 190 Milliarden Dollar (umgerechnet 3.800 Milliarden Schilling) ausgehandelt. Das ist mehr als das doppelte Bruttoinlandsprodukt (BIP) Österreichs.

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Umschuldungen haben sich im Laufe der Zeit nicht nur als Regelung des Zahlungsverzugs herausgestellt. Sie sind vielmehr ein Maßnahmenpaket, welches die Anpassung des Fälligkeitsprofils eines Schuldners an seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Miteinbeziehung internationaler Organisationen sowohl bei der Finanzierung als auch beim wirtschaftlichen Anpassungsprozeß beinhaltet. So ist auch die vor kurzem in Paris über die Bühne gebrachte Polenumschuldung zu werten.

Den Polen wurden relativ großzügige Bedingungen gewährt:

# Umschuldung der Fälligkeiten und Zinsen aus 1982,1983 und 1984 in Höhe von zwölf Milliarden US-Dollar,

# tilgungsfreie Zeit bis 1990 und

# Umschuldung auch der Hälfte der 1985 auflaufenden Zinsen.

Die Amerikaner hatten eine Zeitlang die Verhandlungen boykottiert, weil sie die besagte härtere Gangart vor allem aus politischen Überlegungen versuchten. Sie bemerkten jedoch, daß dies den Polen so unrecht nicht war. Sie zahlten ohnehin nichts mehr und konnten abwarten.

Tatsache ist, daß sich die Schuldnerländer in einer vergleichsweise starken Verhandlungsposition aufgrund der enormen Beträge, die sie den Banken schulden, befinden und es sich vielfach weder Banken noch Staaten leisten können, Forderungen in solcher Höhe abzuschreiben.

Würde es bei Zahlungsverzug eines Schuldnerlandes nicht nach einiger Zeit zu einer vertraglichen Neuregelung kommen, so müßten die Banken aufgrund von Bilanzierungsvorschriften ihre Forderungen berichtigen. Also entweder diese als uneinbringlich vollständig abschreiben oder als zweifelhafte Forderungen mit einem geringeren Wert ansetzen. Solche Abschreibungen müssen entweder aus Reserven, die für solche Fälle geschaffen wurden oder aus laufenden Erträgen finanziert werden. Weder die Ertragslage der österreichischen Banken noch die Budgetsituation der Republik lassen vermuten, daß eine vollständige Abschreibung etwa der rund 30 Milliarden Schilling, die Polen Österreich schuldet, ohne weiteres verkraftet werden könnte.

Wertberichtigungen im Um-schuldungsstadium hätten zudem einen großen Nachteil: Wenn der Schuldner erfährt, daß seine Forderungen abgeschrieben sind, so wird ihm die Erfüllung dieser Verpflichtungen nicht mehr so wichtig erscheinen.

Umschuldungen, die den weiteren Bestand der Forderungen bzw. die verzögerte Bedienung der Forderungen regeln, sind also

Vor kurzem wurde in Paris ein Umschuldungsabkom-men zwischen Polen und westlichen Gläubigerländern unterzeichnet. Wieder ein Grund für die Frage, warum die Kreditgeber gegenüber „chronischen” Schuldnerländern nicht härter auftreten. aus Gläubigersicht notwendig. Für die Banken ist es wesentlich, daß ihre Kredite bedient werden. Sie leben davon, daß sich ihre Klienten verschulden. So gesehen wäre eine vollständige Rückzahlung aller Kredite gar nicht wünschenswert, solange Zinsen dafür bezahlt werden. Aber auch aus der Sicht der Schuldner gibt es zu Umschuldungen keine realistische Alternative, da sie meist auf neue Kredite und Zugang zu den Märkten der Gläubiger angewiesen sind.

Diese Interdependenz zeigt sich im besonderen Ausmaß beim Verhältnis der USA zu Südamerika. Die größten amerikanischen Geschäftsbanken haben Forderungen gegenüber dieser Region, die ihr Eigenkapital in den meisten des Quartal noch bessere Ergebnisse anzukündigen, besonders stark. Daher bestand keine große Vorliebe für eine Reservebildung. Wie die jüngste Offenlegung der Vierteljahresresultate der amerikanischen Großbanken zeigt, sind sie nunmehr verstärkt bemüht, mehr Reserven anzulegen.

Die amerikanischen Banken sind mit einer weiteren Vorschrift konfrontiert, die ihnen das Leben nicht leicht macht: Wenn ein Kredit länger als 90 Tage nicht ordnungsgemäß bedient worden ist, wird der gesamte Kredit als „non-performing loan” („notleidender Kredit”) klassifiziert. Die Banken müssen entsprechende Reserven anlegen, deren Höhe zunächst in ihrem Ermessen liegt, in der Folge jedoch von der Bankenaufsicht

Fällen beträchtlich übersteigen. Eine vollständige Abschreibung wäre also auch hier nicht verkraftbar. Erst seit Ausbruch der Schuldenkrise 1982 bilden diese BankeninvermehrtemMaßRück-stellungen für solche Forderungen. Vorher hielt man diese Länder für einen relativ guten Risikofaktor. Außerdem ist in Amerika der Druck der Aktionäre und Marktbeobachter auf das Bankenmanagement, jedes Jahr oder jeauf ihre Adäquanz überprüft wird. Ist keine Bezahlung zu erwarten, werden Abschreibungen vorgenommen, deren Höhe im Ermessen der Bank liegt, jedoch mit Uberprüfung der Bankenaufsicht erfolgt. Wird ein „non-perfor-ming loan” umgeschuldet, so kann die Bank diesen Kredit wieder als „normal” einstufen. Daher liegt ihr besonders an einer vertraglichen Regelung.

Die großen lateinamerikanischen Schuldner haben sich ihrerseits trotz manchen Versuchs noch nicht zu einem Schuldnerkartell, das ein Moratorium (unter bestimmten Voraussetzungen gewährter Zahlungsaufschub, Anm.) oder eine Schuldenstreichung verlangen könnte, zusammengetan.

Staaten sind also nach herrschender Meinung keine „gewöhnlichen” Schuldner. Gegen sie kann auch kaum Exekution geführt werden. Ihre Volkswirtschaften sind in den meisten Fällen regenerierbar, und nur in den seltensten Fällen traut sich ein Land, eingegangene Verpflichtungen nicht zu honorieren.

Ein Land kann mit anderen Worte nur illiquide, aber nicht insolvent werden. Also wird wohl oder übel umgeschuldet werden. Der Schuldenberg der Dritten Welt beläuft sich nämlich inzwischen auf mehr als 900 Milliarden Dollar...

Der Autor ist Bankangestellter in Wien.

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