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Wider den Geist des Lastenausgleichs

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Unter dem Titel „Gleiche Fö rderung für alle Familien“ bekommen ab 1. Jänner 1978 alle Familien pro Monat für ein Kind 880, für zwei Kinder 1800, für drei Kinder 2840 und für vier Kinder 3780 Schilling. Mit dieser Neuerung, die Finanzminister Hannes Androsch als soziale Großtat auf dem Sektor der Familienpolitik hinstellt, hat die Bundesregierung tatsächlich Sinn und Inhalt des 1955 in Kraft getretenen

Familienlastenausgleichsgesetzes pervertiert: Ging es vor mehr als 20 Jahren ausschließlich darum, eine „Umverteilung“ von kinderlosen Steuerzahlern auf kinderreiche Familien vorzunehmen, so stellt das nunmehrige Kindergeld eine nivellierende, den Grundsatz des Leistungslohnes in Frage stellende Maßnahme dar.

Seit Bestehen hat sich der Familienlastenausgleich immer mehr in ein Instrument gesellschaftspolitischer Reformen verwandelt:

• Mit 1. Jänner 1955 trat eine Regelung in Kraft, die unter dem Titel „Kinderfreibeträge“ verschieden hohe prozentuelle Abschläge von den Steuersätzen der Steuergruppe II vorsah. Dieses System machte die schichtenspezifische Wirkung des Lastenausgleichs aus. Daneben gab es von Anfang an generelle Direktzuwen dungen, bekannt als „Familienbeihilfe“. Insbesondere die steuerlichen Erleichterungen sollten sicherstellen, daß den Kindern eine „standesgemäße Erziehung und Ausbildung“ zuteil wurde.

Die Vermögensumverteilung von Reich auf Arm war damals nicht einmal Nebenzweck der Familienpolitik. Nicht, daß man die Notwendigkeit einer staatlichen Ausgleichsfunktion im Sinne mehr sozialer Gerechtigkeit nicht (an)erkannt hätte, aber diese Aufgabe überließ man dem eigentlichen Steuersystem.

• Den ersten Schntt weg vom ursprünglichen Inhalt des Lastenausgleichs machte die Steuerreform vom 1. Oktober 1967: An die Stelle der verschieden hohen prozentuellen Abschläge von den Steuersätzen traten starre Kinderfreibeträge, die das Existenzminimum erhöhten und für die ersten beiden Kinder pro Jahr 7000 Schilling, für jedes weitere Kind 8000 Schilling betrugen.

• Die Lohnsteuerreform des Jahres 1972 (am 1. Jänner 1973 in Kraft getreten) wandelte schließlich die einheitlichen Kinderfreibeträge in Kinderab- setzbeträge um. Der Unterschied: Nun ist nicht mehr ein bestimmter Teil des Einkommens steuerfrei, dafür kann von der Steuer selbst ein bestimmter Betrag (zuletzt maximal 4200 Schilling pro Jahr) abgezogen werden. Ideell war der Unterschied vielfach aber noch spürbarer als materiell: Bisher hieß es, zuerst soll sich jeder selbst erhalten (Existenzminimum), dann soll er seine Kinder erhalten (Freibeträge) und dann soll er erst Steuern zahlen. Ab sofort lautete die Parole aber: Zuerst Steuern zahlen, dann sehen wir, was wir für die Kinder tun können.

• Weil nun das System der Absetzbeträge von einem Viertel aller Familien nicht optimal ausgenutzt werden konnte, was an den letzten Resten der schichtenspezifischen, einer standesgemäßen Erziehung dienenden Wirkung des Lastenausgleichs lag, will der Finanzminister nun die von Anfang an für alle Familien gleich hohe Familienbeihilfe mit den Kinderab- setzbeträgen zu einem einheitlichen, für alle gleich hohen Kindergeld Zusammenlegen.

An der Erarbeitung des ersten Familienlastenausgleichsgesetzes war das von Karl Kummer gegründete „Institut für Sozialpolitik und Sozialreform“ wesentlich beteiligt. Der spätere Finanzminister Wolfgang Schmitz, der die Vorarbeiten im Kummer-Institut leitete, sieht auch heute den Familienlastenausgleich unter dem Aspekt der zweiten Einkommensverteilung: „Danach sollen die Kinderlosen den Kinderreichen helfen. Auch in der Krankenversicherung ist es ähnlich: Nicht die Reichen stützen die Armen, sondern die Gesunden die Kranken.

In der Broschüre „Gesellschaft und Politik“ (herausgegeben vom Kummer-Institut) hieß es 1955: „Es ist heute offenkundig, daß alle, auch die Kinderlosen, auf einen zahlenmäßig ausreichenden, körperlich und geistig gesunden Nachwuchs angewiesen sind.“

Daß das nunmehrige Kindergeld einen rein gesellschaftspolitischen Auftrag wider den Geist des Familienlastenausgleichs erfüllt, ist der SPÖ-Ar- gumentation zu entnehmen. Wegen ihres geringen Einkommens konnten 300.0 Familien den Absetzbetrag nicht oder nicht zur Gänze in Anspruch nehmen, erklärte Staatssekretärin Elfriede Karl: „Diesen Familien, die die Unterstützung der Gemeinschaft im Sinne eines Ausgleichs am dringendsten benötigen, soll nun geholfen werden.“

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