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Wetterleuchten für Francois Mitterrand

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Wetterleuchten für Frankreichs sozialistische Regierung: Nachwahl-Schlappen, unruhiger werdende soziale Schichten, wirtschaftliche Probleme. Was wird die Regierung tun?

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Wetterleuchten für Frankreichs sozialistische Regierung: Nachwahl-Schlappen, unruhiger werdende soziale Schichten, wirtschaftliche Probleme. Was wird die Regierung tun?

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Nach einer schwungvollen Euphorie hat für Frankreichs sozialistische Regierung der bittere Alltag begonnen. Der Verlust von drei Parlamentsmandaten bei einer Nachwahl Mitte Jänner war kein Zufall, sondern zumindest eine nicht zu übersehende Warnung. Die Meinungsbefragungen

veranlassen zwar die Regierung noch zu einem nicht geringen Optimismus, werden aber fast ausnahmslos durch die Ergebnisse kleiner lokaler Wahlen dementiert.

Außerdem schwankt das Popularitätsbarometer Präsident Francois Mitterrands sowie seines Premierministers Pierre Mauroy jeweils bei 50 Prozent, das heißt es liegt an der Grenze der Mehrheit und ist daher bei den gegebenen Irrtumsquellen recht fragwürdig.

Man sollte nicht vergessen, daß Mitterrand im Präsidentschaftswahlkampf seinen Erfolg einem Umschwung von nur zwei Prozent der Wähler verdankte und seine Partei in der Parlamentswahl ausschließlich der Stimmenthaltung der Anhänger des bisherigen Regierungslagers. Der Anteil der Stimmen der Linken an den Wahlberechtigten stieg nur um 0,2 Prozent. Eine schwache Tendenzwende genügt demnach, um der Opposition bei den im März stattfindenden Kantonalwahlen einen Sieg zu sichern.

Drei soziale Schichten lassen augenblicklich deutliche Anzeichen der Unzufriedenheit erkennen: Bauern, Kader und Kleinbürger. Die lauten Proteste der Bauern sind zwar für die Regierung nicht angenehm, die Sozialisten besaßen in deren Reihen jedoch nie eine größere Anhängerschaft.

Anders steht es um die Kader, die Techniker, mittleren und höheren Angestellten, die im vergangenen Jahr teilweise zum ersten Mal für die Sozialisten gestimmt hatten und sich nunmehr durch die sozialistische Gleichheitspolitik erdrückt fühlen, zumal ihre Kaufkraft tatsächlich zurückgeht.

Das Kleinbürgertum war ferner stets für die Sozialisten ein wertvolles Wählerreservoir. Man könnte zwar nicht behaupten, daß die Regierung dieser sozialen Schicht wirklich weh tut. Sie

ist aber zutiefst mißtrauisch gegenüber dem Staat, der trotz des Dezentralisierungsversuchs in den letzten Monaten erheblich an Gewicht gewann. Hierzu kommt die präventive Angst vor der angekündigten Steuerreform -nicht ganz unberechtigt, denn die Erfahrung hat bewiesen, daß jede Veränderung des Steuersystems auch für den kleinen Mann fast immer zu einer zusätzlichen Belastung geworden ist.

Allgemein beunruhigt außerdem die unverändert hohe Infla-

tionsrate, die aller Wahrscheinlichkeit nach selbst im Falle einer leichten Verringerung 1982 erneut über dem Durchschnitt der Industriestaaten liegen wird. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist der Fehlbetrag des Staatshaushalts, der ohne Zweifel weit über den im Voranschlag vorgesehenen Betrag von 95 Mrd. Francs hinausgehen wird.

Der große Trumpf des neuen Regimes war bisher der Wandel. Diese Karte nützt sich aber zwangsläufig schnell ab, was die

meisten Minister noch nicht verstanden haben. Deswegen verkünden sie laufend Neuheiten, ohne zu merken, daß es sich um alte Probleme handelt, die noch nicht gelöst werden konnten, weil es in der Politik und in der Wirtschaft selten Wunder gibt. Das Gedächtnis der Völker ist nicht ganz so schlecht, wie es die Machthaber gerne glauben möchten, i

Außerdem besteht ein Widerspruch zwischen der sozialistischen Parteiideologie und den

Vorstellungen der Mehrheit der Franzosen. Ein Musterbeispiel hierfür liefert die Justiz.

In Erinnerung an seine langjährige Tätigkeit als Strafverteidiger wollte der zuständige Minister Badinter auf dem Wege der Liberalisierung der Strafjustiz sehr weit gehen. Jetzt verzichtet er jedoch auf den schon früher erwogenen Plan, minderjährige Straffällige nicht mehr ins Gefängnis zu schicken, mit der Begründung, daß ein derartiger Be-

schluß dem Empfinden der breiten Öffentlichkeit zuwiderliefe.

Die Erfolge der kostspieligen Konjunkturpolitik sind ihrerseits höchst bescheiden. Das Wachstum dürfte dieses Jahr weit hinter dem offiziell erwarteten Satz von 3,3 Prozent zurückbleiben. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit schuf nur unproduktive Arbeitsplätze (mehr öffentlich Bedienstete und vorzeitige Pensionierung), aber keine echten Mehreinstellungen. Die Wirtschaft glaubt vorläufig nicht an ihre Zukunft, während die Verstaatlichungsaktion zunächst eher destabilisierend wirkt.

Eine nicht geringe Nervenprobe sind schließlich für den Präsidenten die von ihm gewiß nicht so früh erwarteten Spannungen im eigenen Lager. Die kommunistische Gewerkschaft CGT steht schon mit .einem Bein in der Opposition. Realistisch nützt sie die sich bemerkbar machende Unzufriedenheit innerhalb der Arbeiterschaft aus.

Wachsende Widerstände gegen Pierre Mauroy

Da nicht nur die Privatwirtschaft, sondern auch die Verwaltung den Ubergang zur 39-Stun-den-Woche ohne Lohnausfall durch Rationalisierungsmaßnahmen ausgleichen muß, hält sich ein Teil der Arbeitnehmer für betrogen und greift daher zur Streikwaffe. Das Sozialklima dürfte sich in den kommenden Monaten weiter verschlechtern, so daß sich eine Verringerung der Kaufkraft kaum vermeiden lassen wird.

Noch peinlicher ist für den Präsidenten der zunehmende Widerstand der sozialistischen Parlamentsfraktion und auch der Partei gegen Premierminister Mauroy, dem intern offen vorgeworfen wird, zu schwach zu sein-und gleichzeitig zu autoritär über die sachlich durchaus berechtigten Argumente der Partei hinwegzugehen. Die Kritik richtet sich auch gegen eine Reihe anderer Minister, die entweder zu unüberlegt ins Mikrophon sprechen oder sich nicht gerade als aktiv erweisen.

Die für März erwartete Umbildung der Regierung könnte daher ziemlich weit gehen, wenn auch der Premierminister vorläufig nicht gefährdet ist. Denn es würde einen schlechten Eindruck machen, ihn schon nach rund neun Monaten zu entlassen. .

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