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Wider die Gewalt

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Revolutionäre Haltungen gelten heute in der freien Welt als fortschrittlich, ja, sie werden bei vielen zur modischen Attitüde. Zweifellos sind Umstürze manchmal notwendig, doch auf jeden Fall bedingen sie ungeheures Unheil. Friede ist erstrebenswertes Ziel. Und eben um den Frieden geht es in Grillpar-zers Trauerspiel „Ein treuer Diener seines Herrn“, das derzeit im Burgtheater zur Aufführung gelangt.

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Revolutionäre Haltungen gelten heute in der freien Welt als fortschrittlich, ja, sie werden bei vielen zur modischen Attitüde. Zweifellos sind Umstürze manchmal notwendig, doch auf jeden Fall bedingen sie ungeheures Unheil. Friede ist erstrebenswertes Ziel. Und eben um den Frieden geht es in Grillpar-zers Trauerspiel „Ein treuer Diener seines Herrn“, das derzeit im Burgtheater zur Aufführung gelangt.

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Es wurde Grillparzer vorgeworfen, er verherrliche den Knechtssinn, die Liebedienerei, heutig gesprochen: servilen Konformismus. Gewiß ist die Treue des alten „Reichsgehilfen“ Bancbanus zu seinem König überbetont, aber man sehe doch, worum es bei dieser Treue geht: um die Erhaltung des Friedens. Das ist das Entscheidende in diesem Stück, nicht das „treue Dienen“. Gerade wir heute wissen nach den Katastrophen vergangener Jahrzehnte den Frieden zu schätzen. Dies erst recht, wenn wir sehen, was sich derzeit in anderen Erdteilen begibt.

Um des Friedens willen verzichtet Bancban darauf, sich an dem Schönling Otto von Meran zu rächen, der die junge Frau des Alten durch seine frechen Nachstellungen, durch die Drohung der Vergewaltigung in den Selbstmord getrieben hat. Um des Friedens willen schließt er sich Bruder und Schwager nicht an, die dieses Verbrechen durch Blutrache ahnden wollen und zu Aufrührern werden, ja, er tritt ihnen entgegen. Um des Friedens willen schützt er die Königin und den kleinen Thronerben und läßt sogar Otto entkommen.

Blutrache, die Vergeltung im privaten Bereich, die es in Teilen der Erde immer noch gibt, ist uns, trotz der Ungeheuerlichkeiten, die rings geschahen, längst fremd geworden. Darin erweist sich Bancban als ein Heutiger. „Bezähme dich selbst“, ruft er dem Königskind zu, er selbst bezähmte sich. Seine Haltung erhält besonderen Nachdruck durch die des Königs, der nicht strafen will, der darauf verweist, wie man in diesem Land Beleidigungen rächt, nämlich gar nicht. Weshalb nicht strafen? Um des Friedens willen. Weil Gewalt wieder Gewalt nach sich zieht? Oder weil wir kein Recht zu strafen haben? Ethisches Wunschziel, das Grillparzer mehr noch unserer Zeit als der seinen vorhält.

Die Aufführung im Burgtheater erweckt unter der Regie von Leopold Lindtberg fast den Eindruck, als finde die Vorstellung vor dem Kaiser statt: Die Bühne umgeben angedeutete Logenreihen, über ihr hängen ein riesenhaftes Wappen der Monarchie und mächtige Kristalluster. Diener in den langen braunen Rök-ken der Billeteure begleiten die Vorgänge ein. Die Schauplätze werden auf niederem Podium durch Hänger von Zbynefc Kolar imaginiert. Das Verhaltene im Psychologischen der Gestalten kommt gut heraus. Ewald Baiser ist ein gelassen-überlegener Bancban, Eva Rieck bleibt als Erny allzu farblos, Frank Hoffmann hat das Hitzige des Otto von Meran, ohne allerdings ein Schönling zu sein, Sigrid Marquardt wirkt als Königin zwar hübsch, aber kaum als

Persönlichkeit, Walther Reyer glaubt man das Ruhig-Königliche dieses Königs. Mit dem Anfang der „Eroica“ setzt die Aufführung ein, doch immer wieder Takte dieser „heldischen Sinfonie“ während der Vorgänge erklingen zu lassen, ist völlig unangänglich.

*

Aristoteles sagt in der „Nikoma-chischen Ethik“, es gebe Handlungen, zu denen man sich nicht zwingen lassen darf, sondern denen man den qualvollsten Tod vorziehen müsse. Sophokles hat dies etwa ein Jahrhundert früher in seiner „Anti-gone“ vorgeführt. Zwar geht es da nicht um ein Tun, sondern um den Zwang, eine von den Göttern gebotene Pflicht einem Toten gegenüber zu unterlassen, ein Zwang, dem sich Antigone nicht fügt, wofür sie den Tod auf sich nimmt.

Nun spielen die „Komödianten“ im Theater am Börseplatz nicht eine Übersetzung des Originaltexts, sondern die Bearbeitung durch Bertolt Brecht und zwar nach der Übersetzung von Hölderlin. Diese Tragödie wirkt aktuell, deutet man sie als Aufschrei gegen jedwede Tyrannei, komme sie von rechts oder von links. Was Brecht getilgt hat, ist das Schicksal, das laut Sophokles die Erniedrigten emporhebt, die Glücklichen zu Fall bringt. Antigone bittet bei ihm ausdrücklich, nicht vom Schicksal zu sprechen und fordert: „Von dem sprecht , der mich hinmacht, schuldlos.“ In einem Brief erklärte er, es gehe ihm darum, „die griechische ,Moira' (das Schicksalhafte) herauszuschneiden“. Für Brechts enge Sicht gibt es keine metaphysische Abhängigkeit, die politischen Verhältnisse sind zu ändern, das ist, seiner Meinung nach, nicht von Schicksalshaftem bedingt.

Da es in dieser Aufführung um möglichst krasses Herausstellen der Tyrannei geht, arbeiten die „Komödianten“ unter der Regie von Conny Hannes Meyer über das Archaische hinweg das Barbarische heraus, ja man hat den Eindruck, einen wilden Stamm vor sich zu haben. Der von Hölderlin her schwierig zu verstehende Text wird völlig in ekstatische Gestik, in vehemente Bewegung umgesetzt. Hilde Batke-Koller ist eine düster-fanatische Antigone, der besonders begabte Peter Heeg ein wild-eruptiver Kreon. Starke Ausdruckskraft besitzen die großartigen Kostüme von Gerhard Jax. Mit Totempfählen deutet er das Bühnenbild an. Dieses Wort-Bewegungs-Kunstwerk, das da entsteht, erweist wieder, daß die „Komödianten“ als einziges Wiener Theater, die Großbühnen eingeschlossen, einen eigenen Aufführungsstil entwickelt haben.

Das Volkstheater spielt in den Wiener Außenbezirken die vor nahezu fünfzig Jahren geschriebene Komödie „Kolportage“ von Georg Kaiser, die heute veraltet wirkt. In diesem Stück werden aristokratische Standesvorurteile mit karikaturistisch eingesetzten Mitteln des Kol-portageromans lächerlich gemacht. Aber die einst gut gezielten Pfeile treffen nun ins Leere, denn diese Anmaßung des Adels gibt es nicht mehr. Selbst Söhne und Töchter von Königen heiraten heute Bürgerliche. Derb parodistisches Spiel unter der Regie von Götz Fritsch mit Trude Hajek, Anton Duschek, Marianne Gerzner in den Hauptrollen.

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