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Wie alle Völker

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Geistliche Schwestern freuten sich über talmudische Auslegungen, und Rabbiner versuchten vergeblich, ihre christlichen Amtsbrüder zu gegensätzlichen Aussagen anzuregen. Die christlich-jüdische Bibel woche in Bendorf am Rhein, in der dieses kleine Wunder geschah, ist bereits zu einer Institution geworden. Katholische und evangelische Theologen, reformierte und orthodoxe Rabbiner aus England, Deutschland, Holland, Frankreich, Österreich und Israel treffen einander dort mit Laien, um über ein Buch aus dem Alten Testament zu diskutieren. Diesmal wurden die Kapitel 1 bis

10 aus dem ersten Buch Samuel durchgenommen.

Das,auserwählte' Volk kann die Last der Erwähltheit nicht mehr ertragen. Es will wie alle anderen sein. Wie viel leichter ist es, einem König aus Fleisch und Blut zu gehorchen, als diesem unsichtbaren, unbegreiflichen Gott.

In Deuteronomium 17, 14-20 stellt Gott dem Volk frei, sich wie alle Völker rings umher einen König zu wählen, wenn es einmal in das Gelobte Land kommt. Doch es muß „ ... ein König, den Gott, Dein Herr erwählt“ sein und dieser König „soll' sich eine Abschrift des Gesetzes in ein Buch schreiben lassen und soll es bei sich haben und darin lesen, sein Leben lang, damit er Gott, seinen Herrn, fürchten lerne und alle Worte dieses Gesetzes getreulich halte, so daß sich sein Herz nicht über seine Brüder erhebe und er nicht abweiche von dem Gesetze ...“

Warum aber weigert sich der Prophet Samuel, diesem Wunsch stattzugeben? Ist es verletzte Eitelkeit? Er selbst wurde von Gott erwählt, dieses Volk zu richten und er tat es nach bestem Wissen und Gewissen. Nun lehnte das Volk ihn und seine Brüder ab.

Fürchtet er, das Volk würde dem Götzendienst verfallen? Sagt es doch: „Setze einen König über uns, der uns regiere, wie es bei allen Völkern der Brauch ist!“ Jedoch der Brauch bei den umliegenden Völkern ist nicht nachahmenswert. Diese Könige opfern der heidnischen Gottheit Moloch sogar ihre eigenen Kinder.

Vom hebräischen Wort „Me-lech“ (König) zum heidnischen Moloch ist nur ein kleiner Schritt. In den semitischen Sprachen, die unvokalisiert geschrieben werden, sieht man keinen Unterschied zwischen dem Schriftbild für König m-l-h und dem kinderfressenden Götzen.

Es war bemerkenswert, daß in dieser Tagung weder bei den Expertengesprächen, in denen die Kapitel 1-10 des ersten Samuelbuches durchgearbeitet wurden.

noch in der vier Tage später stattfindenden Bibelwoche, an der etwa hundert Christen und Juden teilnahmen, Streitgespräche stattfanden. Man war sich darüber einig, daß mit Samuel ein Wendepunkt in der Geschichte Israels eingetreten war. Die Zeit der Richter, die Zeit, in der „ein jeder tat, was ihm recht dünkte“ (Ri 21/25b), ging ihrem Ende zu.

Der Priester Eli war schwach geworden, seine Augen ,stumpf. Die unfruchtbare Hanna, die mit der ganzen Inbrunst ihres Herzens im Tempel von Schilo einen Sohn erfleht, hält er für trunken. Vor dem wüsten Treiben seiner Söhne, die schamlos den Opferdienst des Volkes mißbrauchen, schließt er seine Augen. Doch fügt er sich demütig dem Gottesspruch, der ihm durch den Knaben Samuel (Hanna's Sohn) den Untergang seines Hauses verkündet, und beweist so seine Größe.

Samuel, sein Nachfolger, leitet eine neue Epoche ein. Samuel wurde vielfach mit Moses verglichen. Er war nicht nur Priester und Richter, sondern wie Moses auch Prophet und Führer des Volkes. Doch auch er sieht nicht die Nichtswürdigkeit seiner eigenen Söhne: er-setzt sie zu Richtern ein. Dem suchenden Saul stellt er sich als ,Seher' vor, aber er ist später nicht imstande, David unter den anderen Söhnen Jesse's zu sehen. Seinen stattlicheren Bruder Eliab hält er für den Erwählten. Denn Samuel liebte die Großen!

Man konnte es dem Volk nicht verdenken, daß es sich nach einem starken Mann sehnte. Die Philister drohten an den Grenzen, es war eine schlimme Zeit. Da brauchten sie einen König, „der unsere Kriege führt“, wie es ganz profan im 8. Kapitel unseres Buches gesagt wird. So weist das Volk Samuels Schwarzmalereien über die Nachteile der Königsherrschaft zurück.

Geht es heute nicht genau so? Kaum fühlt sich der Mensch unsicher, ruft er nach der „starken Hand“. Er versteht nicht, daß der starke Mann zum mörderischen . Diktator ausarten kann, der nicht nur sein eigenes Volk in den Abgrund führt.

Im Laufe der Tagung wurde die - aus Österreich stammende -Ausstellung .Judentum im Mittelalter' besucht. Bemerkenswert, wie erschüttert besonders ein holländischer Pastor und eine Nonne von der verzerrten Darstellung des Judentums waren. Sie konnten nicht verstehen, daß in der Armenbibel, der ,biblia paupe-rum', ein Christus am Kreuz die Kirche zur Rechten segnet und die Synagoge zur Linken mit dem Speer durchbohrt.

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