6820747-1973_34_16.jpg
Digital In Arbeit

Wie Aisdiylos

19451960198020002020

Wird Papadopoulos halten, was er anläßlich seiner Vereidigung als Staatspräsident versprochen hat? Seihst wenn er alles hält, dürfte sich an den Machtverhältnissen wenig ändern, wird das künftige Parlament im Schatten präsidentieller Machtfülle ein bescheidenes Dasein fristen. Das Wenige: die Reaktivierung der Verfassungsartikel über Menschenrechte, Meinungs- und Pressefreiheit. Abzuwarten bleibt, wie sie gehandhabt werden.

19451960198020002020

Wird Papadopoulos halten, was er anläßlich seiner Vereidigung als Staatspräsident versprochen hat? Seihst wenn er alles hält, dürfte sich an den Machtverhältnissen wenig ändern, wird das künftige Parlament im Schatten präsidentieller Machtfülle ein bescheidenes Dasein fristen. Das Wenige: die Reaktivierung der Verfassungsartikel über Menschenrechte, Meinungs- und Pressefreiheit. Abzuwarten bleibt, wie sie gehandhabt werden.

Werbung
Werbung
Werbung

Griechenland im Jahre 1973 — ist das noch das Land der Obristen, das Land, dessen Bevölkerung sich ducken muß und duckt, wie Leibeigene unter der Knute? Einige Ereignisse der vergangenen Monate lassen nur den Schluß zu, daß sich die griechische Szene doch wesentlich tiefgreifender gewandelt hat, als man bei oberflächlicher Betrachtung annehmen möchte.

Nicht daß die Obristen etwa die Zügel etwas lockerer hielten — eher das Gegenteil war der Fall. Da schon von Zügeln die Rede ist — um also im Bild zu bleiben —, der Gaul bockt. In Griechenland regen sich Kräfte gegen die Diktatur. Kräfte, die sich nicht darauf beschränken, im konspirativen Untergrund zu wirken — hat es solche Kräfte in den letzten Jahren gegeben, waren sie so wirkungslos, daß man nicht viel von ihnen gehört hat. Wie sollte es auch anders sein, da die Meister der konspirativen Arbeit, die Kommunisten, längst von der Zentrale zurückgepfiffen worden waren.

Die neue griechische Opposition operiert öffentlich oder halböffentlich und legt dabei oft einen an Selbstentäußerung grenzenden Mut an den Tag. Denn Griechenlands Diktatoren und ihre Werkzeuge in Polizei, Justiz und Armee sind heute um nichts weniger grausam, um nichts weniger gefährlich, setzen sich heute nicht weniger über alle Rechtsgrundsätze hinweg als vor sechs Jahren.

Trotzdem dringt die Kunde von Vorfällen aus Griechenland ins Freie, die vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wären. So wagten es — Zeitungsmeldungen zufolge — im Dorf Agios Ilias, wo beim manipulierten Referendum des Diktators Papadopoulos nur 24 Nein-Stimmen „gezählt“ worden waren, 43 Dorfbewohner, schriftlich niederzulegen, daß sie Nein-Stimmzettel abgegeben hatten, und auch das Ergebnis einer gerichtlichen Nachprüfung in Athen drang an die Öffentlichkeit, bei der in einem der Säcke mit Stimmzetteln 93 Ja- und 203 Nein-Stimmen gezählt worden waren — das „offizielle Ergebnis“ hatte genau umgekehrt gelautet.

Dies sind Zeichen einer Unruhe, die sich offensichtlich selbst mit den Methoden des griechischen Polizeistaates nicht mehr völlig unterdrücken läßt. Wie so oft in der Geschichte, ging die Unruhe auch hier von den Studenten aus. Die Unruhen an der Juristischen Fakultät der Athener Universität liegen nun fast drei Monate zurück, doch viele Details der damaligen Geschehnisse werden außerhalb Griechenlands erst jetzt bekannt. Sie werden bekannt nicht zuletzt dank einem Mann, der sich während des studentischen Aufbegehrens so selbstlos und mutig verhalten hatte wie nachher.

