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Wer sieht Helden in den Serben?

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Durch Zufall erfuhr ich kürzlich, daß seit einiger Zeit vor der dalmatinischen Küste ein Radioschiff der EG kreuzt, das die Serben, Kroaten und Bosnier mit objektiven Nachrichten versorgt. Auf diesem Schiff arbeiten gerade Serben, Kroaten und Bosnier problemlos miteinander, um Informationsprogramme zu erstellen, die von Nationalismen frei sind. Die Reichweite des Senders ist ziemlich groß und erfaßt auch Belgrad.

Eine ausgezeichnete Bestätigung der Objektivität der Sendungen bedeutet die tragikomische Tatsache, daß die Programme von den Serben als antiserbisch und von den Kroaten als antikroatisch beschimpft werden.

Vor einiger Zeit habe ich auf die Rolle des BBC im Zweiten Weltkrieg hingewiesen. In jedem Krieg ist die Moral der Bevölkerung, die Haltung der betroffenen und den Krieg führenden Armeen von ganz wesentlicher Bedeutung.

Die höchst wirksame Strategie der Verhetzung, der Fanatisie-rung durch die Massenmedien, vor allem durch das Fernsehen •der Serben, aber auch der Kroaten, trägt maßgeblich zur Fortsetzung der wüsten Schlächtereien bei. Die primitive Einseitigkeit, die paranoide Steigerung von Verfolgungswahn vor allem bei den Serben („Die ganze Welt gegen die armen Serben") ließen eine wahnwitzige Hysterie gefährlichster Art entstehen: sie erinnert an amerikanische Sektierer, deren pathologischer Starrsinn schließlich in Selbstmord umschlägt.

Wenn ein Präsident der Aka-

demie der Wissenschaften, Dob-rica Cosic, erst vor wenigen Tagen in Belgrad ausrief: „Ihr seid die Sieger, Brüder! Ihr habt die Heldentat des Jahrhunderts vollbracht!", dann muß man sich fragen, zu welch banalen Verdrehungen ein durchaus gebildeter Intellektueller sich noch steigern kann. Wenn allerdings in Deutschland und Österreich Auschwitz und Mauthausen möglich waren, so wird man mit der Meinung vorsichtig sein müssen, daß nur auf dem Balkan oder irgendwo in der Dritten Welt die Barbaren, die Wilden oder vielleicht Verrückten leben.

Nicht nur die konkrete Katastrophe der vertriebenen und getöteten Menschen ist sehr ernst zu nehmen, man müßte im Westen vielmehr beharrlich die psychologischen Wurzeln dieses Krieges untersuchen. Die Kriegspropaganda, der in die Hysterie hochgetriebene Nationalismus und die Angst vor dem jeweiligen Gegner, ja vor der ganzen angeblich feindlichen Welt, gehören zu den giftigen Quellen dieser geradezu psychiatrischen Grundstimmung.

Vernünftige, objektive Information, möglichst auch durch Satellitenfernsehen oder eine maritime Fernsehstation sollte in diese wahnsinnig gewordene Hetze der Massenmedien eingreifen. Helden waren nicht einmal im Trojanischen Krieg sympathisch, und Homer hat mit ihrer Glorifizierung viel Unheil angerichtet. Die Helden der blutigen Nationaldramen mit ihrem hohlen Pathos sollten doch gerade von einem Akademiepräsidenten durchschaut worden sein.

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