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Widerspenstige, Change

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Die raren Erlebnisse modernen, legitimen Zugangs zu Shakespeares Lustspielen, wie sie Rudolf Kautek mit „Der Widerspenstigen Zähmung“ in Salzburg zustandebrachte, scheinen sich allein auf die Seltenheit solcher Inszenierung zu beschränken.

Die jüngste Inszene eines Shakespearisčhen Lustspiels, des Stücks „Maß für Maß“, das selbst von den Schatten und Geistern „Hamlets“ heimgesucht wird, zeigte, daß man bestimmte Stücke nicht aufführen soll, wenn man nicht die entsprechende Besetzung hat, das heißt, wenn man nicht so disziplinierte Schauspieler einsetzen kann, die nicht schon bei jedem geringsten Gefühlsausbruch bereits am Rande ihrer Differenzierungsskala angelangt sind.

Mißt man die Inszenierung des Intendanten Gandolf Buschbeck an den schlichten Kriterien des Textes, dann wird klar, daß die Baudis- sinsche Übertragung, die in Salzburg verwendet wird, zum Beispiel vom Herzog mehr verlangt, als Michael Kiurina in dieser Rolle gibt. Blaß ist dieser Herzog, der sich selbst ein Spiel inszeniert, um Leute auf die Probe zu stellen, die sein höchstes Vertrauen genießen. Daß er dabei beinahe die Übersicht verliert, weil die Gesetze allenthalben verschärft werden, macht allerlei Anstalten nötig, wodurch das Spiel an Würze und Tempo gewinnt. Und an dieser Stelle läßt der Herzog als Pater Ludwig keinen Zoll den Herzog vergessen, was die ja nicht dummen Menschen seiner Umgebung, die ihn doch genau kennen, zumindest stutzig machen müßte.

Aber nicht nur daran, wiewohl es der entscheidende Fehler der Regie war, ist „Maß für Maß“ gescheitert. Isabella, ein kluges Mädchen, vom Text her mehr auf der aszetisch- intellektuellen Seite, kühl auch, darf nicht so schreien, wo es eine entsprechend kontrollierte Steigerung auch täte; die Ausbrüche werden unmotiviert, weil die psychologische Steigerung nicht eingehalten wird. Rosemarie Schrammel hätte wesentlich schärferer Führung und Disziplinierung bedurft, diese Isabella von einem hysterischen Teenager wegzurücken. Und so wäre das von jeder Figur zu sagen. Andere tragende Rollen gaben Gerd Rigauer (Angelo), Hermann Schober (Escalus), Kurt Strauß (Pompeijus), der gelegentlich Horvathsche Züge schwarzen Humors erkennen ließ, und Gerhard Balluch (Lucio), der wohl als einziger mit Spielfreude am Werk war und deshalb in dieser Aufführung und der lahmen Umgebung überzogen wirken mußte. Daß man die Rüpelfiguren im Wiener Vorstadtslang sprechen ließ, hätte ein Gag werden können. Wie gesagt: hätte werden können. Das Bühnenbild von Rudolf Schneider- Manns-Au zu dem in Wien spielenden Stück war schon bekannt, jetzt in Goldgelb-Schwarz mit dem Doppeladler darüber. Robert Michael hatte dazu schwarz-weiße Kostüme geschaffen. Die Tonbandbühnenmusik hatte Paul Angerer geschrieben.

Der Beifall hörte sich im Vergleich zu sonst zurückhaltend an.

Wolfgang Bauers „Change", nicht mehr das ganz Neueste auf dem Markt der Gegenwartsdramatik, ward zur Eröffnung der Salzburger Kammerspiele angesetzt. Die traditionelle Guckkastenbühne in der früheren Casinobar soll dem Experiment und wenig gespielter Klassik des kleinen Genres dienen. 137 Sitze sind in dem in Violett und Grau gehaltenen Saal untergebracht, Architekt Keidl hat es verstanden, die hinteren Reihen so zu placieren, daß man von dort aus maximal die obere Hälfte der Schauspieler zu sehen bekommt — und dabei darf man nichl sonderlich klein sein.

Der Salzburger Maler und Graphiker Kay Krasnitzky hat abstrakte Appliken geschaffen, männlich Strenges und weiblich Rundes symbolisierend, in denen zum Teil die Seitenbeleuchtung untergebracht ist Dieser Wandschmuck hat auch die Auf-

gabe, den Raum optisch länger und höher erscheinen zu lassen.

Die Aufführung des Bauerschen Stückes stand durchaus unter keinem Unstern, wiewohl man — eine Neueinführung — in der der Premiere nachfolgenden Diskussion an Paul Hengges Interpretation einiges aussetzte. Und zwar mit Belegen aus dem Text. Hengge verwendete Inserts, Verfremdungen, belastete das Volksstück mehr mit Politintellekt als es hergibt und suchte, daraufhin kritisiert, den Regisseurmärtyrer zu spielen.

Den wichtigsten Punkt aber, nämlich daß sich der Manipulationsversuch Ferys und Reichers an Blasi verselbständigt, aus Quantität — einer Summe vorbereiteter Einbrüche in die Persönlichkeitsstruktur Blasis — in die Qualität, die Pose des Siegers, der alles überstanden hat, der seine Manipulanten hinter sich läßt — umschlägt, hat man übersehen, weil man mit einem Publikumszitat die Diskussion begonnen hatte: „Dieses Stück ist eine Zumutung."

Über das Wichtigste wurde also nicht geredet, und der Teil des Premierenpublikums und der Schauspieler, der an dem Gespräch teilnahm, schien dies auch nicht bemerkt zu haben.

Hengge hat den Begriff „Change“ überfrachtet, wohl „um hinüberzukommen“, er hat Distanzierungen eingeschaltet, mit Transponierungen gearbeitet, den Boxkampf in die

Irrealität der filmischen Zeitlupe mit gespenstergrüner Beleuchtung hineingestellt — all das nahm man ihm übel, zu einem guten Teil zu Recht, zu Unrecht in den Formulierungen, die freilich von Hengges angerührten Repliken geradezu herausgefordert wurden. Das Ensemble solidarisierte sich zu einem Teil mit dem Regisseur und verließ dann, weil es sich mitbetroffen fühlte, ohne aber wirklich gemeint zu sein, zu eben diesem Teil die Diskussion.

Man hat also ein Stück österreichischer Gegenwartsliteratur gesehen, das man vielleicht, wahrscheinlich, auch im großen Haus hätte inszenieren können. Allein: In Salzburg ist man nach den tausendundein nichtssagenden Provisorien glücklich, eine Bühne zu haben, auf der man einiges mehr machen kann als bisher. Durchaus ein Anlaß zur Freude, wenn man sich auch die Eröffnung in anderer Inszenierung hätte denken können. Die Schauspieler haben sich redlich bemüht, allen voran Sylvia Manas als Guggi, Gerhard Zemann als Fery sowie Kurt Hansen als Antoine und Anton Pointecker als Reicher. Weniger gefiel mir der Blasi von Robert Hauer-Riedl. Daneben zeichnete Franz Wettig den verrückten Hofrat Sedlaček sehr sicher, Ilse Hanel war seine jugendliche Gattin.

Ekkehardt Goetze hatte mit dem Bühnenbild Schwierigkeiten, es gelang ihm nicht immer, den Szenen vom Optischen her das Beklemmende der Situation zu verschaffen. Interessant wird sein, das Publikum bei späteren Aufführungen zu beobachten. Zur Eröffnung waren viele Gäste der Premiere und ihrer Verpflichtung wegen gekommen.

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