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Werkzeug, Bild und Grab

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Besitzt der Mensch Freiheit und Würde? Was hat er dem Tier voraus? Wie kann er in Freiheit überleben? Dazu Referatsauszüge vom 12. Salzburger Humanismusgespräch.

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Besitzt der Mensch Freiheit und Würde? Was hat er dem Tier voraus? Wie kann er in Freiheit überleben? Dazu Referatsauszüge vom 12. Salzburger Humanismusgespräch.

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Daß der Mensch am Animalischen teilhat, ja physisch zum Tierreich gehört, wurde nicht erst durch die darwinische Abstammungslehre dem Denken aufgedrängt, sondern war schon Aristoteles so geläufig wie Linne und versteht sich aus seiner Anatomie von selbst. Ihr gemäß ist er ein Wirbeltier, ein Warmblüter, ein plazentales Säugetier, und die nä-

here morphologische Verglei-chung stellt ihn sogar schon, mit oder ohne Abstammungslehre, in eine bestimmte Tierfamilie, die Primaten bzw. ihnen am nächsten. Diese Anerkennung des Gemeinsamen hat nie gehindert, den Menschen zugleich von aller bloßen Tierheit zu unterscheiden, also ein Transanimalisches in ihm wahrzunehmen und darin sein eigentliches Wesen zu sehen ...

Meine Methode wird sein, einige ausgewählte Merkmale des Menschen auf ihren Sinn zu befragen. Der Merkmale gibt es viele, von den äußeren des Leibes bis zu den inneren des Geistes. Aber vergrößertes Gehirn, Hand, aufrechter Gang zeigen ihre Bedeutung in dem, was sie leisten; ebenso auch das Innerste, wie Vernunft und Phantasie. So habe ich mich für das Zeugnis sichtbarer Artefakte menschlicher Erzeugung entschieden, und zwar solche, die früh und weitverbreitet in der Vorzeit auftreten, keinem

Tier zugetraut werden können, und schon in ihrer primitivsten, einfachsten Form das Wesen der darin wirksamen Eigenschaft des Erzeugers enthüllen...

Meine Wahl fiel auf Werkzeug, Bild und Grab, die lange vor den geschichtlichen Kulturen, vor den großen Behausungen der Götter und den Schrifttafeln unter den Uberresten der Vergangenheit erscheinen, keinen Zweifel an ihrem menschlichen Ursprung lassen und unterschiedlich Entscheidendes über den Menschen aussagen. Zusammen liefern sie der Auslegung so etwas wie die Grundkoordinaten einer philosophischen Anthropologie... x Das Werkzeug sagt uns, daß hier ein Wesen, von seiner Notdurft zum Umgang mit der Materie angehalten, dieser Notdurft in künstlich vermittelter, erfindungsbedingter und verbesserungsoffener Weise dient. Das Bild sagt uns, daß hier ein Wesen - Werkzeuge am Stoff zu unstofflichem Zweck betätigend — den Inhalt seiner Anschauung sich selbst darstellt, variiert und um neue Formen vermehrt — und damit eine neue Objektwelt des Dargestellten jenseits der stofflichen seiner Bedürfnisbefriedigung erzeugt. Das Grab sagt uns, daß hier ein Wesen, der Sterblichkeit unterworfen, über Leben und Tod nachsinnt, dem Augenschein Trotz bietet und sein Denken ins Unsichtbare erhebt — Werkzeug und Bild in dessen Dienst stellend.

In diesen Grundformen wird das dem Menschen wie aller Tierheit schlechthin Gegebene auf einzig menschliche Weise beantwortet und überboten: im Werkzeug die physische Notwendigkeit durch Erfindung; im Bild die sinnliche Anschauung durch Repräsentation und Imagination; im Grab der unabwendbare Tod durch Glaube und Pietät. Alle drei, als Uberbietungen des Unmittelbaren, sind Modi der Mittelbarkeit und Freiheit, die wir Heutigen mit jenen Vormaligen teilen, und somit allzeit gültig als verschiedene, von einem Ursprung ausstrahlende Koordinaten des Verstehens.

Wir mögen nicht immer den Zweck eines bestimmten Werkzeugs wissen, aber wir wissen, daß es einen hatte, im Zweck-Mittel-, Ursache-Wirkung-Verhältnis gedacht und aus solchem Denken erzeugt war: in der weiteren Richtung solchen kausalen Denkens liegen Technik und Physik.

Wir mögen nicht immer die Bedeutung eines Bildes verstehen, aber wir wissen, daß es ein Bild ist, etwas darstellen sollte und in solcher Darstellung die Wirklichkeit, erhöht und vergültigt, wiedererscheinen ließ: in der Richtung solchen Darstellens liegt die Kunst.

Wir mögen die bestimmten Ideen eines Totenkults nicht kennen (und wenn wir sie kennten, äußerst fremdartig finden), aber wir wissen, daß hier Ideen im Spiel waren — die bloße Tatsache des Grabes und Rituals sagt es uns — und daß in ihnen dem Rätsel des

Seins und dem Jenseits der Erscheinung nachgesonnen wurde: in der Richtung solchen Sinnens liegt die Metaphysik.

Physik, Kunst und Metaphysik, urzeitlich angezeigt durch Werkzeug, Bild und Grab, sind hier genannt nicht als schon Bestehendes oder etwas, wozu es überall kommen muß, sondern als ursprüngliche Dimensionen menschlichen Bezugs zur Welt, deren sich dehnender Horizont sie in seiner Ferne als Möglichkeiten einschließt.

So wenig Möglichkeit Verwirklichung garantiert, so wenig besagt diese Aufzählung der Horizonte, daß selbst ihre urtümlichen Anzeigen in jeder Menschengruppe sämtlich zu jeder Zeit angetroffen werden müssen. Sie sind beweiskräftig durch Anwesenheit, nicht ohne weiteres auch durch Abwesenheit. Werkzeuge werden aus begreiflichen Gründen wohl nirgends fehlen. Aber Bild und Grab, beides ein größerer Luxus des mit der Naturnot sich plagenden Menschentums, mögen aus verschiedenen Gründen hier und dort ausbleiben. Die Fähigkeit zu ihnen rechnen wir dennoch zur Fülle des Menschseins, und in keiner Kultur fehlen sie ganz.

Die unsere legt heute den größten Nachdruck auf das, was im Werkzeug sich ankündigte: Technik und die ihr dienende Naturwissenschaft. Das, was dem biologischen Zweck und seiner Auslesedynamik am nächsten stand, als Zoll an den Naturzwang zuerst erschien, ihm als Behelf entgegengestellt wurde, überstrahlt neuerdings mit seinen nie geahnten und sich immer neu übertreffenden, unser ganzes äußeres Dasein beherrschenden Erfolgen alles, was uns sonst unterscheidet „von allen Wesen, die wir kennen".

Vergessen wir darüber nicht, daß die anderen transanimalischen, fortschrittsfremderen Horizonte — auch die heute verschriene Metaphysik — mit zur Ganzheit des Menschen gehören.

Der Autor ist emeritierter Professor für Philosophie an der New Schoo 1 for Social Research. New York.

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