6813060-1972_45_04.jpg
Digital In Arbeit

Wettersturz im Parlament

19451960198020002020

Daß der von der ÖVP mehrfach angekündigte „heiße Herbst“ im Parlament das Gesprächsklima zwischen Regierungspartei und den Oppositionsfraktionen an die „Null-Grad-Grenze“ herangebracht hat, erscheint nur von den Worten her als Widerspruch. Tatsächlich existieren beide Begriffe gerade im parlamentarischen Geschehen der letzten Wochen nebeneinander.

19451960198020002020

Daß der von der ÖVP mehrfach angekündigte „heiße Herbst“ im Parlament das Gesprächsklima zwischen Regierungspartei und den Oppositionsfraktionen an die „Null-Grad-Grenze“ herangebracht hat, erscheint nur von den Worten her als Widerspruch. Tatsächlich existieren beide Begriffe gerade im parlamentarischen Geschehen der letzten Wochen nebeneinander.

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist zweifellos richtig, daß das Sperrfeuer der ÖVP-Angriffe im Nationalrat ein Grund für diese Klimaverschlechterung sein mag. Aber eben nur ein Grund.

Tatsächlich gibt es mehrere Ursachen, die hier zusammenspielen: Das beginnt schon bei den gegensätzlichen Charakteren der Personen, die das parlamentarische Geschehen steuern: das sind die drei Präsidenten und die Klubobmänner der drei Fraktionen. An der Spitze Anton Benya, ÖGB-Präsident und geneigt, die Agenden des zweiten Mannes im Staat nach Gewerkschafterart leger und eher hemdsärmelig zu erledigen, was ihm erst jüngst anläßlich der Diskussion um die Begrenzung der täglichen Verhandlungsdauer bei der Budgetdebatte den Groll der Fraktionen eingebracht hat. Dann Alfred Maleta, der „Altmeister des Parlamentarismus“, in ganz anderen Kategorien denkend — und Otto Probst, dritter Präsident und Vorsitzender eines Drei-Parteien-Ausschusses zur Reform der Geschäftsordnung des Parlaments, der allerdings bisher kaum mit spektakulären Erfolgen aufwarten konnte.

Und die Klubobmänner: Leopold Gratz, SPÖ — von der Opposition gelegentlich als „Handlanger Kreiskys“ bezeichnet, Stephan Koren, ÖVP, der mit seiner oft sarkastischen Art Unsicherheit beim Gesprächspartner hervorruft, und Friedrich Peter, dessen Wort wohl wegen der Kleinheit seiner Fraktion nicht das gebührende Gewicht zukommt. So herrscht in der „Präsidialkonferenz“ nicht das Klima, das kooperative Entscheidungen erleichtert.

Kommt dazu, daß alle Fraktionen immer öfter auf die Geschäftsordnung des Parlaments zurückgreifen, um einen politischen Platzvorteil für sich zu erkämpfen. Daß es dann oft und oft zu Auslegungsdifferenzen kommt, weil dieses Gesetz einfach aus einer anderen Zeit und damit aus einer anderen politischen Konstellation stammt, ist offensichtlich.

Der Beobachter des Parlamentsgeschehens stellt noch etwas anderes fest: die Absenz der SPÖ-Fraktion am Rednerpult. Eine Ausnahme bildete nur die EWG-Debatte in der Vorwoche. Freilich, es wird immer wieder gerade in Oppositionskreisen milde lächelnd erklärt, die ehemals besten Redner der SPÖ seien eben auf die Regierungsbank übersiedelt und fielen so als Parteisprecher aus. Trotzdem fällt ein großer Qualitätsunterschied auf: Karl Sekanina etwa hantelt sich an den Zwischenrufen der Oppositionsabgeordneten bis zum Schluß seiner Rede vor und streut nur dann und wann einige Argumentationen ein.

Auch wenn man nicht der Verlesung vorbereiteter Texte das Wort redet, hebt eine sachliche, gut konzipierte Rede zweifellos das Niveau und verhindert vor allem Zwischenruforgien, in denen sich dann viele Abgeordnete in der ersten Erregung im Ton soweit vergreifen, daß Ordnungsrufe an der Tagesordnung sind. Man muß es den Sprechern der Oppositionsparteien bescheinigen: die Reden sind — sicher aus der politischen Stellung heraus — gut konzipiert und haben vielfach hohes Niveau. So ergibt sich rein äußerlich schon der Eindruck des Sperrfeuers der beiden Fraktionen ÖVP und FPÖ gegen Regierung und Regierungspartei.

Aber auch in den politischen Sachfragen selbst hat die ÖVP — so scheint's — aus ihrer Lethargie herausgefunden. Auf dem Gebiete konkreter Wirtschaftspolitik hat sie im Zusammenhang mit den Verträgen zwischen Österreich und den Europäischen Gemeinschaften das Heft in die Hand genommen. Schon das „Preisbeobachtungsgesetz“, das noch vor dem Sommer als „flankierende Maßnahme“ zur Einführung der Mehrwertsteuer über die parlamentarische Bühpe ging, zeigte eindeutig die Handschrift der Volkspartei.

Und bei der Erörterung von Begleitmaßnahmen zu den EWG-Verträgen selbst ist es der Volkspartei vollends gelungen, ihre Intentionen durchzusetzen: vor allem bei der Erstattungsregelung für die landwirtschaftlichen Verarbeitungsprodukte, die von vornherein auf die Ablehnung des Bundeskanzlers und damit seines Teams gestoßen war. Daß hier alle drei Bünde der ÖVP unter einem Hut Platz gefunden haben, mag um so erstaunlicher erscheinen, als in anderen Fragen keineswegs Einigkeit herrscht. So ist zu erwarten, daß gerade die Bünde bei dem in vier Wochen stattfindenden Parteitag den in den neuen Statuten verankerten „Primat der Gesamtpartei“, ohne den wohl eine straffe Politik unmöglich ist, verteufeln werden.

Überdies hat sich eine Gesprächsebene zwischen den beiden Oppositionsparteien gefunden. ÖVP und FPÖ brachten zwei dringliche Anfragen ein, die fast zum totalen Krieg geführt haben. Die Themen waren gezielt: Bundesheer, Inflation und vorzeitige Veröffentlichung von Budgetziffern.

Wenn die ÖVP in diesem von ihr angekündigten „heißen Herbst“ ihre Rolle so weiterspielt, kann sie zweifellos zu parlamentarischen Erfolgen kommen. Stehen doch neben der Behandlung des Budgets noch mehrere andere große Brocken auf dem Arbeitsplan: Lohn- und Einkommensteuerreform und 29. ASVG-Noveile sind wohl die wichtigsten Materien, die nach dem Willen der Regierung außerdem am 1. Jänner 1973 in Kraft treten sollen. Und kann nicht für die Regierung allzu leicht die Parlamentsarbeit in den Hintergrund treten? Vom Ortstafelkriag in Kärnten, der auf andere Bundesländer überzugreifen droht, bis zu den finanziellen Forderungen der Lehrer ist der Bogen weit gespannt, wo der Regierung und allen voran dem Bundeskanzler eine gewiß abnützende „Feuerwehrfunktion“ zukommt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung