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Wider die Anarchie in der Weltpolitik
Rüstungskontroll-Bemü-hungen sollten einen gestaltenden Einfluß in der Weltpolitik haben und ein Katalysator des Friedens sein. Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein.
Rüstungskontroll-Bemü-hungen sollten einen gestaltenden Einfluß in der Weltpolitik haben und ein Katalysator des Friedens sein. Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein.
Es ist bei den Vereinten Nationen zu einer Gewohnheit geworden, in jeder objektiven Studie über das Problem des Friedens die zentrale Frage zu ignorieren: den zurückgehenden Einfluß des Artikels 2 (4) der UN-Charta über das Verhalten von Staaten. Dieser bedeutsame Satz ist unbedingt das erste Gebot der Charta.
Er verbietet die Drohung oder die Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Integrität oder die politische Unabhängigkeit eines jeden Staates. Dieses Verbot wird nur durch das „ein-
geborene Recht" auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung eingeschränkt, ausdrücklich geschützt durch Artikel 51 und durch die Mitglieder des Sicherheitsrates.
Indes haben die letzten zwei Jahrzehnte, insbesondere das letzte, eine Flut von Bedrohungen des Friedens, Friedensbrüchen und Aggressionen erlebt... Von Südostasien bis in die Karibik wird ein Staat nach dem anderen bedroht oder tatsächlich angegriffen ...
Daß man sich angewöhnt hat, angesichts der Aggressionen nur mit beschämender Stille oder ohnmächtigen Protesten zu reagieren, hat viele Folgen - allesamt fatal; auf lange Sicht wahrscheinlich die nachhaltigste Auswirkung hat dies auf das internationale Recht...
Wenn der Bruch von erklärten gesetzlichen Normen eher zur Regel als zur Ausnahme wird, wenn eine Gesellschaft jede ernsthafte Anstrengung aufgibt, darauf zu bestehen, daß ihre Gesetzesregeln eingehalten werden, hören diese Bestimmungen auf, Gebote in einem bedeutungsvollen Sinn zu sein und werden zu nichts mehr als frommen Platitüden ...
In der Sicht der Vereinigten Staaten sollte dieses Anliegen der erste Punkt auf der Tagesordnung des Genfer Abrüstungskomitees sein. Wenn der Artikel 2 (4) toter Buchstabe werden sollte, würde, das Streben nach Abrüstung eine donquichotische und utopische Aktivität..
Wir wollen, daß die Rüstungskontrolle mehr als ein Traum, mehr als eine Sehnsucht ist. Mit einer Welt im Zustand der Anarchie kann das Bestreben, Rüstungskontrollvereinbarungen auszuhandeln, aufhören, ein praktischer Weg zu sein, um den Frieden zu untermauern und abzusichern ...
Die Hauptursache für die geringer werdende Bedeutung des Artikels 2 (4) in weltpolitischen Angelegenheiten und den damit zusammenhängenden Niedergang der Rüstungskontrolle ist die expansionistische Politik der Sowjetunion und die außergewöhnliche militärische Aufrüstung, auf welcher diese basiert.
Die sowjetische Propaganda gibt die Bedrohung des Weltfriedens zu, sie verkündet jedoch, daß dies Bedrohung durch einen angeblichen Rüstungswettlauf verursacht werde; der Westen versuche dabei die militärische Überlegenheit über die Sowjet-
union zu erlangen und dann einen nuklearen Krieg zu beginnen.
Es gibt keinen Rüstungswettlauf! Die Geschichte des militärischen Gleichgewichts zwischen der Sowjetunion und der USA kann jeder klar sehen. In den Jahren nach 1945 hatten die Sowjets größere konventionelle Streitkräfte, die Amerikaner die größere Nuklearstreitmacht.
Die siebziger Jahre hindurch vergrößerte die UdSSR stetig sowohl ihre konventionellen wie auch ihre nuklearen Streitkräfte, während die USA im nuklearen Bereich gleichblieben und ihre
konventionellen Streitkräfte reduzierten.
Die USA haben an keinem Wettlauf teilgenommen. Im Gegenteil: Wir haben akzeptiert, was als ein Streben der Sowjetunion nach Parität und Gleichheit beschrieben wird.
Nach allem zu urteilen, hat die UdSSR die militärische Parität mit den USA erreicht. Trotzdem baut sie ihre bewaffneten Streitkräfte weiter aus, um ihr Imperium mit Gewalt zu vergrößern...
Die Sowjetunion initiiert nicht alle Unruhen in der Welt. Ein großer Teil von diesen entsteht
ohne die „Beihilfe" sowjetischer Intervention. Aber die Sowjetunion nützt regionale Turbulenzen aus und manipuliert sie, um ihre Herrschaftssphäre zu vergrößern. Und das sowjetische Beispiel bringt andere Staaten dazu, ebenfalls aggressiv vorzugehen ...
Der sowjetische Expansionismus trachtet danach, das Gleichgewicht der Kräfte in der Welt zu zerstören, von dem die Freiheit abhängt. In diesem Bestreben ist sie bei ihrem Vorstoß zu weit gegangen. Er hat zu einer Welle der Furcht geführt, die eine Welle der Panik werden könnte, wenn wir nicht prompt dazu übergehen, den Artikel 2 (4) als Teil eines lebendigen Gesetzes in der internationalen Politik wiederherzustellen. ..
Wenn man diese Ansicht Vertretern der Sowjetunion erklärt, erwidern sie manchmal, daß wir von ihnen verlangten, ihre Außenpolitik aufzugeben, „die in der Natur ihrer Gesellschaft und ihres Staates verwurzelt ist".
Darauf antworten wir, daß die USA das Recht der Sowjetunion anerkennen, daß sie das Glaubensbekenntnis des Kommunismus nach Belieben und in vollkommener Freiheit predigen kann.
Aber was wir nicht akzeptieren können, ist die These, daß die Sowjetunion ein spezielles und exklusives Recht darauf hat, ihren Glauben durch das Schwert zu verbreiten...
Das höchste nationale Interesse der USA in der Weltpolitik ist ein System des Friedens, in dem alle Nationen die Grundsätze der
Charta, die eine internationale Gewaltanwendung betreffen, akzeptieren. Alle anderen Bestrebungen unserer Außenpolitik — wirtschaftliche Stabilität und wirtschaftlicher Fortschritt, die Verteidigung der Menschenrechte, der Vormarsch der Bildung und Kultur, die Ermutigung von fortschrittlichem und friedlichem Wandel - hängen am Ende von der Vollendung und Beibehaltung des Friedens in diesem Sinne ab...
Die Bedeutung dessen, was wir beabsichtigen, zeigt sich in den Rastern der sowjetischen Politik in Polen.
Es war seit einigen Jahren klar - außer für die dünne Schicht von Partei- und Staatsoffiziellen in Polen - daß das polnische Volk nach einer neuen Ordnung für die Angelegenheiten in seiner Heimat suchte, einer Ordnung, die durch Freiheit und Pluralität in allen Dingen des Lebens charakterisiert ist...
Polen und den anderen Ländern Osteuropas wurde von den drei siegreichen Alliierten, die sich vor einer Generation in Jalta und Potsdam getroffen haben, freie Entscheidungsmöglichkeit versprochen. Aber diese Versprechen von Jalta und Potsdam für Osteuropa wurden nicht gehalten. Und dies verwandelt die Krise in Polen in eine Angelegenheit von tiefer und berechtigter internationaler Bedeutung.
Es gibt noch eine andere und noch grundsätzlichere interna-
tionale Dimension der polnischen Krise. Der militärische Coup d* Etat und die Einführung des Kriegsrechtes durch den polnischen Militärdiktator waren Aktionen, die unter sowjetischer Mittäterschaft und Mitwirkung durchgeführt wurden — mit der zwingenden Drohung: Wenn die polnischen bewaffneten Streitkräfte nicht agierten, würde es die Sowjetunion selber tun! Das ist eine Drohung und die Anwendung von Gewalt in Verletzung des Artikels 2 (4) der Charta, ein flagranter Friedensbruch in einer der sensibelsten und strategisch wichtigsten Regionen der Weltpolitik ... 1
Es war das Ziel der USA, in der polnischen Krise einerseits die Schwere dieser Ereignisse herauszustreichen, aber der Sowjetunion auch einen friedlichen und konstruktiven Weg zu signalisieren, um ihre Sicherheitsbedürfnisse und die legitimen Rechte der Polen in Einklang bringen zu können...
Deshalb hat Präsident Ronald Reagan in seiner Erklärung vom 23. Dezember die Mitarbeit der USA in groß angelegten Programmen für wirksame Aktionen angeboten, die die Lebensfähigkeit der polnischen Wirtschaft wiederherstellen, ohne in irgendeiner Weise die legitimen Sicherheitsinteressen der Sowjetunion zu gefährden. Er rief das amerikanische Angebot eines Marshallplanes der späten vierziger Jahre in Erinnerung — ein Angebot, das Polen zuerst akzeptierte, dann aber abzulehnen gezwungen wurde.
Gleichzeitig warnte Präsident Reagan vor Schritten, durch die die angebundenen Hunde des Krieges losgelassen werden könnten. Niemand kann die Konsequenzen einer solchen Entwicklung kontrollieren oder voraussehen.
Die USA setzen große Hoffnungen auf ein gerechtes und vernünftiges Resultat der polnischen Krisenentwicklung. Eine Wendung der sowjetischen Politik gegenüber Polen in positivem Sinne könnte viele andere Vereinbarungen möglich machen und dazu beitragen, einen Weg für eine echte Verbesserung des Klimas in der Weltpolitik sowie, das Gefüge der internationalen Gemeinschaft zu schaffen.
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