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Wer waren die Gumpps?

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In der Reihe der wissenschaftlichen Monographien über große Meister des österreichischen Barock, die im Herold-Verlag erscheint, ist der jüngste Band nicht einem einzelnen Meister, sondern einer etwa 150 Jahre wirkenden Tiroler Künstlerfamilie gewidmet. (Ihr Schaffen wird demnächst auch in der österreichischen Galerie in Wien vorgestellt.) Es geht um den „Familienstil" der Gumpps, um eine Kunst „zwischen den Welten" zwischen Italien, Süddeutschland und dem aus dem Osten kommenden imperialen Stil der Habsburger, schließlich um das Tirolische in diesem „Land des Korridors". Das Bild des österreichischen Barock wird durch diese Monographie reicher, charakteristischer. Wer waren die Gumpps?

Die Reihe beginnt mit Christoph Gumpp dem Jüngeren (1600-1672), der von seinem Vater, Christoph d. Ä., das Tischlerhandwerk erlernt hatte und seit 1626 in Innsbruck als Hoftischler bezeugt ist. Er arbeitete an der Ausstattung der Jesuitenkirche, studierte in Italien Theaterbauten, um dann in seiner Geburtsstadt Innsbruck mit der Errichtung des Comödienhauses als Baumeister hervorzutreten. Er avancierte zum Hofbaumeister und erwies sich an verschiedenen Aufgaben als universell geschulter Künstler. Er verfaßte ein Schanzentraktat für die Befestigungen der Schwedenkriege, entwarf Trauergerüste, baute das Hoftheater und für die Landstände den Votivbau der Innsbrucker Mariahilfkirche. Er begann mit dem Neubau des Konventgebäudes in Stams, leitete den Umbau des Klosters und der Kirche St. Georgenberg sowie den Umbau der Stiftskirche in Wilten. Alle großen künftigen Aufgaben sind in seinem 'Schaffen bereits vorgezeichnet.

Sein Bruder 'Elias Gumpp (1609-1676) hat sich als Ingenieur und Festungsbaumeister fast ausschließlich den fortifikatorischen Aufgaben zugewendet. Das Fort St. Claudia auf dem Falkenberg in Ehrenberg ist sein ■ bedeutendstes Werk, doch wird er von Erzherzog Ferdinand Karl wegen seiner Erfahrenheit auch in den Vorlanden mit ähnlichen Aufgaben betraut.

Die Söhne Christophs d. J. tragen diese Begabungen weiter. Der Kunst sowie den praktischen Erfordernissen fühlen sie sich gleichermaßen verbunden. Johann Martin Gumpp d. Ä. (1643-1729) übernimmt das Hofbauamt seines Vaters und manche seiner Aufgaben, so zum Beispiel den Ausbau des Jesuitenkollegs sowie die Errichtung der neuen Abtei Stams. Er, der gleichfalls in Italien direkte Anregungen empfing, schuf seine bedeutendsten Leistungen auf dem Gebiet der frühbarocken Palastbauten Innsbrucks. Das Palais Fugger-Taxis, Troyer-Spaur, Ferrari, Schloß Buchsenhausen seien genannt. Bei den Plänen für das alte Regierungsgebäude und den Umbau des Rathauses in Innsbruck treten schon spezifische eigene Gestaltungen hervor. Sehr bedeutend scheint mir in dieser Hinsicht die Siebenkapellenkirche auf die noch später hingewiesen werden soll.

Sein jüngerer Bruder Johann Baptist Gurnpp (1651-1728) wirkt als Korizeptor für Triumphpforten und für Schlachtengemälde, Sein eigentliches Gebiet war die fiigenieur-künst. Er wird Baumeister in Konstanz, plant Befestigungen in Breisach und schuf mit seinem älteren Bruder das j.Castellum Austriacum".

Auch für seinen jüngeren Bruder Johann Anton Gumpp (1654-1719) war kein Platz in der Heimatstadt. Als Schüler seines Schwagers wird er Maler in München, schuf dort Festdekorationen, Fresken in der Residenz, in den Schlössern Lustheim, Nymphenburg und Schleißheim. Gemeinsam mit Melchior Steidl malte er die Deckenfresken in der

Stiftskirche in St. Florian. Übrigens war noch ein anderer Bruder, Franz Gumpp, Maler geworden. Er starb jedoch bereits mit 16 Jahren (1665) in Florenz.

Georg Anton Gumpp (1682-1754), Sohn des Johann Martin, folgte dem Vater in der Stellung als Hofbaumeister nach; er ist wohl der bekannteste Künstler der Familie. Seine ausdrucksvollen, bewegten Architekturen gehören dem Hochbarock an. Der

Portikus der Stiftskirche in Wilten erweckt überlokales Interesse.

Die Fassadengestaltung der Jakobskirche in Innsbruck, die Heiligblut-Kapelle in Stams und die Innsbrucker Johanneskirche zeugen von seinem Ideenreichtum; der Umbau der Stiftskirche in Stams zeigt sein Geschick, Altes und Neues zu verbinden und es so in der Wirkung zu steigern. Im profanen Bereich sind der Bern hardi saal in Stams, vor allem aber sein Landhaus für die Tiroler Stände hervorzuheben; bedeutende und doch echt Tiroler Bauten des österreichischen Barock.

Georgs jüngerer Bruder Johann Martin Gumpp d. J. (1686-1765) beschließt die stattliche Reihe der Künstler. Zunächst wird er als Oberingenieur Nachfolger seines Oheims in Konstanz. Er schuf in dieser Eigenschaft Fortifikationen, Flußregulierungen und Brückenbauten. Erst nach dem Tod seines Bruders tritt er auch als Baumeister in Innsbruck hervor. Der West- und Südflügel der Hofburg ist sein bedeutendstes Werk.

Eine solche Famüienchrorfik wirft im Rahmen einer kunstgeschichtlichen Dokumentation natürlich verschiedentliche Fragen auf, die zur Interpretation herausfordern. Michael Krapf sucht beiden Bereichen, der Dokumentation wie der Interpretation, gerecht zu werden.

Kernstück des Buches ist der Oeuvrekatalog, der für die Baumeisterfamilie 115 Werke aufführt, auf ihn beziehen sich die Kapitel über die einzelnen Künstler im Haupttext. Sie bieten in wissenschaftlicher Genauigkeit eine Dokumentation der Fakten, setzen sich eingehend mit Vergleichsbeispielen und den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinander. Akzentuierungen bemühen sich um die Erfassung des Wesentlichen. Es wird in der Auseinandersetzung mit dem florentini-schen Theaterbau ebenso erkennbar, wie in der Übernahme venezianischer Kriegsbaukunst oder im Aufgreifen lombardischer Kirchentypen. Krapf zeigt auch, wie süddeutsche Vorbilder weitergebildet werden und wie diesem bereits verarbeiteten Import neue italienische Formen hinzugesetzt wurden.

Der unmittelbaren Beziehung Tirols zu Italien ist es dabei zuzuschreiben, daß dadurch neue Anregungen nach Süddeutschland kommen, die in Tirol selber nicht zur Entfaltung gelangten. Maß und Detail wurden meist vernachlässigt, aber gerade diese scheinbare „Verwilderung" gibt den Bauten der Gumpps und damit der Tiroler Barockarchitektur Originalität, gibt ihr die charakteristische Sprache, die zur Uberinszenierung, zum Kraftgeladenen, selbst zur Gigantomanie neigt.

Der Portikusbau der Stiftskirche von Wilten (eines der Paradebeispiele dafür) wird von Krapf als Ergebnis von Notwendigkeit und Nutzen erklärt. Die halbrunde Nische mag wohl berühmten italienischen Vorbildern folgen, entscheidend aber ist nach Krapf, daß die ursprüngliche Eingangsfront „ganz einfach" mitverwendet wurde. Auch das Landhaus mit seiner plastischen Architektur zeigt solchen Realitätsbezug. Sowohl in der Gliederung, die von den mächtigen Torpfeilern „gebirgsar-tig" aufsteigt, wie auch im Programm, das die direkte Demokratie einer Bauernrepublik widerspiegelt Reales und Irreales, Sinnbildhaft-Fernes und direkte unmittelbare Darstellung sind hier verbunden. Das Malerisch-Architektonische im Bernhardisaal von Stams mit den Lichteffekten der Empore führt jedoch niemals zu einer visionären Auflösung wie in Bayern.

Das Tirolische, das hier in den Bauten der Gumpps herausgearbeitet wird, ordnet Krapf in die größeren künstlerischen Zusammenhänge entlang der wichtigen Verkehrsstraße von Nord nach Süd ein.

Wenn man einige kritische Einwände vorbringen wollte, dann könnten sie sich auf die Anlage des Buches beziehen. Die wichtigste künstlerische Problematik sollte den einzelnen Werken, also dem Werkskatalog, zugeordnet werden, die Darstellung der Baumeister wäre dadurch freier und könnte die größeren Zusammenhänge besser er-i fassen, einzelne Fragen auch durchgehend behandeln. Solche Ordnung hilft der Konzentration, vermeidet Wiederholungen, erleichtert das Nachschlagen und wird lesbarer zugleich. Abbildungsnachweis und Bildteil gehörten zusammen, ebenso Zeittafel und Stammbaum. Die Anmerkungen sollten besser fortlaufend numeriert sein.

Wie wäre es überhaupt, wenn der Verlag seinen Monographien ein gewisses Konzept gäbe, wie es einer solchen Reihe entspräche? Wissenschaftliche Dokumentation und Lesbarkeit lassen sich, wie es die früheren Bände beweisen, doch durchaus vereinen. Die Leserschichte, die man erreichen will, bat ein Recht darauf, daß auf sie Rücksicht genommen wird.

Da Michael Krapf mehrfach die Brücke in die Gegenwart schlägt, so sei auf ein aktuelles Problem aufmerksam gemacht: ich meine die Siebenkapellenkirche in Innsbruck, die von Johann Martin Gumpp d. Ä 1677/78 errichtet wurde. Sie ist seit ihrer Profanierung im Jahre 1786 als Magazin zweckentfremdet und durch störende Einbauten völlig ihrer Wirkung beraubt.

Wolfram Köberl hat durch eine Rekonstruktionsskizze eine annähernde Vorstellung dieser Heiliggrabkirche gegeben. Dieses originelle Werk zählt zu den baulich und ikonographisch interessantesten Kirchen Österreichs und hat, soviel ich weiß, kein Vergleichsbeispiel. Die effektvolle Perspektive im Sinne Berninis wird hier in den Dienst einer barocken Wegandacht gestellt, in der Volkstümliches, Bodenständiges zum Ausdruck kommt. Wäre es nicht der schönste Erfolg dieser wertvollen Monographie, die vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, von der Tiroler Landesregierung und der Stadt Innsbruck gefördert wurde, wenn die Revitalisierung dieses einmaligen Andachtsraumes eingeleitet würde? Was nützt die Erkenntnis, wenn wir zuschauen müssen, daß der Gegenstand solchen Erkennens verfällt oder zugrunde geht?

Michael Krapf, DieBaumeisterGumpp,368 Seiten, Text, 216 Seiten Bildteil. Verlag Herold, Wien 1979, öS 860,-.

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