7169717-1982_41_05.jpg
Digital In Arbeit

Wer versteht was unter Freiheit ?

Werbung
Werbung
Werbung

Zu jenen Begriffen, die seit Jahrhunderten sowohl die Herzen der Menschen bewegen als auch im Mittelpunkt denkerischer Bemühungen stehen, und bei denen doch — in der politischen Praxis wie auch in der Theorie — hinter demselben Wort oft recht Verschiedenartige Vorstellungen stehen, gehören „Frei-, heit” und „Gleichheit”.

Schon vor Jahrzehnten wurde den diesbezüglichen Vorstellungen des Liberalismus die Forderung nach (auch) sozialer und nicht bloß rechtlich-politischer Freiheit und Gleichheit gegenübergestellt, und zuletzt hat H. Marcuse mit der Forderung nach „ganzer” Freiheit radikal Neues ins Spiel gebracht. Diesen Begriff swandlungen ist Ermacora in seinem „Grundriß einer Allgemeinen Staatslehre” (1979) in besonders anschaulicher Weise nachgegangen.

Der Liberalismus forderte Freiheit zum Staat und Freiheit vom Staat. Jedermann sollte — vor allem mittels des Wahlrechtes — an der Staatswillensbildung teilhaben können; durch die Freiheit der Meinungsäußerung sollte das politische Bewußtsein gebildet, durch die Vereins- und Versammlungsfreiheit das politische Engagement ermöglicht werden.

Daneben — und vor allem — sollte jeder Bürger, sollte die Gesellschaft eine Sphäre haben, in die der Staat (übrigens auch die Kirche) nicht eingreifen durfte. Montesquieu sah in der politischen Freiheit „die Ruhe des Gemüts und das Freisein von Furcht gegenüber anderen”.

In der Folge machten kommunistische, sozialdemokratische und christlich-soziale Bewegungen deutlich, daß Freiheit nicht nur rechtlich-politisch zu verstehen ist; Voraussetzung hiefür ist die Freiheit auch von Armut und Existenznot. Diese neue Freiheitsvorstellung manifestierte sich z. B. in der Forderung nach sozialen Grund- und Freiheitsrechten, vor allem aber in einer Fülle von' gesellschafts-, wirt-schafts- und sozialpolitischen Maßnahmen des Gesetzgebers.

Dies konnte ohne größere Probleme auf dem Boden der liberalen Grundrechtskataloge (und einer zeitgemäßen Interpretation durch die Verfassungsgerichte) geschehen. Schon der Liberalismus verstand Freiheit nicht als Willkür, sondern als Freiheit im Rahmen der Gemeinschaft und damit des Rechts. Dafür spricht das spezifische Ineinanderwirken von individuellen und gesellschaftlichen Grund- und Freiheitsrechten.

Die wichtigste juristische „Technik” in diesem Zusammenhang aber ist der „Gesetzesvorbehalt”, also die verfassungsrechtliche Ermächtigung an den einfachen Gesetzgeber, ein Grund- und Freiheitsrecht einzuschränken oder doch auszugestalten. Gegenüber der früher recht weiten Ermächtigung durch einen „formellen” oder „nichtlimitierten” Gesetzesvorbehalt brachte die Europäische Menschenrechtskonvention einen Fortschritt und eine gewisse Absicherung, indem die Grund- und Freiheitsrechte nun nur für bestimmte Zwecke eingeschränkt werden dürfen („materieller” oder „limitierter” Gesetzesvorbehalt).

Sie stehen also nur beschränkt zur Disposition der „Machthaber”: Diesen ist es nicht nur verwehrt, durch ein einfaches Gesetz die Grund- und Freiheitsrechte faktisch wieder aufzuheben, sie dürfen sie auch nur um ganz bestimmter höherrangiger Bedürfnisse bzw. Rechtsgüter willen einschränken. Die damit aufgezeigte Spannung ist allerdings systemimmanent und bedarf in jeder geschichtlichen Situation einer adäquaten Auflösung.

Zwischen den beiden genannten Freiheitskonzepten besteht ein prinzipieller Unterschied. Freiheit im Sinne von Freisein auch von sozialer Not kann nur durch eine Wirtschafts- und Sozialpolitik bewirkt werden, die die Gesellschaft nicht dem freien Spiel der Kräfte überläßt.

Mehr Gerechtigkeit

Vielmehr ist staatliches Eingreifen, sind Steuerung und Lenkung der Wirtschaft, gezielte Leitung und Verteilung der öffentlichen und teilweise auchder privaten Mittel notwendig. Sehr deutlich zeigt sich dies an der steigenden sozialen Verpflichtetheit des Eigentums. Zwar bleibt dieses Recht geschützt, die daraus erfließende Verfügungsgewalt aber wird immer stärker staatlich geordnet, d. h. beschränkt.

In den letzten Jahren wurde schließlich noch eine weitere Freiheitsvorstellung vehement vertreten, nämlich jene von der „wirklichen” Freiheit des „ganzen Menschen”. Sie enthält den Gegensatz von „ziviler” und „öffentlicher” Freiheit einerseits und der „natürlichen” Freiheit bis zur möglichst ungehemmten Selbstverwirklichung andererseits. Geistige Vorläufer gab es — wie Ermacora nachgewiesen hat — bereits in Feuerbach, Stirner und bis zu einem gewissen Grad Ernst Jünger.

Von der Freiheit im Verständnis des Liberalismus, die neben der Freiheit vom Staat auch jene zum Staat einschließt, aber auch von jener der kommunistischen, sozialdemokratischen und christlich-sozialen Bewegung, welche die rechtlich-politische Freiheit in untrennbarem Zusammenhang mit der sozialen Freiheit sehen, hebt sich dieser Freiheitsbegriff im Sinne von Selbstverwirklichung radikal ab.

Nach H. Marcuse ist ökonomische Freiheit die Freiheit von der Wirtschaft, politische Freiheit die Freiheit von der Politik, geistige Freiheit die Abschaffung der öffentlichen Meinung mitsamt ihren Herstellern. Als immanente Grenze wird lediglich die Freiheit anderer anerkannt; es soll nicht zu einer Diktatur der ^Anarchie kommen.

Begriffliche Spannungen wie bei der Freiheit gibt es auch bei der Gleichheit. Es ist der Gegensatz von rechtlich-politischer Gleichheit und tatsächlich-natürlicher Ungleichheit. Ganz neu ist die Problematik auch hier nicht: Von Aristoteles bis Thomas von Aquin war die Frage der Gleichheit mit Gerechtigkeitsvorstellungen hinsichtlich der Güterverteilung verbunden.

Die Aufklärung sah in den Menschen gleiche Vernunftwesen, denen aber sozial ungleiche Stellung zukomme. Der Liberalismus forderte und verwirklichte eine formale (juristische) Gleichheit, nämlich die Gleichheit vor dem Gesetz. Im Wege des gleichen Wahlrechts und der gleichen Ämterzugänglichkeit wurde diese allerdings auch politisch wirksam.

Im 19. Jahrhundert wurde aber auch schon erkannt, daß die rechtlich-politische Gleichheit durch soziale Ungleichheit ausgehöhlt werden kann. Der Bogen der Auffassungen spannt sich von Hegels Lehre von den Bedürfnissen über die Marx'sche Armutslehre bis zur Soziallehre Leo XIII. Viele Ungleichheiten beruhen eben nicht nur auf „natürlichen Ursachen”, sondern auch auf einer unverhältnismäßigen Verteilung des Eigentums und der Verfügungsgewalt darüber.

Die Antwort darauf war der Versuch, die Gleichheit im Sinne nicht nur von menschenwürdigen Lebensverhältnissen, sondern auch im Sinne von mehr Gerechtigkeit mit staatlicher Hilfe herzustellen. Dies geschah teils durch neue Gesetze, teils durch höchstgerichtliche Interpretation schon vorhandener Texte. Die Bedeutung etwa der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zum Eigentumsschutz bei einem Wortlaut, der in Österreich seit 1867 unverändert geblieben ist, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Daß dies nicht nur eine juristisch-intellektuelle, sondern auch eine im höheren Sinne politisch bedeutsame Leistung ist, weil damit zur Lösung gesellschaftlicher Probleme und zum Abbau sozialer Spannungen beigetragen wurde, liegt auf der Hand.

Der Autor ist Universitätsprofessor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg, Institut für Verfassungsund Verwaltungsrecht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung