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Widerstand — keine Revolution

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Historiker sind sich einig: Zum Umsturz wurde von der Kirche (den Kirchen) im Dritten Reich nicht aufgerufen. Wer aber seinen christlichen Glauben ernst nahm, der kam - auch ohne besondere oppositionelle Betätigung - unweigerlich bald in Konflikt mit dem totalitären NS-Staat und wurde von diesem dem Widerstand zugerechnet und verfolgt.

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Historiker sind sich einig: Zum Umsturz wurde von der Kirche (den Kirchen) im Dritten Reich nicht aufgerufen. Wer aber seinen christlichen Glauben ernst nahm, der kam - auch ohne besondere oppositionelle Betätigung - unweigerlich bald in Konflikt mit dem totalitären NS-Staat und wurde von diesem dem Widerstand zugerechnet und verfolgt.

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Der christlich motivierte Widerstand, den die Kirche darstellte, oder anders formuliert, der die Kirche war, kann am ehesten als Widerstand gegen zentrale Elemente nationalsozialistischer Ideologie definiert werden. Das herauszustreichen, hat die Kirchenführung nicht unterlassen und entsprechende Akte gesetzt. So wurde bloß vierzehn Tage, nachdem der Verfasser des nationalsozialistischen ideologischen Standardwerkes: „Mythus des 20. Jahrhunderts“, Alfred Rosenberg, im Jänner 1934 zum „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der

NSDAP“ ernannt worden war, sein „Mythus“ von der Kirche auf die Liste der verbotenen Bücher gesetzt.

In der berühmten Enzyklika Papst Pius XI. „Mit brennender Sorge“ vom März 1937, die in Österreich sträflich wenig beachtet wurde, nahm die Auseinandersetzung mit dem Kernstück nazistischer Wahnideologie, das heißt, der Rassenlehre, die zu jener furchtbaren Barbarei führen sollte, die heute so unfaßbar erscheint, breiten Raum ein,

Der Papst nahm sich kein Blatt vor den Mund: „Wer die Rasse, oder das Volk, oder den Staat,“ oder die Staatsform, die Träger der Staatsgewalt oder andere Grundwerte menschlicher Gemeinschaftsgestaltung — die innerhalb der irdischen Ordnung einen wesentlichen und ehrengebietenden Platz behaupten — aus dieser ihrer irdischen Wertskala herauslöst, sie zur höchsten Norm aller, auch der religiösen Werte macht und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschaffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge.“

Den Personenkult um den Potentaten Adolf Hitler, der schon zur Vergottung ausartete, scheute sich die Enzyklika nicht, entsprechend zu qualifizieren: „Wer in sakrilegischer Verkennung der zwischen Gott und Geschöpf, zwischen dem Gottmenschen und den Menschenkindern klaffenden

Wesensunterschiede irgendeinen Sterblichen, und wäre es der Größte aller Zeiten, neben Christus zu stellen wagt, oder gar über Ihn und gegen Ihn, der muß sich sagen lassen, daß er ein Wahnprophet ist...“

Auf der geistigen Ebene oder, wenn man will, der Ideologie beziehungsweise Weltanschauung prallten Nationalsozialismus und Kirche vehement aufeinander. Das Christentum stellte hierbei grundlegende Lehren des Nationalsozialismus nicht bloß in Fra* ge, es trat ihm mit eigenen entgegen. Die Unvereinbarkeit von Christentum und Nationalsozialismus wurde, je länger jenes System währte, selbst dem naivsten Brückenbauer immer klarer.

Am Freitag, dem 1. April 1938, strahlte der Vatikansender einen aufsehenerregenden Vortrag über den wahren und falschen „Politischen Katholizismus“ aus, der die NS-Ideologie einer massiven Kritik unterzog und zugleich die Haltung der österreichischen Bischöfe ob ihrer März-Erklärungen aufs Korn nahm. Demnach haben „Papst, Bischöfe und Gläubige danach zu streben, daß die Prinzipien des Schöpfers und Erlösers der Welt, wie in allen Bereichen der Schöpfung, auch im Bereich des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens verwirklicht werden“. Das sei im übrigen echter, wahrer „Politischer Katholizismus“, werde aber vom Nationalsozialismus als irdisches Machtstreben der Kirche perhor-resziert. Der Nationalsozialismus spräche hier dieselbe Sprache und stehe in derselben Kulturfront wie der Liberalismus und Marxismus.

In logischer Konsequenz dieser vom Vatikan negierten weltanschaulichen Grundposition des NS hat der Exponent des nationalsozialistischen Regimes in Österreich, Gauleiter Joseph Bürckel, die Jugendfeier am 7.10. 1938 als „Politischen Katholizismus“ und die Ovationen der Jugend für Kardinal Theodor Innit-zer als „politische Demonstration gegen den Staat“ gewertet, um nicht zu sagen, kriminalisiert.

So kann man der These Heinz Hürtens uneingeschränkt zustimmen, nach der diese Unvereinbarkeit „die Kirche in den Augen der nationalsozialistischen Führung zum Gegner im Inneren par excel-lence machte, der nicht eigentlich wie andere Gruppen des Widerstandes ein Sicherheitsproblem darstellte, sondern den noch nicht überwundenen Feind, dem die entscheidende Auseinandersetzung galt, wenn auch der Tag dafür noch nicht bestimmt werden konnte“.

Ob ihrer Massenbasis war die Kirche für den Nationalsozialismus das innere Sicherheitsproblem Nummer 1; so wachte das Regime mit größter Aufmerksamkeit über organisierte Tätigkeiten von Jugendgruppen, die sich anschickten, den rein religiös-liturgischen Bereich zu überschreiten.

Die Kirche hat aber nie und zu keiner Phase des NS-Regimes auch nur ansatzweise den Versuch unternommen, diese ihre Massenbasis zum Sturz dieses Regimes zu mobilisieren. Selbst Bischof Clemens August Graf Galen, der Löwe von Münster, wie er zu Recht apostrophiert wird, hat bei all seinen öffentlichen, massiven Anklagen gegen das barbarische Regime nie zum Sturz dieses Regimes aufgerufen. Ja im Gegenteil, er hat solchen Tendenzen und allfälligen Bestrebungen mancher die Parole entgegengesetzt: „Wir Christen machen keine Revolution.“

Es gab auch keine Theorie des christlich motivierten oder inspirierten politischen Widerstandes. Eine solche zu diskutieren und zu erarbeiten, war auch nicht möglich, denn dazu fehlte selbst das Minimum an Öffentlichkeit. Lag diese Loyalität der Kirche dem Staat gegenüber in der Interpretation von Rom 13,lf.: „Jedermann ordne sich der obrigkeitlichen Gewalt unter; denn es gibt keine Gewalt, die nicht von Gott ist. Die bestehenden sind von Gott angeordnet.“ Oder lag die Ursache für die Loyalität selbst diesem barbarischen NS-Staat gegenüber im stattgehabten Rückzug der Kirche aus und von der Politik?

Der Widerstand der Kirche als solcher wird heute vielfach als vorpolitische Kategorie gewertet, was unter der Voraussetzung, daß politischer Widerstand Staatsstreich und (oder) Attentat inklu-diert, sicher richtig sein mag. Da aber die Kirche durch ihre Lehre und ihr Leben dem totalitären Machtwillen des Nationalsozialismus kategorische Grenzen setzte, ging sie weit über die bloße Resistenz, die gesellschaftliche Verweigerung also, hinaus, und war Widerstand, war auch politischer Widerstand. So hat die Gestapo selbst fromme Wallfahrten als politische Demonstrationen gegen die Partei und den Staat gewertet.

Mehr als nur Resistenz

Wenngleich die Kirche als Institution nie zum aktiven Widerstand, zum Sturz des Regimes aufgerufen hat, haben gar nicht so wenige einzelne aus christlicher Uberzeugung heraus sich verpflichtet gewußt, den Schritt zum aktiven Widerstand zu setzen, und den Sturz des Regimes intendiert. Wenn auch bisweilen nur die Fundamentalopposition, die ihren Bogen bis zu Stauffenburgs Bombe spannt, als Widerstand anerkannt wird, ist eine Bagatellisierung oder gar Negierung des Widerstandes der Kirche durch ihre Identitätswahrung in der Lehre und im Lebensvollzug eine verkürzte Sicht nationalsozialistischen Totalitätsstrebens.

Damit steht dem aktiven Widerstand von Katholiken der Widerstand der Kirche als Institution zur Seite, der für ersteren Ausgangspunkt, Kraftquelle und Impuls sein konnte.

Der Autor ist Professor für kirchliche Zeitgeschichte an der Universität Graz.

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