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„What kind of people ...“

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Mit der unerbittlichen Folgerichtigkeit einer griechischen Tragödie fallen die amerikanischen Einflußsphären: Südostasien, der Nahe Osten, Südwesteuropa. Es scheint, daß sich diese Gebilde, gewebt aus Vertrauen in die Demokratie, materiell^lus militärischer Hilfe sowie Zuversicht, in die erfolgreich*.^wirtschaftliche Zukunft, durch die USA in.die Einzelteile auflösen und in den Sog kollektiver Kräfte geraten.

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Mit der unerbittlichen Folgerichtigkeit einer griechischen Tragödie fallen die amerikanischen Einflußsphären: Südostasien, der Nahe Osten, Südwesteuropa. Es scheint, daß sich diese Gebilde, gewebt aus Vertrauen in die Demokratie, materiell^lus militärischer Hilfe sowie Zuversicht, in die erfolgreich*.^wirtschaftliche Zukunft, durch die USA in.die Einzelteile auflösen und in den Sog kollektiver Kräfte geraten.

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Hierin ist die dramatische Entwicklung des zu oft genial genannten US-Außenministers zu einer tragischen Gestalt begründet: Es kann diesem Realisten nicht verborgen bleiben, daß auch die geschickteste taktische Außenpolitik über innere und äußere Schwäche nicht hinwegzutäuschen vermag. Bemerkungen Kissingers dieser Natur werden auch immer häufiger registriert und führen zu wachsender Animosität mit dem Kongreß und der Presse. Daß Kissinger trotzdem das Steuer nicht aus der Hand legen will, um Fords Wiederwahl-Chancen nicht zu torpedieren, erhöht den tragischen Charakter seiner Amtsführung.

Aber während sich im Nahen Osten die Niederlage erst schemenhaft abzeichnet — die Krise dürfte erst im Sommer eintreten, wenn die UN-Truppen, die heute noch zwischen Arabern und Israeli patrouillieren, ihr Mandat verlieren — löst sich die Front im Fernen Osten end-

gültig auf. Niemand kann voraussagen, ob nach Kambodscha nicht auch L/aos bereits nahezu überrannt ist oder ob es Südvietnam nochmals gelingt, einige Tage lang die Hauptstadt zu halten.

Hier setzt eigentlich bereits der Geschichtskommentar ein, der für die Zukunft gültige Erkenntnisse erarbeiten soll. Zwei Schulen stehen sich in den USA gegenüber: Die Regierung plädiert überall für weitere Militärhilfe, weil sie von den Vereinigten Staaten das Odium abwenden will, Völker in den Widerstand getrieben zu haben, um sie dann in ihrer letzten Stunde den Wölfen zu überlassen. Wölfe — weil, wie Kissinger bemerkt hat, die halbverhungerte Herde doch noch alles unternimmt, um sieh nicht liquidieren zu lassen, und selbst der zerschossene und demoralisierte Haufen in Saigon noch gegen die kommunistische Übermacht in einem würgenden Ring ankämpft. Der Kongreß dage-

gen fragt, wozu man die Agonie noch verlängern solle — der Kommunismus habe sich eben durchgesetzt und es sei gescheiter, die ehemaligen Klienten zu einem Arrangement mit den neuen Machthabern zu überreden.

Aber das ist eben der Fehler nicht historisch Denkender: Was jetzt geschieht, hat durchaus historische Parallelen. Es hat zum Zweiten Weltkrieg geführt, daß es Adolf Hitler gelungen war, den Westen zur „isolierten“ Behandlung aller schwebenden Konflikte zu veranlassen — vom Saarland bis Polen, Isolierte Analyse (oder, wie es hier oft heißt „a special Situation“) ist immer ein Symptom struktureller Schwäche. Man entschuldigt sich in den USA heute vor sich selbst für das passive Erdulden einer Niedenlage und sät bereits den Samen für die nächste. Henry Kissinger meinte das gleiche, als er einer Gruppe von Journalisten zu erklären versuchte, daß es keine „selektive Verantwortlichkeit“ gebe und daß die grundlegende Frage, jene nach dem „Rohstoff sei, aus dem die Amerikaner geformt sind.“ {„What kind of people are we“...)

Bei der jetzt häufig angestellten Seeflenforsdhung heißt es oft: Amerika befinde sich im Prozeß „des Gesundschrumpfens“. Geschrumpft sind in der Geschichte schon viele Nationen und Mächte. Aber keiner ist es gelungen, „freiwillig zu schrumpfen“. Es ist tragisch, aber letztlich versöhnend, wenn man durch unverschuldete Entwicklung gezwungen wird, eine Großmachtsposition aufzugeben und sich an geänderte soziale und wirtschaftliche Verhältnisse zu gewöhnen. Österreich-Ungarn oder das heutige England sind durch eine solche Entwicklung hindurchgegangen. „Freiwillig schrumpfen“ heißt aber, sich selbst aufgeben, heißt, nationalen Selbstmord begehen, aus dem es kein Zurück und keinen Wiederaufstieg gibt.

Das Personalkarussell in der ÖVP dreht sich und dreht sich und dreht sich. Jetzt sind es die Frauen, die einen Sonnenplatz an der Seite Schleimers im Wahlteam wollen; und die Parteijugend, die ihren Obmann im Parlament sehen will. Unter der Hand sagen Frauen und Jugend, daß sie die Parteiführung eben hängen lassen würden, wenn man ihren Forderungen nicht nachkommt ...

Was denken sich eigentlich potentielle politische Verantwortungs-träger wirklich, wenn sie sich — schlicht und einfach — parteischädigend verhalten?

Politfrauen und Parteijugendlichen ins Stammbuch: die ÖVP kann trotzdem verlieren, wenn sie auf ihrer Liste Frauen und Jugendvertreter hat. Aber sie kann gewinnen, wenn sie die besseren, die gescheiteren und interessanterenPolitiker präsentiert. Und da kommt es bekanntermaßen weder aufs Geschlecht noch aufs Alter an.

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