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Erstmals gab Primas Glemp einem sowjetischen Journalisten ein Interview. Leonid Potschiwalow war selbst darüber überrascht. Die FURCHE bringt wichtige Passagen.

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Erstmals gab Primas Glemp einem sowjetischen Journalisten ein Interview. Leonid Potschiwalow war selbst darüber überrascht. Die FURCHE bringt wichtige Passagen.

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KARDINAL JOZEF GLEMP: Ich bin froh, einen Journalisten aus der Sowjetunion zu treffen... Ich glaube, daß Freundschaft, verstehendes Interesse gegenüber einem Land, das Achten seiner Kultur und seiner historischen Tradition die Basis für eine normale internationale Koexistenz bilden können und daß das eine Garantie für den Frieden ist.

LEONID POTSCHIWALOW: Wie beurteilen Sie die Lage des Friedens heute?Ist eine allgemeine Katastrophe möglich?

GLEMP: Jeder Mensch auf der Welt sucht heute eine Antwort darauf, welche Kräfte an der Herstellung von Massenvernichtungswaffen beteiligt sind. Und das kann sehr wohl ein Gefühl der Angst erwecken. Die Angst davor, daß man diese Waffen auch einsetzt, wird unter den Menschen immer größer

Ich glaube nicht, daß in dieser Situation, da große Atomwaffenarsenale, vorhanden sind, die Menschen einen Krieg zulassen können. Im Vorhandensein des Gleichgewichts der Kräfte liegt eine Garantie für den Frieden.

Aber das ist nur die eine Seite. Auf der anderen stehen die Bemühungen der Menschen um den Frieden. Doch diese beiden Elemente bedeuten keine absolute Garantie für die Sicherheit.

POTSCHIWALOW: Eminenz, glauben Sie, daß sich die Menschheit vor der Selbstvernichtung bewahren kann?

GLEMP: Die katholische Kirche vertritt die Meinung, daß man den Frieden vor der Katastrophe verteidigen kann... Man kann

das auf politische Weise tun - das ist Angelegenheit der Regierungen. Eine andere Möglichkeit liegt auf der moralischen Ebene: die Erziehung der Menschen zur Achtung der ethischen Werte. Hier liegt eine wichtige Aufgabe aller Kirchen...

Ein wichtiges Argument unserer Lehre ist die Liebe, die sich auch in der Einstellung zum Feind äußert. Diese Angelegenheit ist sehr schwierig.

Man braucht von Anfang an eine Erziehung des Menschen, um in ihm eine negative Einstellung zum Haß zu erwecken. Ich glaube, daß die Kirche auf diesem Gebiet schon etwas geleistet hat...

POTSCHIWALOW: Ist die katholische Kirche bereit, im Interesse der Verteidigung des Friedens mit anderen politischen und nicht-politischen Bewegungen zusammenzuarbeiten?

GLEMP: Ich glaube, daß alle ein gleiches Verständnis von Frieden haben. Was ist Friede? Das

allgemeine Wohl... Bei uns in Polen gibt es keine speziell organisierte Gruppe von Gläubigen für die Verteidigung des Friedens. Dennoch ist das Streben nach Frieden bei unseren Menschen sehr stark ausgeprägt...

POTSCHIWALOW: Wie beurteilen Sie den Appell, in den internationalen Beziehungen ein neues, auf der Wirklichkeit beruhendes politisches Denken zu festigen?

GLEMP: Ehrlich gesagt, ich verstehe diese Frage nicht. Das Denken entspricht entweder der Wahrheit oder ist falsch ... Wenn ein Volk mit dem anderen verkehrt, sollte es vom anderen die ganze Wahrheit wissen. Es kommt öfters vor, daß Propaganda nur eine Wahrheit hervorhebt. Das bringt Nachteile für die Sache.

Deswegen glaube ich, daß eine vollständige und wahrheitsgetreue Information wichtig ist. Durch Wahrheit gelangen wir zum gegenseitigen Verständnis —

und das liegt schon ganz nahe beim allgemeinen Frieden.

POTSCHIWALOW: ...Ich glaube, daß ein Dialog über das neue Denken in unseren Tagen deswegen begonnen wurde, weil man das politische Denken mehr demokratisch gestalten und stärker an die Wirklichkeit des Lebens heranführen möchte.

GLEMP: In unserer Sprache nennen wir das Gerechtigkeit. Das neue Denken bedeutet fragen, wie man die Gerechtigkeit als Maßstab verstehen kann. Grundlage dafür ist die Erkenntnis, daß alle Menschen gleich sind. Menschen sollen die Gesellschaft bilden, um einander näherzukommen. Deswegen ist eine ungerechte Verteilung der Güter der Erde eine große Sünde der Menschheit. Und das hat eine direkte Beziehung zum Problem des Friedens.

POTSCHIWALOW: Die Sowjetunion ist mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten, bis zum Ende dieses Jahrhunderts zu

einer vollständigen nuklearen Abrüstung zu kommen, das folgende Jahrhundert als Jahrhundert ohne Krieg zu erklären und alle Konflikte gewaltlos zu lösen. Finden diese Vorschläge eine Unterstützung der katholischen Kirche?

GLEMP: Ich kenne mich bei diesem Problem nicht aus. Ich weiß nur, daß es nicht einfach ist. Natürlich ist es wünschenswert, bis zum Jahr 2000 zu einer Welt ohne Waffen zu kommen. Doch die Realität beweist, daß diese Frage sehr schwer ist. Offensichtlich soll man sie etappenweise lösen. Vor allem muß man die weitere Militarisierung stoppen. Für mich ist es unerklärlich, wieso es dazu noch nicht gekommen ist.

Ich glaube, das Wettrüsten hat so viele Formen angenommen, daß es allerlei Möglichkeiten gibt, immer wieder nachzurüsten ... Man muß entschlossen erklären: Schluß mit dem Weiterrüsten! Und dann muß man die vorhandenen Arsenale reduzieren.

Dafür braucht man den Dialog, den echten Dialog auf hoher politischer Ebene.

POTSCHIWALOW: Eminenz, wie beurteilen Sie das Treffen in Reykjavik? Haben Sie dabei etwas Positives entdeckt?

GLEMP: Ich glaube, das war ein Anfang.

POTSCHIWALOW: Wie beurteilen Sie die Aufforderung Michail Gorbatschows, eine Welt ohne Waffen zu schaffen, eine Welt des Friedens ohne Gewalt?

GLEMP: Ich glaube, daß es keinen Menschen gibt, der das nicht vertreten würde. Doch unter den Menschen ist das Vertrauen noch nicht sehr entwickelt. Die Menschen glauben nicht, was man sagt. Dazu ist Erziehung notwendig, an der wir arbeiten sollten ...

Wir als Gläubige schauen optimistisch in die Zukunft. Wir glauben daran, daß Gott die Welt leitet. Und wir möchten an der Lehre Gottes mitwirken ...

Ich bin sehr zufrieden, daß Sie hierher gekommen sind. Wir brauchen solche Kontakte.

Auszüge aus dem Interview mit Primas Glemp in „Literaturhaja Gazeta“, erschienen am 4. Februar 1987. Ubersetzung: FURCHE.

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