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Wertwandel bei Abtreibung

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200.000 Unterschriften hatte die Aktion ,.Geborene für Ungeborene” 1984 für eine Petition an den Nationalrat gesammelt. Welche wirksamen Maßnahmen stehen nun bevor?

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200.000 Unterschriften hatte die Aktion ,.Geborene für Ungeborene” 1984 für eine Petition an den Nationalrat gesammelt. Welche wirksamen Maßnahmen stehen nun bevor?

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Vorigen Freitag einigte sich der zuständige Ausschuß auf einen gemeinsamen Bericht an das Plenum des Nationalrats. Ist das Ergebnis (siehe Kasten) Anlaß zur Freude am kommenden Tag des Lebens (IL Mai)?

Daß .Abtreibung gesellschaftlich nicht wünschenswert und medizinisch nicht empfehlenswert” sei, ist eine Trivialität. Auch Befürworter der Abtreibung haben stets betont, es handle sich dabei um ein Übel. Seine tiefen Ursachen müsse man bekämpfen und daher „den Schwangerschaftsabbruch aus dem Dunkel der Illegalität heraus in die Helle der Beratungszimmer ... führen”. (Karl Blecha, 1973)

Was bisher bei dieser Strategie herausgekommen ist, zeigen Schätzungen: 80.000 bis 100.000 Abtreibungenjährlich stellen den 180 Beratungsstellen in Osterreich ein Armutszeugnis aus. Ob die Empfehlung, in Zukunft den Wert des Lebens stärker zu betonen, daran etwas ändern wird? Da wäre die Forderung, Beratung und Abtreibung zu trennen und zwischen beiden eine Bedenkpause einzuschieben, überzeugender gewesen.

Das ganzseitige Inserat der Ab-teibungsbefürworter, das vorige Woche im „Profil” erschien, stimmt auch bedenklich. Da ist von „Durchführung der Fristenregelung” in ganz Österreich die Rede. Und weiter: „Da ein Abtreibungsverbot nur die Zahl illegaler Abtreibungen und damit das Gesundheitsrisiko der betroffenen Frauen steigert, sind Maßnahmen zur Vermeidung von Schwangerschaftsabbrüchen nur im Rahmen der Straffreiheit möglich.”

Hier äußert sich die ganze Per-fidie der Argumentation vieler Abtreibungsbefürworter: Was heißt denn Durchführung der Fristenregelung? Doch wohl, daß überall in Österreich abgetrieben werden soll. Wer dieses „Recht” einmahnt, versteht Abtreibung nicht wirklich als Übel.

Und dann der zweite Satz: Es ist wert, ihn langsam noch einmal zu lesen. Da werden Behauptungen verknüpft, die nichts miteinander zu tun haben. Zunächst einmal: Abtreibung ist auch heute verboten (96 Strafgesetz), nur wird ihre Durchführung bis zum dritten Monat nicht bestraft. Würde man sie bestrafen, stiege zweifellos das Gesundheitsrisiko der Frauen. Daraus aber zu folgern, daß Straffreiheit die Voraussetzung für die Vermeidung von Abbruchen sei, ist weder logisch schlüssig, noch durch die internationale Erfahrung der letzten Dekade zu belegen.

Das erwähnte Zitat ist ein Beispiel für das übliche Jonglieren mit Worten und Behauptungen. Lang genug wiederholt verändern sie das Bewußtsein der Menschen. Bernhard Nathanson, früher Direktor der größten New Yorker Abtreibungs-„Klinik” in New York (jetzt aber entschiedener Abtreibungsgegner), beschrieb die international geübte Taktik, wie folgt:

Man stelle unwahre und grob übertriebene Behauptungen auf und wiederhole sie hartnäckig; man baue die katholische Kirche — vor allem ihre Hierarchie - zum Buhmann auf, der in die Schlafzimmer des Volkes hineinregieren wolle; man streite alle wissenschaftliche Erkenntnis ab, die den Beginn des Lebens mit der Befruchtung gleichsetze und behaupte, der Lebensbeginn sei nicht festzulegen.

Daß dieses Rezept erfolgreich war, zeigt die Entwicklung der Strafgesetzgebung in den meisten Ländern der Welt. Daß damit Wesentliches gegen die Abtreibung geschehen sei, widerlegt die WHO-Statistik: Jährlich werden 30 bis 50 Millionen Kinder weltweit im Mutterleib getötet.

Langsam geht uns das Bewußtsein, daß Abtreibung Tötung und damit ein schweres Unrecht ist, verloren. „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf”, war auch das Motto der Ausführungen von Justizminister Harald Ofner in einem FURCHE-Gespräch (Nr. 14/ 85). Auf die Frage, ob das befruchtete Ei in der Retorte menschliches Leben sei, antwortete Ofner mit nein. „Wenn ich mich auf den Standpunkt stelle, daß das befruchtete Ei... menschliches Leben ist, dann entziehe ich ja der derzeit geltenden Abtreibungsregelung zumindest einen Teil des Bodens...”

Noch deutlicher wird der Wertewandel in einer Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs: Im Vorjahr wurde ein Arzt verurteilt, weil er im Rahmen einer wegen sozialer Indikation zulässigen Abtreibung einen „Kunstfehler” begangen hatte: Das Kind blieb unversehrt im Mutterleib. Nach der Geburt des ungewollten Kindes klagte die Frau auf Schadenersatz - und bekam Recht! Ein gesundes Kind wurde als Schädigung der Mutter gedeutet, denn sonst könnte ja kein Anspruch entstehen gegen den Arzt, der verabsäumt hatte, es rechtzeitig zu töten!

Diese Werteverschiebung ist eine fatale, wenn auch verständliche Folge der Massenabtreibungen. Wer kann auch leben mit dieser unfaßbar angehäuften Schuld? Einer Schuld, die wir alle tragen: Die Ärzte, Schwestern und Frauen, die unmittelbar betroffen sind, aber auch alle, die zur

Abtreibung drängen oder sie achselzuckend geschehen lassen, die Abtreibung als Fortschritt begrüßen, und wir, die resigniert dazu schweigen.

Wir gedenken gerade in diesen Tagen des Kriegsendes und damit auch der grenzenlosen Barbarei, die Millionen von Menschen - vor allem Juden — auf perverse Art das Leben gekostet hat. Zurecht wird nach Bewältigung dieser schrecklichen Vergangenheit gerufen, zurecht gefordert, so etwas dürfe nie wieder geschehen.

Aber ist ähnlicher Schrecken nicht Teil unseres heutigen Alltags? Sind 30 Millionen getötete Ungeborene nicht genau jene Tragödie, vor der uns echte Vergangenheitsbewältigung hätte bewahren müssen?

Wir dürfen vor dieser Schuld nicht die Augen verschließen. Wir müssen sie annehmen und vor Gott tragen.

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