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Wider den Unsinn

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Alle Tätigkeiten, von denen nie-ii mand sagen kann, wozu sie gut sind, bedürfen der Ausrede, daß sie der Menschheit dienen“, meint Erwin Chargaff und freut sich darüber, solcher Ausreden als Emeritus nicht mehr zu bedürfen: „Dem Sisyphus war sein Felsen abhanden gekommen; er konnte ausruhen.“

Seines Zeichens „Alt-Biochemiker“, geboren 1905 im „Südosten der österreichisch-ungarischen Monarchie“, lebt er schon seit 1928 in den USA. Den wohlverdienten Un-Ruhestand - wie ein neues deutsches Wort gerne den Status eines aktiven Pensionisten nennt -nutzt er ohne ängstliche Seitenblik-ke auf „Fachtrottel“ oder die „öffentliche Meinung“ für „Alphabetische Anschläge“. SeineJneue Essay-Sammlung dieses Titels entstand als deutsches Pendant zum letzten englisch geschriebenen Buch Chargaffs, dessen Texte nur „der milde Zwang des Abeces zusammenhalte“. Um mit Prokrustes -„sicher auch der Ahnherr der Übersetzungskunst“ - nichts zu tun zu haben, übertrug er diese nicht einfach ins Deutsche, sondern zog es vor, neue zu „erzeugen“.

Die vierundzwanzig thematisch „bunt gewürfelten“ Aufsätze betrachten einmal mit sanfter Melancholie, dann wieder in verzweifelter Resignation, gelegentlich aber auch mit unerbittlich scharfer Kritik - vor allem an einer Naturwissenschaft, die sich als „Laienreligion“ mit „zahllosen Kirchenfürsten“ etabliert habe - das „Altwerden“ oder die „Dialektik des Untergangs“ , setzen sich mit „Europa, entführt, verführt“ auseinander oder mit dem Problem „nationale Identität“. Dabei zeugen sie alle, nicht nur die derart betitelten „Spracharabesken“, von einer breitgefächerten humanistischen Bildung und vom existentiellen Ernst dieses Universalgelehrten alter Schule. Sein in jahrzehntelanger Natur- und Geistesforschung gewachsener Kulturpessimismus gewinnt in subtilem und oft bissigem Sprachwitz Gestalt, der Vor-bilderwieMichelE. Montaigneund Karl Kraus durchaus nicht verleugnet.

Gute Beispiele dafür sind etwa die „Quadratur des Quadrats“, die dem Autor zum Zeichen überflüssigen, ja gefährlichen Forschereifers vor allem innerhalb seiner Fachdisziplin wird, in der Gen-Technologie: Dient es wirklich der Menschheit, die Nukleotidsequenz des gesamten Genoms mit rund drei Milliarden Basenpaaren zu bestimmen? Geistreich die „Tagträume des Malaventura“ - mit diesem so symptomatisch „gewendetenTitel“ (gewendet nach der Art abgetragener Anzüge vom reichen Onkel), den freilich „Die Nachtwachen des Bonaventura“ inspirierten, ist ein düsteres Bild vom heutigen Amerika überschrieben, wobei the ameri-can way of life für Chargaff zum Inbegriff gegenwärtigen, degenerierten Lebens geworden ist.

Die Ursache für solchen Niedergang - im Computer- und Atomzeitalter durch ungeheuren angeblichen Fortschritt in die Mikroweit einerseits, in die Weiten der Galaxien andererseits rapid vorangetrieben und so wahrhaftig ungeheuer im zweideutigen Wortsinn -sieht Chargaff in der „Pathologie des faustischen Dranges“, der sich zum „Fluch des Machbaren“ ausgewachsen habe. Allzu rasch gerät dabei das „Lebewesen zum Sterbewesen“, denn „Leben ist ein Gespinst, das plump wird unter den plumpen Fingern der es Betastenden“; längst habe daher der „Begriff der Seele seine Seele ausgehaucht“. Wem aber das „Jenseits“ ein „Gähnseits“ geworden sei, ein „fades Paradies, wo er endlich die Füße auf den Tisch legen darf“, dem kämen allerlei gängige Slogans gerade recht als „Denkersatz“ - man beachte hier den feinen Unterschied zwischen „Denk-Er-satz“ und „Denker-Satz“, auf den der Autor eigens hinweist.

Im Text „Heimat, dieses seltsame Wort“ ebenso wie im „Versuch mit oft unzureichenden Mitteln“ leitet sein zur Schrift gewordenes Sprechen Chargaff nun dazu an, Sprachreflexionen in anschauliche Bilder zu kleiden. Heimat bedeutet ihm etwa: „die Bäume im Park, im Garten, unter denen das Kind spielte“ oder „der Sonntag, an dem die Katzen ein besonderes Gesicht machten“. Am wichtigsten jedoch wird für den früh schon Heimatlosen „Heimat“ als „die Sprache, ihre Tönung, ihre Melodie, die das Kind aufnahm, bevor es selbst zu sprechen begann“.

Diese dennoch stets als „Versuch“, - als Essay - zu pflegen, scheint ihm ratsam, denn der ist schätzenswerter Weise immer das Terrain des Nichtfachmannes gewesen; zuviel Fachwissen habe ihm stets geschadet, reine Vermittlung von Information seinem Auftrag widersprochen. Der gelungene, der „wahre Essay“ sei nämlich dem „wahren Aphorismus“ vergleichbar. Gemeinsam sei beiden, „daß man aus ihnen nichts lernen kann außer alles“ und ihr Wesentliches sei, „daß ein Mensch, ein Temperament, ihn geschrieben hat; die Gedanken, die den Text zusammenhalten, fügen sich zu einem Stil, aus dem ein Mensch herausblickt“.

Damit aber wird die notwendige Grenze solcher „Versuche“ deutlich, die aüch für das vorliegende Buch gilt. Der Wiener Philosoph Ludwig Wittgenstein formulierte sie schon 1918 so: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Hat Chargaff, der das Wien der zwanziger Jahre, in dem seine Sprache erwachsen wurde, und das er mit Karl Kraus als „Versuchsstation des Weltuntergangs“ empfand, sich womöglich allzu sehr auf diese Weltsicht festgelegt? Von daher wäre erklärlich, daß ihm offensichtlich alle zeitgenössischen Künste hermetisch verschlossen bleiben und seine „Zwischenlandungen“ - der letzte Text des Bandes - dem neugierigen Leser doch sehr diffus und dubios vorkommen, wenn auch Piaton zwischen den Zeilen mitspricht.

ALPHABETISCHE ANSCHLÄGE. Essays. Von Erwin Chargaff. Verlag Klett-Cotta, Stut.-gart 1989.255 Seiten, kart., öS 280,-.

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