6903602-1980_36_12.jpg
Digital In Arbeit

Wider den Zukunftsfatalismus

Werbung
Werbung
Werbung

„Konsequenzen des Fortschritts". Noch vor einem Jahrzehnt wäre die Wahl eines solchen Themas völlig undenkbar gewesen, weil niemand seinen Sinn verstanden hätte, das Problembewußtsein hierfür einfach nicht vorhanden war.

Zwar war der Fortschrittsoptimismus des 19. Jahrhunderts endgültig erschüttert, doch hatte der beispielslose Wirtschaftsaufschwung der fünfziger und sechziger Jahre und die damit verbundene Prosperität zumindest in den hochentwickelten Industriestaaten noch einmal dem Glauben an den grenzenlosen Fortschritt neue Anregung gegeben: An einen Fortschritt, der sich nicht irgendwelchen Gesetzen der Geschichte verdankt - diese Reste säkularisierter Geschichtstheorien waren ja langst aufgelöst -, sondern der durch die Errungenschaften der modernen Wissenschaft und Technik endgültig machbar und planbar geworden war.

Es gab auch keinerlei Grund, dem „Fortschritt" - gleichbedeutend mit ökonomischem Fortschritt, da dieser für die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung mit einem besseren und vor allem angenehmeren Leben verbunden war-die Zustimmung zu versagen, ja diese Zustimmung wurde geradezu zur vorrangigen staatsbürgerlichen Pflicht. Unverbesserliche Fortschrittskritiker und Warner wurden hingegen in die intellektuelle Nörgler-Ecke verbannt. Daß der Fortschrittsbegriff in seinem ursprünglichen, von der europäischen Aufklärung geprägten Sinn auch und vor allem die geistige und moralische Vervollkommnung des Menschen meinte, kam ohnehin niemandem in den Sinn.

Es ist erstaunlich zu sehen, wie sich im Verlauf eines einzigen Jahrzehnts das geistige Klima radikal verändert hat Die Fortschrittseuphorie der sechziger Jahre hat einer immer weiter um sich greifenden Fortschrittsskepsis, ja einem tiefen Zukunftspessimismus und einem wachsenden Mißtrauen gegenüber der Wissenschaft und Technik Platz gemacht. Mag auch in dieser neuen Anti-Fortschrittsbewegung viel an „Zurück zur Natur", Nostalgie, „small is beautiful"-Romantik mitschwingen, mag sie zum Teil zumindest eine vorübergehende Modeerscheinung sein, in der sich der Überdruß der übersättigten Luft macht, so hieße es dennoch, die Zeichen der Zeit verkennen, wollte man den sich hier anbahnenden Umdenkprozeß übersehen.

Vor genau diesem Hintergrund muß man die bisherigen Alpbacher Gespräche über die „Konsequenzen des Fortschritts" sehen. Es ist nicht zu leugnen, daß dieser Formulierung des Generalthemas etwas „Fatalistisches" innewohnt, etwa nach dem Motto, wer A sagt, muß auch B sagen. In der Tat besteht ja die sehr komplexe Problematik des realen Geschehens nicht zuletzt darin, daß Tatbestände, die in gewisser Hinsicht -, wenn man bestimmte plausible Maßstäbe anlegt, durchaus als Fortschritt gelten können, Konsequenzen haben, die als bedenklich, gefährlich und sogar unerträglich beurteilt werden müssen; Konsequenzen, die meist weder beabsichtigt waren noch vorausgesehen, ja vielfach gar nicht voraussehbar waren.

Es sind nicht zuletzt diese unbeabsichtigten und ungewollten Fortschrittsnebenfolgen, die die fatale Zwangsläufigkeit einer sich ständig beschleunigenden Entwicklung zu bestätigen scheinen, die nur mehr durch verzweifeltes reaktives Gegensteuern - wie lang eigentlich noch? - zumindest einigermaßen unter Kontrolle gehalten werden kann.

Genau gegen diesen fatalistischen Determinismus, der für die Fortschritts-Optimisten wie für die Fortschritts-Pessimisten gleicherweise kennzeichnend ist, wandte sich der Statistiker und Systemanalytiker Prof. Gerhart Bruckmann in seiner Standortbestimmung des Generalthemas. Bruckmann sieht die Zukunft als mächtigen Fluß. Wir selber gleiten in einem kleinen Boot flußabwärts, der Fluß ist voll von Strudeln und Untiefen, die es zu vermeiden gilt und gelegentlich teilt er sich in mehrere Arme, von denen wir einen wählen können.

Um im Bild zu bleiben: Es ist nicht so sehr die Steuerbarkeit unseres Bootes, als vielmehr die Existenz dieser Wahlmöglichkeiten, die uns in die Lage versetzt, sinnvoll über die Konsequenzen des Fortschritts nachdenken zu dürfen, und es gibt, wie Bruckmann betonte, viel mehr Wahlmöglichkeiten als wir zunächst vermuten. Freilich: die Vermeidung ungünstiger Konsequenzen erfolgt nicht von selbst, sondern durch einen Eingriff in das System. Der Fortschritt und seine Konsequenzen lassen sich eben nicht disputieren, wenn man den Menschen als Actor, als Handelnden außer acht läßt!

Bruckmann bestreitet damit keineswegs, daß die Menschheit heute mit einer Reihe von schwerwiegenden Problemen konfrontiert is; für die ihr jegliche historische, empirische Erfahrung, aber auch jegliches analytisches, theoretisches Wissen fehlt, und dem gegenüber ein rein mechanistisches Denken nach dem Schema von Ursache und Wirkung nur sehr beschränkt erfolgversprechend sein kann. Doch Bruckmann setzt auf das im Unterschied zu den natürlichen Ressourcen unerschöpfliche Innovationspotential und auf die unbegrenzte Lernfähigkeit des Menschen.

Vorzüglicher Gegenstand dieses neuen innovatorischen Lernens ist aber unser Verhalten zur natürlichen Umwelt, auf das sich nach Bruckmanns Meinung die ganze Fortschrittsproblematik reduzieren läßt. Angesichts der im wahrsten Sinne des Wortes bedenkenlose Eingriff in unser Habitat könne die Maxime unseres Handelns nur mehr lauten: überleben des Menschen in WUrde, wie es der Klub von Rom in seiner jüngsten Studie formuliert hat. Ein Ziel, das, wie Bruckmann betonte, paradoxerweise den Menschen gar nicht in den Mittelpunkt stellt, denn der Mensch kann überhaupt nur dann in Würde überleben, wenn er die Natur nicht zu unterjochen sucht, sondern sich ihr einfügt.

Es habe sich zur Genüge erwiesen, daß der biblische Auftrag, sich die Erde Untertan zu machen, nichts anderes bedeutet, als die Erde mit der Verantwortung eines guten Hausvaters bestmöglich zu verwalten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung