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Wetterleuchten für Ceausescu

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Nach Polen, das noch immer die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich zieht, ist zweifellos Rumänien dasjenige Ostblockland, das am meisten von wirtschaftlicher Krise und potentiell auch von politischer Instabilität bedroht ist. Seit rund einem Jahr häufen sich in dramatischer Weise die Alarmsignale.

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Nach Polen, das noch immer die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich zieht, ist zweifellos Rumänien dasjenige Ostblockland, das am meisten von wirtschaftlicher Krise und potentiell auch von politischer Instabilität bedroht ist. Seit rund einem Jahr häufen sich in dramatischer Weise die Alarmsignale.

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Die proletarische Schirmmütze in die sorgengefurchte Stirn gezogen, streng prüfend und milde lächelnd — so läßt sich derzeit Rumäniens „Conducator“

(= Führer) Nicolae Ceausescu bei „Arbeitsbesuchen“ auf den Märkten der Städte, in Lebensmittelhandlungen und in Agrargenossenschaften zeigen.

Stets sind vor, neben und hinter dem KP-Chef Berge von Kohlköpfen, Gurken und Paradeisern zu entdecken, kommen sogar Orangen, Zitronen und Ba-

nanen ins Bild — so als gäbe es die seit einem Jahr andauernde schwierige Versorgungslage in Rumänien nicht. Ein Bukarester Fernsfehjoumalist, kürzlich im Westen gewesen, enthüllte im vertraulichen Gespräch, wie diese Bilder, die dem Rumänen nur ein ungläubiges Lächeln entlocken können, zustande kommen:

Vor dem angekündigten Besuch des Conducators wird von den regionalen Parteibonzen mit Einsatz aller Mittel dieses potemkin- sche Versorgungsparadies aufgebaut — zum Teil werden die Südfrüchte aus jenen Spezialgeschäften der Parteihierarchie herbeigeschafft, die es — so wie im übrigen Osteuropa — auch in Rumänien gibt.

Ist Nicolae Ceausescu wieder abgefahren, „verschwinden die Bananen und Zitronen, ohne daß auch nur eine einzige an die Bevölkerung verkauft worden wäre. Und die frischgrünen Kohlblätter, die sich am Bildschirm dann so hübsch ausnehmen, erweisen sich als gefärbt und sind in Wirklichkeit welk und faulig gewesen.“ Soweit der rumänische TV- Journalist.

Ungeachtet dieser Vertuschungspraktik läßt sich dennoch schon aus der nüchternen Anschauung, aus Statistiken und Zahlen, aus Zeitungsberichten in Rumänien und auch aus wissenschaftlichen Erhebungen und Beobachtungen im Westen eindeutig die rumänische Krise nachwei- sen.

• Faktum ist, daß Rumänien — als erstes Ostblockland - nach dem Krieg Brot, Mais- und Weizenmehl rationieren mußte. Per Dekret ist es untersagt, Lebensmittelvorräte, die über einen Monat hinausreichen, anzulegen. Geschäften in den Städten ist es untersagt, die rationierten Artikel an die Landbevölkerung zu verkaufen. Die Brotverfütterung an

Tiere wird ab sofort gesetzlich geahndet.

• Faktum ist auch, daß seit Mai (!) in einigen Kreisen Rumäniens wie Siebenbürgen oder Städten wie Schäßburg nicht nur Brot und Mehl, sondern auch Zucker, Butter, Käse, Pflanzenöl und Reis rationiert ist.

• Faktum ist, daß selbst in den Diplomatengeschäften in Bukarest nicht immer Fleisch, Eier oder Gemüse zu bekommen sind.

• Und die langen Käuferschlangen vor den Lebensmittelläden hat jeder, der als Tourist in diesem Sommer oder Herbst in Rumänien war, gesehen. Sie sind auch ein Faktum.

Aber auch aus den Statistiken und Wirtschaftsdaten der offiziellen rumänischen Presse läßt sich eindeutig ablesen, daß das Land nach zehn Jahren intensivster Anstrengungen vor einem Scherbenhaufen steht.

Die von 1976 bis 1980 geplante Wachstumsrate des Nationaleinkommens von 11,5 Prozent blieb schließlich bei 7,2 Prozent hängen. Besonders dramatisch das Absacken von 9 Prozent im Jahre 1979 auf nur 2,5 Prozent im Jahre 1980. Heuer dürfte sich die Wachstumsrate nach westlichen Schätzungen bei etwa 2 Prozent einpendeln. N

Ein weiterer Indikator für die Krise: Rumänien, einst einer der wichtigsten Rohölproduzenten der Welt, hat einen dramatischen Verlust in der Förderung zu verzeichnen — sie fiel von 14,7 Millionen Tonnert’ auf 11,5 Millionen Tonnen im Jahre 1980. Um aber die gewaltig ausgebaute petro- chemische Industrie des Landes wenigstens einigermaßen auszulasten, mußte sich ständig verteuerndes Rohöl auch aus Hartwährungsländern gekauft werden.

Die Rechnung für Öleinfuhren stieg im Jahr 1980 auf 1,7 Milliar

den Dollar. 1979 hatten dafür nur 300 Millionen Dollar aufgewendet viferden müssen. Die dennoch gedrosselte Raffinerieproduktion — von 33 Millionen Tonnen früher sank man 1980 auf nur 25 Millionen Tonnen — führte zu einer dramatischen Verschlechterung der Exporterlöse und Deviseneinnahmen.

Auch die rumänische Stahlindustrie hat sich, da sie enorme Mengen an teurer Energie und fast unerschwinglich gewordenen Rohstoffen (die überwiegend importiert werden müssen) verbraucht, zu einem hochkarätigen Verlustgeschäft entwickelt.

In „Revista Economica“ gibt Professor Alexandru Pulu dafür ein anschauliches Beispiel: „1978 hat man bei einem Exportmengenüberschuß von 21.800 Tonnen Stahl einen Devisenverlust von nahezu 100.000 Dollar verzeichnet.“

Nicolae Constantin zeigt in „Era Socialista“ eine weitere Schwachstelle auf: „Rumänien ist es nicht gelungen, sich die - für den Ausbau seiner Wirtschaft erforderlichen Investitionsgüter — im RGW Bereich zu beschaffen. Es ist daher gezwungen gewesen, auch einen wesentlichen Teil dieser Güter gegen harte Währung auf dem Weltmarkt zu erwerben.“

So verwundert es nicht, daß die rumänischen Auslandschulden Ende 1980 bei nahezu 10 Milliarden Dollar lagen und daß sie bis Ende dieses Jahres auf etwa 12,9 Milliarden Dollar hinaufschnellen werden. Die rumänischen Guthaben bei westlichen Banken sind im ersten Quartal 1981 von 263 Millionen auf 147 Millionen Dollar gesunken.

Rumänische Unternehmen sind nach Angaben von Geschäftsvertretern in Österreich im Rückstand mit der Begleichung von Handelswechseln, die nicht durch Akkreditive gedeckt sind. Außerdem scheine Bukarest kurzfristige Bankenkredite zur Rückzahlung von langfristigen Schulden zu verwenden — eine risikoreiche

Politik, die sthon in Polen in die Katastrophe und Hyper-Verschuldung führte. In internationalen Bankkreisen wird daher mit Zynismus bereits davon gesprochen, Rumänien „hat gute Chancen ein zweites Polen zu werden“.

Auf diese äußerst düstere ökonomische Lage hat das Regime in Bukarest mit „bewährten“ Mitteln reagiert - mit den schon in der Vergangenheit recht unwirksamen „Modernisierungskampagnen“, mit „Rationalisierungsmaßnahmen“ und einer von KP- Chef Ceausescu lauthals verkündeten, aber dann nicht stattgefundenen „Agrarrevolution“.

An wirtschaftlichen Gegensteuerungsmaßnahmen hat man bisher eine geringfügige Reduzierung der überdimensionierten Investitionsraten vorgenommen, den Import so weit als möglich gedrosselt, was zu einer weiteren Absenkung des ohnehin niedrigen Lebensstandards führte und schließlich alle nur erdenklichen Anstrengungen — zu Lasten der Bevölkerung - unternommen, um Devisen zu verdienen.

Hier dürfte vor allem — amtliche und offizielle Angaben liegen nicht vor — viel Fleisch, Obst und Gemüse in den Export gegangen sein, was zum Teil die Versorgungslücken am Inlandsmarkt erklärt.

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Ob aus der rumänischen Wirtschafts-, Versorgungs- und Verschuldungskrise auch eine politische Krise wie etwa in Polen wird, ist derzeit seriös nicht zu prophezeien. Möglich ist es. Wenn es aber zu Konflikten und inneren Spannungen im Gefolge dieser auslösenden ökonomischen Ursachen kommt, wird aufgrund ganz anderer nationaler Bedingungen und Voraussetzungen die Entwicklung sicher anders als in Polen verlaufen. Dies kann mit großer Sicherheit gesagt werden.

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