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Westlich der Mur?

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Als die Sowjetunion im Sommer 1968 die Tschechoslowakei besetzte, haben die Sowjets es für notwendig befunden, einer Gewaltoperation ein Mäntelchen der Ideologie umzuhängen. Breschnjew erfand seine Doktrin von der „begrenzten Souveränität“ für jene sozialistisch-kommunistischen Staaten, die von der reinen Moskauer Linie abweichen.

In den Jahren 1953 in Berlin und 1956 in Budapest hat Chruschtschow noch ohne viel Erklärungen zwei kommunistische Regime durch einen massiven Militäreinsatz gerettet. In der Zwischenzeit sieht es besser aus, wenn man mit sanftem Augenaufschlag die eigenen Gewaltmaßnahmen tarnt und durch ideologische Doktrinen schmackhaft macht.

Der erste Staat, der diese Gefahr sofort erkannte, und auf sich bezogen hat, war Jugoslawien. Tito wußte schon 1968, daß die sogenannte brüderliche Hilfe eine Gefahr für ihn darstellte — und er drängte in seinem Staat sofort auf Gegenmaßnahmen.

Die erste Überprüfung der militärischen Schutzmaßnahmen Jugoslawiens scheinen ihm wenig Vertrauen eingeflößt zu haben. Tito sorgte sofort für eine Ablösung der schuldtragenden Militärs; gleichzeitig wurden Vorbereitungen für eine umfassende Landesverteidigung eingeleitet. Jugoslawien erinnerte sich auch seiner jahrhundertealten Partisanentätigkeit gegen die Türken und nicht zuletzt seines Kampfes im zweiten Weltkrieg. Im Zusammenhang mit einer Lösung der Nachfolgeschaft Titos wurden militärische Vorbereitungen gesetzt, um jedem Aggressor im Kampf gegen ein starkes Heer, gegen eine Unzahl von Territorialeinheiten und gegen eine passive Resistenz der Bevölkerung die größten Schwierigkeiten zu bereiten.

Jugoslawien muß im Falle eines Konflikts mit der Sowjetunion mit einem Einmarsch über Ungarn und Bulgarien rechnen. Aber schon bald tauchte die Frage auf, ob nicht eine „Umgehung“ über Österreich zu befürchten wäre. Dieser Weg bietet einem Aggressor nach Jugoslawien eine breitere Front, die dem Stärkeren immer einen Vorteil bringt; zum zweiten aber einen raschen Durchbruch zum Meer und damit eine

Trennung von Italien, das heißt, die Trennung vom Westen und von der NATO. Jugoslawien kann damit von einer möglichen materiellen Unterstützung abgeschnitten werden.

Daher ist Jugoslawien an der Erhaltung der Neutralität Österreichs interessiert. Und es hat durch seine Diplomaten und bei Besuchen in Österreich mehr als einmal angefragt, ob wir auch bereit seien, unsere Neutralität zu schützen.

Nun sind noch unter Titos Lebzeiten Unruhen in Kroatien ausgebrochen, die innere Konflikte herbeiführen. Die Möglichkeit ausländischer Intervention ist extrem gewachsen. Und Österreich extrem gefährdet.

Was aber kann Österreich tun? Undurchführbar ist fürs erste die Wahrung der Lufthoheit. 40 SAAB-Schulflugzeuge bieten weder Schutz noch Abwehr gegen stärkere Luftstreitkräfte. Das würde derzeit die Kraft unseres Staates bei weitem überfordern. Hier fehlt es an Mitteln, die sich in Milliardenhöhe bewegen. In der Luft bleibt uns daher nur ein Papierprotest übrig.

Und zu Lande? Sicher ist in der Steiermark eine Kräftekonzentration des Bundesheeres möglich, die jeden Angriff stark verzögern und westlich der Mur zum Stehen bringen könnte. Ob aber eine Konzentration bei einem raschen Vorgehen oder gar bei einem Uberfall möglich ist, erscheint fragwürdig. Eine Mobilmachung braucht Zeit und müßte nach dem Konzept der Heeresreformkommis-sion für die ersten ein bis zwei Tage durch aktive, jederzeit marschbereite Teile gedeckt werden. Aber diese gibt es nicht — und sie werden wahrscheinlich nicht aufgestellt, da der politischen Führung ein aktives Heer weder genehm ist noch die Mittel dafür bereitgestellt werden.

Das weiß man auch im Ausland. Die größte Gefahr aber besteht dann, wenn ein Einmarsch von einer Seite beginnt, und es zu einem Wettlauf an allen Grenzen kommen kann. Jeder Nachbar will nämlich dann seine strategische Position verbessern und möglichst viele Faustpfänder in der Hand haben.

Der frühere Außenminister Toncic hat in einer Rede in Salzburg einmal, mit einer Deutlichkeit, wie es noch kein Außenminister Österreichs getan hat, erklärt: „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Und warte auf niemanden.“

Die Neutralität ist kein Ruhekissen für bequeme Politiker oder für ein Volk, das sich am liebsten aus der Weltpolitik abmelden will.

Es muß noch vieles geändert werden, bis wir mit gutem Gewissen unseren Nachbarn erklären können, daß wir kein teures Alibiheer haben, sondern eine echte Landesverteidigung, die sich auf alle Bereiche der Wirtschaft und der Gesellschaft bezieht, und daß ein Durchmarsch durch Österreich für den Aggressor zu teuer kommt.

Nicht das Geld allein kann hier den Ausschlag geben, sondern das starke und glaubhafte Bild der politischen Führung, daß Österreich sich in jedem Fall verteidigen wird und niemandem den Eintrittspreis schenkt.

Eine Besetzung unserer Heimat oder ein Kampf auf österreichischem Boden wäre die unabsehbare Folge unserer derzeit selbstverschuldeten Schwäche.

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