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Wie alt ist St. Pölten?

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Ein privater Mäzen hat 2,2 Millionen Schilling dem Historischen Museum der Stadt St. Pölten zu treuen Händen zur Verfügung gestellt, damit die Anfänge der Geschichte von Niederösterreichs neuer Metropole erforscht werden. Ungefähr zehn Jahre hat der mit den Untersuchungen betraute Peter Scherrer vom österreichischen Archäologischen Institut für die Realisierung veranschlagt. Am 1. August startete er die bis Ende November dauernde zweite Kampagne. Schon jetzt zeichnet sich ab, daß unser Wis-

sen um das Werden der alten Traisen-Siedlung nicht nur lük-kenhaft, sondern zum Teil auch falsch interpretiert worden ist.

Systematisch nach der Römerstadt Aelium Cetium, auf der im 8. Jahrhundert „Traisma ad sanc-tum Hippolytum“ und später „Sanpoltanum“ — also das dem Hl. Hippolytus geweihte älteste Kloster der Mark „Osteriche“ und rund um dieses der Ort Traisma beziehungsweise Sanpoltanum — entstehen sollte, hat bislang lediglich eine Handvoll von Wissenschaftlern gesucht: zwischen 1949 und 1951 der Grazer Universitäts-

professor Balduin Saria, 1953 Her-ma Stiglitz vom österreichischen Archäologischen Institut, 1980/81 Hannsjörg Ubl und 1985 Johannes-Wolfgang Neugebauer(beide vom Bundesdenkmalamt).

Im heurigen Mai und Juni arbeitete Scherrer zum ersten Mal in St. Pölten. Er wollte die Untersuchungen Sarias fortführen und setzte deshalb den Spaten dort an, wo ihn jener weggelegt hatte: im Kapitelgarten des von Jakob Prandtauer über der ehemaligen Klosterkirche St. Hippolyt barok-kisierten Domes. Entdecken konnte der Wissenschaftler des österreichischen Archäologischen Instituts unter anderem einen Bachverbau aus römischer Zeit sowie die Grundmauern eines römischen Hauses. Daß der Bach mit jenem Gewässer identisch ist, auf das sich der Text eines seit der Renaissance bekannten Steines bezieht, ist möglich. Auf dem im Besitz des Historischen Museums befindlichen sogenannten Neptunstein steht in

lateinischer Sprache, der stellvertretende Statthalter erfülle anläßlich der Flußregulierung gerne seine Pflicht gegenüber Gott Neptun.

Nun gräbt Scherrer auf dem Rathausplatz, weil unter ihm eine Tiefgarage angelegt wird und somit das gesamte Gelände sowieso freigelegt werden muß. Auch hier darf er Bauspuren des unter Kaiser Hadrian (117 bis 138n.Chr.) zum Municipium erhobenen Cetium erwarten: Jener durch den Hl. Florian in den Heiligenlegenden erwähnten Römerstadt, aus der der pensionierte Kanzlist des römischen Statthalters nach Lau-riacum (Enns) delegiert worden war, um dort am Prozeß gegen die von Diocletian verfolgten Christen teilzunehmen und in den Fluten der Enns den Bekennertod zu erleiden (304 n. Chr.).

Erforscht werden soll durch die Grabungen vor allem, ob dem Municipium Aelium Cetium (der Name wird abgeleitet aus dem Geschlechtsnamen des Herrschers sowie aus „Möns Cetius“ =

Wiener Wald) gemeinsam mit den Siedlungen Carnuntum (Petro-nell), Ovilava (Wels) und Vindo-bona (Wien) nur das Stadtrecht verliehen wurde oder ob es Hadrian nicht überhaupt erst gründete: Sind doch in St. Pölten weder durch Zufall noch durch gezielte Unternehmen ältere Funde als solche aus dem 2. Jahrhundert gemacht worden. Weiters will Scherrer die Ausmaße dieses Verwaltungsbezirkes der römischen Provinz Noricum feststellen und — davon ableitend — herausfinden, ob das im äußersten Winkel des Imperium Romanum gelegene Municipium mittels Lineal und Winkelmaß im Schachbrettmuster erbaut worden ist, oder ob es ein Haufendorf war. Den Funden nach zu schließen, war es im 2. und 3. Jahrhundert wohlhabend, auch wenn es um 170 die Markomannen und um 250 die Alemannen zerstörten. Nicht zuletzt möchte der Archäologe auch die Ausfallstraßen orten, die wahrscheinlich nach Melk, Mautern, Tulln und Mariazell geführt haben.

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