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Werte weisen neuen Weg

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1982 wurden weltweit 3,7 Millionen Tonnen Nahrungsmittel produziert, genug, um sieben Milliarden Menschen täglich mit 2,2 Kilogramm Nahrungsmitteln zu versorgen. Tatsächlich starben jedoch 35.000 Menschen täglich an Hunger.

Dies zeigt, daß die Ambivalenz der geistigen, seelischen und politischen Entwicklung des Mensehen an einem Punkt angelangt ist, an dem er noch nicht weiß, wohin sein Weg führen wird. Die allgemeine Unsicherheit ist die Ursache einer tiefen Angst. Das vorhandene Selbstverständnis trägt nicht mehr, es muß Tag für Tag neu gewonnen werden. Die .Müdigkeit des Guten' ist heute ein noch größeres Problem als damals, als Papst Pius XII. diesen Begriff geprägt hat.

Wir müssen dieses gesellschaftliche Rumoren ernstnehmen. Das Unbehagen mit unserer neuzeitlichen Kultur steigt nicht nur bei den revolutionären Linken, sondern auch bei den Rechten.

Je weniger der Mensch die Gesellschaft durchschaut, umso mehr macht sie ihm Angst. Er kann nicht mehr zwischen wirklichen und vermeintlichen neuen Zwängen unterscheiden.

Die Gesellschaft läßt heute jeden nach seiner Fasson selig werden, sie läßt den Widerstreit aller

Gruppen zu, dabei geht sie von einem sehr unbestimmten Menschenbild aus. Es gibt viele gleichberechtigte Wahrheiten und nicht eine Wahrheit. Dies drückt den Menschen in den Horizont von Zeit und Raum, es fehlt die Dimension der Ewigkeit. So verödet die geistliche Landschaft des Menschen und damit die Sinnmitte des Lebens.

Die Kirche muß in der Gesellschaft wirken. Sie muß die Würde des Menschen aus dem Auftrag einer Botschaft verteidigen.

Das solidarische Menschenbild ist .sowohl als auch', es betont den Vorrang des einzelnen sich selbst und der Gesellschaft gegenüber. Das Subsidiaritätsprinzip ist das Kernstück der katholischen Soziallehre. Was der einzelne sich erarbeitet hat, darf ihm nicht weggenommen und der Gesellschaft gegeben werden.

Das Grundanliegen Johannes XXIII. gilt für uns wie für die Entwicklungsländer. Die Erfüllung des Zieles der Wirtschaft hängt davon ab, daß die Menschen selbständig initiativ werden und die notwendigen Voraussetzungen für die wirtschaftliche und kulturelle Entfaltung schaffen. Dies gilt für die betriebliche Partnerschaft wie für die Entwicklungshilfe.

Was not tut, ist eine Erziehung des Menschen, die ihn Anker finden läßt, die ihn in äußerster Bedrohung von innen und außen leben läßt. Der Mensch muß wieder Vertrauen lernen. Was die Kirche kraft ihres geistlichen Auftrags tun kann, ist die Welt in der

Krise der Sachgesellschaft immer wieder auf Grundwerte und Grundrechte der menschlichen Gemeinschaft hinzuweisen, um wieder eine Orientierung in einer normierten, organisierten und automatisierten Welt zu geben.

Durch das Vatikanische Konzil und durch das Evangelium haben die Christen die besondere Gabe zur Unterscheidung der Geister. Der Christ darf sich nicht an die Welt verlieren, aber er darf die Welt auch nicht aus den Augen verlieren. Wir sind dafür verantwortlich, daß der abendländische Mensch wieder weiß, für welche Sterne er lebt, für das Licht von oben, für die Ordnung Gottes.

Auszug aus einem Referat zum Thema „Die Kirche in der entwickelten Industriegesellschaft", das der Bischof von Essen, Franz Hengsbach, am 19. Oktober in Wien auf Einladung der österreichisch-deutschen Kulturgesellschaft gehalten hat.

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