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Wider die Willkür

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Nach den aufregenden Ereig -nissen im jugoslawischen Gebiet Kosovo im Frühjahr, die fünfundzwanzig Menschenleben gekostet haben, wurden etwa 250 Albaner, vorzüglich Intellektuelle, in sogenannte Isolationshaft genommen. Die Polizei berief sich auf die Möglichkeit, diedie Verfassung vorsieht, in einer außerordentlichen - für die Auseinandersetzung im Kosovo nicht zutreffenden - Situation, wie unmittelbare Kriegsgefahr oder gefährliche Seuchen, gewissen Personen einen bestimmten Aufenthaltsort zu verordnen. In diesem Fall stand im Polizeibeschluß: „Ihnen wird als Aufenthaltsort das Gefängnis in... verordnet. Diese Maßnahme hört auf, wenn die Gründe für diese Verordnung aufgehört haben.“ Die Familien wußten längere Zeit nicht, wo sich die „Isolierten“ befanden, Rechtsanwälten, die sich einschalten wollten, wurde zynisch bedeutet: Da keine Anklage erhoben sei, hätten sie nichts zu tun. Bald hörte man, daß einige der so Festgenommenen geschlagen und mißbandelt worden waren.

Später wurde gegen eine Anzahl der so Festgenommenen doch Anklage erhoben. Andere wurden einfach freigelassen, als wäre nichts geschehen. Es wurde zugegeben, daß es seitens der Polizei „bedauerliche Übergriffe“ gegebenhabe, Disziplinarmaßnahmen gegen die dafür verantwortlichen Beamten seien eingeleitet worden.

Mit einiger Verspätung verabschiedeten daraufhin die jugoslawischen Schriftsteller einen Appell. Es lohnt sich, den wesentlichen Teil dieses Aufrufs genau zu zitieren:

„Wir protestieren entschlossen gegen alle solche und ähnliche gesetzlich sanktionierte Willkürakte gegen Bürger Jugoslawiens. Wir fordern, daß alle .Isolierten' sofort freigelassen oder aufgrund des Gesetzes ordentlichen Untersuchungsrichtern übergeben werden. Ein jeder unserer Bürger, dem aufgrund fester Beweise, im Laufe eines offenen und freien Gerichtsprozesses unter Teilnahme der Verteidigung und der Öffentlichkeit, Hochverrat, Terrorismus, Verschwörung gegen den Staat oder Aufhetzung zu Haß, Gewalttaten oder Genozid nachgewiesen wird, muß, wie überall auf der Welt, mit gesetzHchen Sanktionen rechnen, aber nie und mit keinerlei Erklärung darf er von Willkür, der persönlichen Meinung oder Laune von Polizeiorganen, Selbstherrschern oder der herrschenden Parteibürokratie abhängen.

Falls bestehende Gesetze des Bundes oder der Republiken oder gewisse Vorschriften die außerordentliche Maßnahme der sogenannten Isolation oder andere ähnliche Sanktionen vorsehen, die jeden Augenbhck neue Konzentrationslager oder Gulags eröffnen können, fordern wir dringend, diese Gesetze sofort und gründlich zu verändern. Unsere sowieso erschütterte staat-Hche Gemeinschaft wird von solchen unmenschHchen und undemokratischen Gesetzen vor der ganzen Welt nochmehr moralisch blamiert, die Sorge für das Ansehen und die Würde Jugoslawiens ist aber eine Angelegenheit nicht nur der Behörden, sondern der gesamten jugoslawischen ÖffentHchkeit“

Zur Entstehungsgeschichte dieses Dokumentes muß gesagt werden, daß es vom Schriftstellerverein Serbiens vorgeschlagen wurde, obwohl der jetzige Vorstand dieser Organisation für serbisch-nationalistisch gesinnt gilt und gerade hin-sichtHch des Geschehens auf dem Gebiet Kosovo bisher stets rigorose Maßnahmen der Staatsgewalt zum Schutze der Serben und Montenegriner gefordert hat, die dort - an-gebHch- von der albanischen Mehrheit bedroht seien. Man wollte sich aber von diesen neuesten Aktionen distanzieren und betonen, daß man solche Gewaltakte nicht gemeint habe.

Andererseits erklärten sich die slowenischen Schriftsteller und die im Kosovo lebenden albanischen Literaten mit diesem Wortlaut nicht einverstanden. Der Präsident des slowenischen Schrif tsteUervereins, Rudi Scheligo, schrieb an den jugoslawischen Schriftstellerverband, der Absatz über „feste Beweise“ sei Schriftstellern nicht angemessen, man habe gerade in Slowenien unlängst erfahren, daß auch ordentliche Prozesse keine Gerechtigkeit gewährleistenmüßten, jedenfalls sei es nicht Sache der Dichter, darauf hinzuweisen, was man tun müsse, um gesetzHche Sanktionen zu erleiden. Der Präsident des Schriftstellerverbandes vom Kosovo, Ibrahim Rugowa, teilte mit, er sei nicht in der Lage, eine Versammlung der MitgHeder einzuberufen, um über dieses Papier zu entscheiden. Die Mehrheit der acht jugoslawischen Schriftstellervereine und der vier PEN-Zentren nahm den Appell jedoch an, und der Präsident des jugoslawischen Schriftstellerverbandes, Slobodan Selenic, konnte ihn der Presse übergeben.

Obwohl die jugoslawische Presseagentur den Text weitergab, fand sich keine seriöse jugoslawische Zeitung, die ihn abgedruckt hätte. Das Fernsehen brachte die Nachricht darüber am Nachmittag, nicht aber am Abend in den meistgesehenen Sendungen. Anscheinend hat auch das Ausland über diesen Schritt der jugoslawischen Schriftsteller nichts erfahren.

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