John Coutsoheras, mundtot gemachter Parlamentsabgeordneter und Anwalt, wurde vom Fenster aus Zeuge, wie Polizisten demonstrierende Studenten mißhandelten, lief auf die Straße und forderte die Polizisten auf, das Schlagen einzustellen. Was daraufhin geschah, kennzeichnet Griechenlands Regime und die Mentalität seiner uniformierten Schlägergarden. Coutsoheras gab sich, gefragt, wer er sei, zu erkennen — mit Namen und als „ehemaliges Parlamentsmitglied“.

Es ist interessant, daß die Polizisten Coutsoheras zweimal ausdrücklich gefragt haben, ob er auch sicher Coutsoheras sei, bevor sie sich auf ihn stürzten, ihn niederschlugen und mit den Stiefeln zu mißhandeln begannen.

Während die herbeigeeilte Frau des ehemaligen Parlamentariers, Lena Coutsoheras, die an den Haaren gerissen, ebenfalls niedergeschlagen und mißhandelt wurde, mit einer

Unzahl von Blutergüssen davonkam büßte John Coutsoheras sein rechtes Auge ein.

Das Schicksal von John Coutsoheras ist schlimm genug — aber typisch für das vieler prominenter Gegner des Regimes. Er steht — wie so viele Intellektuelle, Oppositionelle — unter Bewachung und darf Griechenland nicht, ja nicht einmal Athen verlassen. Er kann — als einstiger Inhaber einer Anwaltskanzlei, die meh rere Anwälte beschäftigte —, seinei Beruf nicht mehr ausüben und ha keine Möglichkeit, in seiner eigene! Sprache zu publizieren. Coutsoheras Präsident des griechischen PEN Clubs, Gründungsmitglied der Ge Seilschaft für Menschenrechte, Trä ger zahlreicher Auszeichnungen schreibt heute nur noch in franzö sischer Sprache. Zwar konnte ei ohne Paß, ohne Reiseerlaubnis, in ternationale Auszeichnungen, die ihn verliehen wurden, nicht entgegen nehmen — trotzdem wurde er zi einem Fürsprecher und Zeugen de studentischen Opposition Griechen lands. Daß es in der Studentenschaft ausgehend von der Juristischen Fa kultät, noch Wochen nach den eigent liehen Unruhen gärte und illegal Meetings, Forderungsprogramme um Protestschreiben das Regime ver unsicherten, bezeugten vor wenigei Pagen in Wien der australisch« Schriftsteller Percy N. Cochram und dessen Frau, die währenc eines längeren Aufenthaltes in Athet eine Fülle von Indizien dafür sam mein konnten, daß sich die Träge des Papadopoulos-Regimes keines wegs so sicher fühlen, wie sie siel geben.

Darauf deutete ja auch Papado poulos' unverblümte Ankündiguni

hin, er werde auch bei einer Abstimmungsniederlage weiterregieren. Offenbar hat er also eine Niederlage selbst ins Kalkül gezogen.

Zusammen mit einer großen Zahl von Studenten wurden seinerzeit auch mehrere Professoren verhaftet, die sich mit ihnen solidarisiert hatten. Während die griechische Polizei mit den Verhafteten tat, was griechische Polizei seit sechs Jahren mit Verhafteten zu tun pflegt,, sammelten die freigebliebenen Studenten Unterschriften unter Erklärungen in denen sie sich zu allem, was die Verhafteten getan hatten, und im übrigen des „Verbrechens“ schuldig bekannten, „für die Ideale, die wir unsere] christlichen Überzeugung und der blutigen Geschichte unseres

Landes verdanken“, eingestanden zu sein.

Sie klagten die Behörden an, die Verhafteten zu foltern — und forderten Versammlungsfreiheit, Universitätsdemokratie und Studienreformen, während Elterngruppen schriftlich gegen das spurlose Verschwinden ihrer Söhne und Töchter protestierten.

Aber während seine internationale Bekanntheit einen John Coutsoheras wenigstens bisher vor dem Äußersten bewahrte, unterliegt das, was Griechenlands Polizei, Justiz und sonstige Apparate mit unbekannten oder weniger bekannten Häftlingen machen, in praxi keiner verfassungsmäßigen und keiner gesetzlichen Beschränkung — und auch keiner, die von der Menschlichkeit diktiert wird.

Eltern, die sich bei Polizeistellen nach ihren verschwundenen Kindern erkundigten, hörten die höhnische Aufforderung „Gehen Sie doch zum Justizminister!“, der natürlich nicht zu sprechen ist. Verschwundene tauchen früher oder später wieder auf (oder auch nicht) — und verhalten sich nachher stets sehr schweigsam und still. Daß in griechischen Gefängnissen Folterungen an der Tagesordnung sind, kann man beweisen — und doch nicht beweisen. Denn die

wenigen Gefolterten, die bereit sind, zu sprechen, flehen um Diskretion — die sofortige Reaktion auf jeden Bericht ist neuerliche Verhaftung, neue Folter.

Längst haben die Diktaturen unserer Tage die Foltertechniken ihrer Lehrmeister von SA und SS so perfektioniert, daß maximaler Schmerz gewährleistet ist und doch keine nachweisbaren Spuren zurückbleiben. Besonders „beliebt“ sind Zellen, in denen der Gefangene viele Tage lang bleibt — und nur stehen kann, sind, Tag um Tag, Verhöre jede Stunde, sind Holzpantoffeln, auf die mit Stöcken geschlagen wird sind Stromstöße auf die Genitalien.

Dem entspricht die „Humanität“ des griechischen Stafvollzugs (wozu zu sagen ist, daß viele Häftlinge nie verurteilt, ja nicht einmal angeklagt sondern gegen jedes, auch griechisches Recht einfach gefangengehalten werden), der beispielsweise in einem Fall in einem mittelalterlichen Gefängnis stattfindet. Ein Grieche, sein Name muß aus den genannten Gründen unerwähnt bleiben, büßt eine mehrjährige Kerkerstrafe in einem mittelalterlichen Gewölbe mit nassen Wänden ab, in dem ihm als Toilette lediglich ein Loch im Fußboden zur Verfügung steht, das stets von Ratten besetzt gehalten wird die er mit Fußtritten vertreiben muß.

Derlei ist in Griechenland, wo die Demokratie erfunden wurde, heute an der Tagesordnung und spielt sich sozusagen unter den Augen von Hunderttausenden politisch wenig interessierten Touristen ab — doch ist nicht zuletzt die Anwesenheit dieser Touristen und ihre Notwendigkeit für Griechenlands Wirtschaft der Faktor, der Papadopoulos daran hindert, die politische Situation wieder völlig in den Griff zu bekommen.

Den Touristen zuliebe kann man denn auch in Athen so manches, was, in griechischer Sprache gedruckt, seinen Autor in eine Zelle oder auf eine Insel brächte, auf englisch lesen. So etwa den Bericht von John Coutsoheras über seine Verhaftung — mit allen Details. Es handelt sich um einen Nachdruck der mutigen, oppositionellen Zeitung „Athens News“, übernommen aus den „New York Times“.

Der erste Satz dieses Augenzeugenberichts umfaßt die ganze Tragödie Griechenlands:

„Das Schicksal hat Griechenland das traurige Recht vorbehalten, die ganze Tiefe der von Aischylos ausgesprochenen Wahrheit an sich zu erfahren, daß man, um in die tiefere Bedeutung einer Situation einzudringen, in dieser leben und sie selbst erleiden muß. Beraubt unserer politischen Freiheiten, haben wir den Wert der Demokratie und der menschlichen Würde schätzen gelernt. Aber wir haben einen zu hohen Preis für diese Erkenntnis bezahlt.“

Der Chefredakteur der „Athens News“ verbüßt eine längere Strafe, da die Titelzeile einer Ausgabe, die sich auf Proteste gegen den Athen-Gast (und Exgriechen} Spiro Agnew bezog, nicht durch einen entsprechenden Textabsatz gedeckt war. (Der Textabsatz war einer in der Eile von einem Redakteur unachtsam durchgeführten Streichung zum Opfer gefallen.)

Ob der Verurteilte nach diesen Strafmonaten aber freikommt, kann heute niemand wissen, denn es ist in Griechenland üblich, verbüßte Haftstrafen willkürlich zu verlängern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung