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Wie Arnold Sdhönberg sehr verspätet zur Wiener Ehrung kam

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Wäre er Bankbeamter geblieben, hätte er’s vielleicht zum Generaldirektor gebracht, und dem so Arrivierten wäre ein sorgenfreies Leben sicher gewesen. Als Bankbeamter fing Gauguin an, wurde aber in einem wechselvollen Leben ein weltberühmter Künstler. Als Bankbeamter fing Kahnweiler an, wurde aber nach einem Wechsel von Deutschland nach Frankreich ein weltberühmter Kunsthändler. In Wien fing als Bankbeamter Arnold Schönberg an. Sein musikalischer Weg war bis zu seinem Tod hart und steinig. Doch seine Theorie und seine Praxis eroberten auf friedlichen Wegen die Welt. ~

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Wäre er Bankbeamter geblieben, hätte er’s vielleicht zum Generaldirektor gebracht, und dem so Arrivierten wäre ein sorgenfreies Leben sicher gewesen. Als Bankbeamter fing Gauguin an, wurde aber in einem wechselvollen Leben ein weltberühmter Künstler. Als Bankbeamter fing Kahnweiler an, wurde aber nach einem Wechsel von Deutschland nach Frankreich ein weltberühmter Kunsthändler. In Wien fing als Bankbeamter Arnold Schönberg an. Sein musikalischer Weg war bis zu seinem Tod hart und steinig. Doch seine Theorie und seine Praxis eroberten auf friedlichen Wegen die Welt. ~

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Viele österreichische Komponisten sind ihm da vorangegangen. Kein österreichischer Komponist ist in diesem Jahrhundert so lang und so intensiv bekämpft und verfemt worden wie Schönberg. Die Musikstadt Wien, wo er geboren wurde, hat sich die meiste Zeit seines Lebens schäbig zu ihm benommen. Als er sie nach dem Ersten Weltkrieg endgültig verließ, begann sein Stern in Europa zu strahlen. Als er 1951 in Kalifornien starb, war er längst ein weltberühmter Neuerer. Der Begründer der Wiener Schule hat seiner Vaterstadt, einer geradezu schon konventionell undankbaren Musikgroßstadt, zu neuem großem Ruhm verholfen, ohne daß die Stadtväter, die Kulturgrößen, die Musikpotentaten in Wien es ihm richtig gedankt hätten.

1934 war Schömberg sechzig Jahre alt. Die Stadt Wien war damals höflich ausgedrückt, anderweitig beschäftigt, als daß sie sich ihres großen Sohnes erinnert hätte, ihn mit einer ehrenden Auszeichnung zu bedenken. Im österreichischen Unterrichtsministerium saßen an den kompetenten Stellen keine Freunde der revolutionären Tat, die Schönberg der Musik angetan bat, und es rieselte im Gemäuer: „Bin Jud ist er auch noch dazu.” — Fluchtartig hatte Schönberg 1933 das Dritte Reich verlassen, von Berlin aus, wo er immerhin ungleich früher als in Wien sich durchzusetzen begonnen hatte.

1944 wurde Schömberg in der amerikanischen Emigration siebzig Jahre alt. Er war damals schon ein kränklicher Mann. Aber seine Schöpferkraft war keineswegs erlahmt. Er bangte um die zahllosen Opfer, denen der Nationalsozialismus unermeßliches Leid gebracht hat. Das kam auch -in seinen musikalischen Gestaltungen zum Ausdruck. Er fieberte für die Befreiung der Wett vom infernalischen Druck des Hakenkreuzes, im besonderen für die Freiheit seiner Heimat. Auch wenn die Musikstadt Wien bisher nichts oder fast nichts für ihn übrig gehabt hat, weder das freie noch das vergewaltigte Wien, so verzehrte er sich dennoch in Sehnsucht nach dieser Stadt, von der auch seine Musik ausgegangen war.

Was lag näher, als diesen weltberühmten Sohn der Musikstadt in seinen alten Tagen wieder nach Hause zu holen? Mit der Befreiung Österreichs 1945 war die Möglichkeit für eine solche Wiedergutmachung gegeben. Es war höchstens eine technische Frage, wie sie im Detail anzupacken wäre. Grundsätzlich aber war sie selbstverständlich in einer Zeit, in der sehr viel von Wiedergutmachung gesprochen wurde. In einer Zeit, in der die Besinnung auf die spezifischen Werte der österreichischen Vergangenheit häufig und hoch gehandelt wurden. In der die Österreicher die Genialität Schönbergs, auch im undankbaren Wien, nicht mehr hätten übersehen dürfen.

Doch in Österreich fand sich kein Chef einer Bundes- oder einer Landesregierung, der gleich nach der Befreiung der einzelnen Landeshauptstädte durch den Rundfunk oder mittels anderer technischer Hilfsmittel alle vertriebenen Söhne und Töchter herzlich eingeladen hätte, in die befreite Heimat zurückzukehren.

Nach bald dreißig Jahren habe ich wieder einmal festgestellt, worum sich innerhalb dieser Zeit die meisten Kulturspitzenreiter in der Regel herumgedrückt haben. Um so mehr verdienen solche Tatsachen es, endlich auch historiographisch fixiert, kraß beleuchtet zu werden. Es war nämlich nicht nur in der Zeit unmit telbar nach der Befreiung so, wie ich es angedeutet habe. Das änderte sich wesentlich auch nicht in den folgenden Monaten und Jahren. Gerade der Fall Schönberg ist ein Musterbeispiel im bedauerlichen negativen Sinn, und es kommt ihm daher weit über den Eimzelfall hinaus allgemeine Bedeutung zu.

Zum Unterschied vom Österreich seit 1945, das als Zweite Republik mittlerweile bald drei Jahrzehnte Geschichte gemacht hat, die freilich noch nicht so geschrieben ist, wie es der Wahrheit entspricht, hat es Staaten gegeben, in denen sofort nach der Befreiung vom Hitlerreich die neue Regierung, auch wenn sie zunächst noch so provisorisch war, alle unter Hitler & Co. Vertriebenen zur möglichst baldigen Heimkehr ins gerettete Vaterland eingeladen haben. So war es zum Beispiel auch in Belgien. Als einer der aus Belgien Vertriebenen, der frühere Wiener Privatdozent und spätere Universitätsprofessor in Louvain Ernst Stein, ein weltberühmter Byzantinist, die Botschaft seines zweiten Vaterlandes Belgien im Rundfunk vernahm, stürzte er, freudig überrascht, tot zu Boden. So niederschmetternd wirkte die Erregung über eine langersehnte Nachricht, die meinen verehrten Universitätslehrer im Schweizer Exil, Freiburger Universität, erreicht hat. Das mag zunächst als ein Einzelfall himgenommen werden, den man als besonders tragisch zu bezeichnen pflegt. Aber in diesem Blitzlicht erhellen sich auch zahlreiche andere Fälle, wie sie 1945 und die folgenden Jahre sich in Österreich abgespielt haben.

Als befreiter Österreicher und nicht zuletzt in meiner neuen Funktion als Stadtrat für Kultur und Volksbildung hielt ich es für meine selbstverständliche Pflicht, meine Landsleute darauf aufmerksam zu machen, daß ein sehr beachtlicher Teil unserer Nation das Land unter Zwang hatte verlassen müssen. Es sei unser aller Pflicht und Bedarf, alle diese wertvollen Österreicher zur Heimkehr einzuladen. Um es auf gut österreichisch zu sagen: da hol’te ich mir die kältesten Füße meines Lebens. Selten bin .ich so abgeblitzt wie damals, als ich nichts anderes wollte als das Selbstverständlichste von der Welt. Aber ich war unentwegt. Ich wandte mich an die Bundesregierung, ich redete der Wiener Landesregierung zu, deren Mitglied ich war, ich redete allen politischen

Parteien zu, auch den Verfolgtenorganisationen. Ich verlangte nicht mehr und nicht weniger, als daß alle höchstverantwortlichen Stellen und Leute in Österreich allen unseren Emigranten wenigstens theoretisch mitteilten, sie seien wieder herzlich willkommen in der beireiten Heimat. Eine solche Erklärung ist von keiner österreichischen Kompetenz damals abgegeben worden. Auch seither hat sich in dieser Hinsicht nichts geändert, abgesehen davon, daß seither viel geistige Substanz mit dem Tod endgültig verloren ging und der Alterungsprozeß viele Möglichkeiten, die in den Jahren unmittelbar nach

1945 offenlagen, einfach zuschüttete.

Schönberg war bei keiner österreichischen Partei in den Jahren nach 1945 persona grata. Wozu ihn daher in seine Vaterstadt zurückholen? Dazu kam, daß von dem Wiener musikalischem Dreigestim — Schönberg, Berg, Webern — Berg schon vor der NS-Herrschaft gestorben war und Webern bald nach 1945 einen grotesken Tod in der Besatzungszeit erlitt. Ihr Werk hatte zwar mittlerweile, wie man auch bei friedlichen Dingen zu sagen pflegt, die Welt erobert. Aber Wien hat oft lang gebraucht, bis es den Ruf einer Weltstadt mit Recht verdiente. Schönberg bekannte sich nicht ausdrücklich zu einer der Parteien im neuen Österreich, er hatte sicherlich in allen Parteien einzelne Sympathisanten, Freunde, Verehrer, ja sogar Kämpfer für sein Werk und seine Leistung. Aber die waren, durch Parteischranken getrennt, nicht imstande, sich zu einer wenn auch noch so kleinen, dafür um so beherzteren Schönberg-Front zusammenzufinden, um im neuerstandenen Österreich altbewährten österreichischen Genies endlich zum längst verdienten und lang vernachlässigten Durchbruch zu verhelfen.

Ich wurde nicht müde, das schwere Versäumnis der österreichischen Regenten im Befreiungsjahr und auch später immer wieder öffentlich und auch sonst zur Sprache zu bringen. Als ich einmal einem führenden Mitglied der österreichischen Regierung von dem unglückseligen Herz- schlag meines vertriebenen Lehrers Ernst Stein erzählte, meinte der österreichische Potentat leutselig: „Na, schau, es war ja gar nicht so schlecht, daß wir nicht alle zur Heimkehr aufgerufen haben. Sonst hätte vielleicht noch andere der Schlag getroffen”. Solche österreichische Regenten waren auf eine unergründlich tiefe Weise uim die von Hitler vertriebenen Österreicher besorgt. Als ich diese wahre Geschichte wieder einmal erzählte, meinte eine sich kritisch gebende Dame der Gesellschaft, deren Patriotismus sich mit Zynismus paarte: „Wenn’s vielleicht auch nicht ganz wahr ist, so haben Sie’s gut erfunden.” Solche Geschichten brauchen nicht erst erfunden zu werden, sie liegen im Land der unbegrenztem Unmöglich keiten, zu dem Österreich sich öfter, als ihm guttut, aufschwingt, auf der Straße, im Kulturbetrieb, in den Ämtern, im Schoß von Regierungen.

Da von weiter oben oder gar von ganz oben her nichts geschah, fühlte ich mich verpflichtet, selber zu handeln. Die Adresse Schönbergs in den USA war bald ausfindig gemacht. Ich schickte ihm einen, wie ich wohl sagen darf, überschwenglich-herzlichen Einladungsbrief. Ich konnte zwar nicht schreiben, ganz Wien, die

Kulturstadt, das geistige Österreich warte auf ihn. Doch meine Funktion als Stadtrat für Kulur und Volksbildung konnte eine Legitimation für meine Verpflichtung, für meine Verantwortung sein. Schönberg antwortete mir glückselig, wies dabei auf sein Alter und seine Gebrechlichkeit hin und fragte so nebenbei bezüglich der Wohnungsverhältnisse in Wien. Ich schrieb ihm, daß zwar im gesamten Wien eine bisher noch nie dagewesene Wohnungsnot vorhanden sei, redete ihm aber ziu, sich von keinerlei Schwierigkeiten den Blick für die Heimat trüben zu lassen. Seine Musik sei nicht mehr verboten und verfolgt. Es liege nun an den Österreichern, im besonderen an der Musikstadt Wien, einiges von dem gutzumachen, was für Schönberg schon in früherer Zeit versäumt worden sei. Auch das Wohnungsproblem könne gelöst werden, wenn er nur einmal da wäre. Es hätten auch andere Emigranten, die zurückgekommen sind, Wohnungen erhalten -mit Hilfe der Behörden. Diese meine Hinweise nützten leider nichts, und Schönbergs Frau ersuchte mich, eine möglichst konkrete Zusage für eine Wiener Wohnung nach den USA zu schicken.

Ich machte mich daran, den Wiener Bürgermeister Theodor Körner von der Notwendigkeit, von der Unerläß- lichkeit eines offiziellen Zusagebriefes in der Wohnungsangelegenheit zu überzeugen. Der menschlich bescheidene Körner meinte zwar, daß er sich als Saulus, der erst nach gründlicher Selbstzucht ein Paulus geworden sei, auch als solcher mit Musikern wie Schönberg nicht recht auskenne. Wenn aber ich als Stadtrat für Kultur und Volksbildung ihm sage, daß der Schönberg ein anständiger Mensch sei und ein großer Wiener Komponist dazu, so wolle er mir das gern glauben. Er sagte mir daher auch zu, einen entsprechenden Brief, den ich ihm vorlegen solle, zu unterschreiben.

Bald mußte ich feststellen, daß der in dieser Zeit ganz unmöglich; jedem Remigranten eine Wohnung zuzu- sichem. Rathausjuristen schlugen paragraphische Purzelbäume, der Bürgermeister solle sich nicht in den Schlingen verfangen.

Mit solcherlei Einwänden gab ich mich natürlich nicht zufrieden. Ich setzte nicht nur Körner, sondern auch anderen in der Stadtverwaltung damals höchstverantwortlichen Mandataren der -SPÖ auseinander, daß ein Unterschied wenigstens gemacht werden müsse. Selbst wenn sich die Spitze der Stadtverwaltung zu keiner generellen Zusage auf- schwingen wolle, so handle es sich doch bei Schönberg um eine außergewöhnliche Laufbahn eines außergewöhnlichen Mannes, der zwar schon in der Ersten Republik nicht nur nicht bedankt und gefördert, sondern auch vom NS-Regime auf das schändlichste verfemt wurde, trotzdem aber der Stadt Wien in der weiten Welt durch seine ebenso zähe wie geniale Schöpferkraft außergewöhnliches Ansehen gebracht hätte. Außerdem sei Schönberg schon in hohem Alter, dazu schon kränklich und bedürfe nicht zuletzt deshalb einer besonderen Sorge der Wiener Stadtverwaltung.

Den jetzigen Zeitgenossen, aber auch damaligen Kollegen kann ich nicht ersparen, wenn ich nicht unter dem Tisch fallen lasse, was ich damals zu hören bekam: „Wenn er eh bald stirbt, wozu brauchen wir ihm dann noch eine Wohnung besorgen?” Von anderer Seite bekam ich so freimütig wie frech, so lausbübisch wie unmenschlich zu hören: „Schon wieder an jüdischen Musiker, den eh keiner versteht, will da der Matejka einschmuggeln.” Ein sehr wichtiges Mitglied der Wiener Landesregierung verstieg sich folgendermaßen: „Wenn er schon a jüdischer Musiker ist, warum macht er denn ka Musik, die umseraner versteht?” Ich klagte damals niemanden an und tue es auch heute nicht. Ich weiß lang genug, wo die tiefen Wurzeln der anti semitischen Rülpserei in Österreich verborgen sind und noch immer gut gepflegt werden. Es wäre ungerecht, nur in einer Partei die weitverzweigten Wurzeln zu suchen. 1945 und die folgenden Jahre war es große Mode, in Reden und Kundgebungen seiner Befriedigung über „die Zerschmetterung des Nationalsozialismus” Ausdruck zu geben, — es gelte „jetzt nur noch die Überreste des Faschismus auszumerzen” Indessen war noch immer jener altbewährte österreichische Antisemitismus am Leben, der sich schon einmal als fruchtbarer Schrittmacher katastrophaler Zeiten erwiesen hat.

Da die Sache mit der Wohnung als Voraussetzung für die Heimkehr Schönbergs keine Fortschritte machte, versuchte ich sozusagen auf einer anderen Tour daran zu erinnern, daß für Schönberg endlich was geschehen müsse. Bei dieser Gelegenheit sei es erwähnt: Ich verdanke da viel meinen Musikreferenten Robert Fanta und Friedrich Wildgans, sie wußten genau, wie Wien sich im Fall Schönberg zu verhalten habe. Längst wäre eine Ehrung Schönbergs durch die Musikstadt fällig, sein 60. Geburtstag, sein 65. und auch sein 70. hatten keinerlei Spur einer solchen Auszeichnung hinterlassen. Man bedenke, und das sei nur nebenbei bemerkt, was für nichtsnutzige und nichtswürdige Nullen, Nebbochanten, Nichtskönner in Wien mit höchsten Ehrungen überhäuft worden sind. Man bedenke, wie viele große und allergrößte Wiener, um nur in diesem Jahrhundert zu bleiben, während ihres Lebens und oft auch noch lang nach ihrem Tod von oben her schlicht und einfach übersehen oder gar verfemt worden sind! Die Listen wären lang, solche schöpferische Persönlichkeiten aufzuzählen. Um so mehr wären solche Litaneien in die Schullesebücher, in die Geschichtsbücher, die das Volk zu lesen bekommt, ohne Korrektur, ohne Retusche einzubauen.

Also habe ich mich bemüht, und zwar von allem Anfang an, Schönberg für die Auszeichnung mit der Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien, das ist die höchste Ehrung der Stadt, vorzuschlagen. Wie mit Schönberg versuchte ich’s auch mit Oskar Kokoschka, dem längst eine solche Anerkennung gebührte. (Bei dem sollte es noch lange dauern, er mußte erst ein Fünfundsiebziger werden.) In der Ersten Republik hat die Stadt Wien einen einzigen Musiker zum Ehrenbürger gemacht, den Ausländer Richard Strauss.

Das Unverständnis gegenüber meinem Ehrungsvorschlag für Schönberg sowohl bei den führenden Leuten der SPÖ als auch bei den Chefs der ÖVP kann ich nur als gigantisch bezeichnen, so merkwürdig das auch klingen mag. Audi kulturelle Wortführer der KPÖ waren da keineswegs für eine „Kampfaktion” zu gewinnen. Ein maßgeblicher Kommunalpolitiker der KPÖ sagte mir des öfteren, das sei „doch nicht massenwirksam”. Schon in den ersten Jahren nach 1945 hatte sich herausgestellt, daß die Verleihung der höchsten Ehrung der Stadt Wien in der Zweiten Republik nur Politikern, die auf Verdienste hinzuwei- sen haben, Vorbehalten bleiben sollte. Die Erste Republik hatte hier wenigstens zwei Ausnahmen gemacht, indem sie je einen Spitzenvertreter der Wissenschaft und der Kunst zu Ehrenbürgern gemacht hatte. Bei der Kunst war es Richard Strauss zu einer Zeit, als der große Stern der Wiener Schule auf dem Gebiet der Musik schon aufgegangen war.

Als Ich Oskar Kokoschka 1946 — zu seinem 60. Geburtstag — für die Ehrenbürgerschaft vorschlug, mußte ich mit aller Deutlichkeit erfahren, wie verhärtet und voll der Vorurteile Menschen den Grundgebo’ten österreichischer Anständigkeit gegenüber sein können. „Er soll erst amal siebzig Jahr alt werden”, sagten die einen, „a Ausländer is er jo a”, sagten die anderen. Und daß im Dritten Reich seine Kunst als „entartet” verfolgt worden war, sollte noch kein besonderer Pluspunkt in dem vom nationalsozialistischen Regime befreiten Wien sein. Bei Kokoschka war nicht nur die Ehrenbürgerschaft nicht durchzudrücken, sondern auch nicht die Ehrung Nummer 2, der „Bürger ehrenhalber”. Nicht einmal für die Ehrung

Nummer 3, den Ehrenring der Stadt Wien, fand ich Verständnis. „Den Ring kann er haben, wenn er fünfundsechzig wird”, sagten die einen, „und gesund is er ja a no, er hat ja erst vor gar net langer Zeit g’hei- ratet”, sagten die anderen. Auch im Unterrichtsministerium, wo ich Schützenhilfe suchte, war nicht die leiseste Neigung zu finden, den schon vor der NS-Zeit weltberühmten Kokoschka etwa jetzt dadurch zur Kenntnis zu nehmen, daß er, mit was immer, ausgezeichnet werde.

Nun wußte ich zwar, daß Kokoschka sich einer guten Gesundheit erfreute. Aber ich wußte ebenso, daß der Gesundheitszustand Schönbergs zu den schlimmsten Befürchtungen Anlaß gab. Um so beharrlicher wurden meine Bestrebungen, die verantwortlichen Leute der SPÖ und der ÖVP von der Dringlichkeit einer höchsten ehrenden Auszeichnung für Schönberg zu überzeugen.

Weil meine Wiener Schönberg- Freunde genauso wie ich annahmen, es müsse uns in kürzester Zeit gelingen, Schönberg wieder nach Wien zu bringen, saJhen wir zunächst davon ab, ihn für den seit 1947 bestehenden Wiener Würdigungspreis für Musik vorzuschlagen. Indessen rückte der 75. Geburtstag Schönbergs immer näher. Die Wiener Philharmoniker sahen damals eine ihrer wichtigsten Interessen darin, ihren heißgeliebten Hans Pfitzner von Deutschland nach Wien zu bringen. Schönberg war für ihre Musikpolitik ein fremder Mann in einem fernen Land. Als Pfitzner starb, ließen die Philharmoniker nichts unversucht, bei der Gemeinde Wien ein Ehrengrab zu beantragen. Es wurde dabei sogar ins Treffen geführt, daß ein Ehren- grab für Pfitzner in Wien den hohen Rang der Musikstadt bereichern und den Fremdenverkehr fördern würde. Wenn schon Fremdenverkehr, ich hätte ihn lieber mit Heimholung und Ehrung Schönbergs gefördert. Der Begründer der zweiten Wiener Musikschule, deren bahnbrechende Weltbedeutung längst feststand, hatte nach dem Ende des NS-Regimes allen Anspruch darauf, in Wien aufs neue verwurzelt zu werden.

Nach Rücksprache mit Bürgermeister Körner sowie mit dem ÖVP- Vizebürgermeister Weinberger — die „Konzentrationsregierung” inklusive KPÖ in Wien dauerte bis Ende 1949 — ließ ach einen Akt anlegen, in welchem eine Ehrung Schönbergs zu seinem 75. Geburtstag im Jahr 1949 beantragt wurde. Selbstverständlich steuerte ich auf die höchste Ehrung zu. Immer unmißverständlicher ließen mich aber die Fraktions-Chefs der beiden Mehrheitsparteien im Rathaus wissen, daß die Ehrenbürgerschaft ausschließlich für emeritierte Spitzenpolitiker reserviert bleiben müsse. Und außerdem sei im besten Fall nur mit dem Ehrenring der Stadt Wien zu rechnen, wenn er schon unbedingt ausgezeichnet werden müsse. Alle diesbezüglichen Verhandlungen und Gespräche vor und hinter den Kulissen waren alles andere als ehrenvoll für die Musikstadt Wien, die übrigens, bei dieser Gelegenheit sei es notiert, für keinen einzigen ihrer großen und weltberühmten Musik-Sträuße die Ehrenbürgerschaft übrig gehabt hat, auch nicht für einen einzigartigen Gustav Mühler, dessen Musik im weltweiten Ausmaß unsterblich geblieben ist, während nach Ehrenbürgern in der Schaffenszeit eines Johann Strauß und der Kampfzeit eines Mahler schon längst nicht einmal ein Hahn mehr kräht.

Als mein Bemühen um den Ehrenbürger Schönberg am totalen Widerstand der zuständigen Funktionäre der Mehrheitsparteien zu scheitern drohte, ging ich auf eine mittlere Lösung los. Die drittrangige Lösung stellte ich als indiskutabel hin. Den Bürger ehrenhalber, also die zweitrangige Ehrung, fixierte ich als unerläßlich. Schließlich wußte ich aus der Praxis, daß die auch sonst nicht immer peinlich genau arbeitende Journalistik aus dem Bürger ehrenhalber fingerfertig einen Ehrenbürger machen würde. Das würde sich schließlich von Wien bis Los Angeles schnell und ebenso unkritisch fortsetzen. Dafür gab es ja schon etliche Beispiele.

Als der Antragsakt für den Wiener Stadtsenat im Sinne des Bürgers ehrenhalber zu laufen begann, gab es schließlich von seiten der SPÖ kein Hindernis mehr. Einige Freunde Schönbergs aus der frühen Kampfzeit standen in deren Reihen. Es war insbesondere der verdienstvolle Schönberg-Anhänger Dr. Josef Pol- nauer, der im entscheidenden Moment bei seinen Genossen durchgriff, obwohl selbstverständlich auch er überzeugt war, daß die Ehrenbürger- schaft die angemessene Auszeichnung und die Stadt Wien zur Heimholung des glücklicherweise noch lebenden Schönberg längst verpflichtet wären.

Also kam es am Tag vor Schön- bergs 75. Geburtstaig zur entscheidenden Sitzung des Wiener Stadtsenats. Da noch nicht alle Stadträte versammelt waren, ergaben sich vorher noch private Gespräche. Ein

SPÖ-Stadtrat konnte sich die Bemerkung nicht ersparen: „Heut kommt der Matejka mit seinem unmöglichen Komponisten dran.” Im Gespräch mit Vizebürgermeister Weinberger, dem Fraktions-Chef der ÖVP, konnte ich feststellen, daß dieser eigentlich noch immer nicht so recht van der absoluten Notwendigkeit überzeugt war, ob der heutige Stadtsenat die Ehrung der bedeutendsten lebenden musikalischen

Weltkapazität Wiens beschließen werde. Offenbar mußten im Gemeinderatsklub der ÖVP zum „Antrag Schönberg” verschiedene Meinungen gegeneinander gesprochen haben. Von Weinberger wußte ich, daß er in der Zeit vor 1938 als christlicher Gewerkschafter den im damaligen politischen Katholizismus gebräuchlichen Antisemitismus mitmachen mußte. Ich sagte zu ihm: „Glaubst Du etwa, daß nur ich allein vom außergewöhnlichen Rang Schönbergs für die Musikstadt Wien überzeugt bin?” Er war neugierig: „Wer denn sonst noch?” Sofort griff ich zu: „Machen wir’s kurz, ich werde Dich mit Dr. Egon Seefehlner verbinden, und er wird Dir beibringen, wer Schönberg ist”. Ich ließ mich mit dem Generalsekretär der Konzerthausgesellschaft verbinden. Am anderen Ende dea Drahtes meldete sich Herr Werner, der mir selbstverständlich ein Begriff war, er war der Portier des Konzerthauses, er teilte mir mit, daß Seefehlner leider nicht im Haus sei. Nim redete ich mit Werner so, als ob ach mit See fehlner sprechen würde. Ich legte Werner dar, daß in den nächsten Minuten Arnold Schönberg im Stadtsenat zum Bürger ehrenhalber ernannt werden würde. Ich bat Werner so, als ob er Seefehlner wäre, dem Vizebürgermeister Weinberger die Erstrangigkeit und die Weltbedeutung Schönbergs kiarzuinachen. Das mag grotesk klingen. Aber es spielte sich so ab. Siehe da, Werner funktionierte. Ich gab Weinberger den Telephonhörer, und er bekam von Werner, den er selbstverständlich für Seefehlner hielt, nur anerkennende Worte für Schönberg zu hören. Nach dem Ende des Gesprächs meinte Weinberger: „Wenn der Seefehlner das auch sagt wie Du, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als daß wir in den sauren Apfel beißen.” Der für die kleine Musikgeschichte Wiens nicht unbedeutende Konzerthausportier Werner hat sich für die Musikstadt Wien in größter Geistesgegenwart als kluger Regulator erwiesen. In der Stadtsenatssitzung ging mein Antrag einstimmig durch, sang- und klanglos. Der harmonische Stadtsenat hatte zwölf Mitglieder: Dodekaphonie!

Zur offiziellen Ehrung konnte der langsam Dahinsiechende aus den USA nicht kommen. Er bedankte sich beim Bürgermeister in einem längeren Brief, der, wie zahlreiche andere Dokumente des Lebens und des Schaffens Arnold Schönbergs, in einer überragenden großen und in jeder Hinsicht gelungenen Wiener Gedenkausstellung zum 100. Geburtstag des 1951 Verstorbenen, im Sommer 1974 öffentlich zur Schau gestellt wurde. Sehr lang hat’s gedauert, bis eine großzügige Anerkennung durch Wien zustande kam. In etwa sieben Wochen kamen etwas • mehr als fünftausend Besucher in die Ausstellung im Sezessionsgebäude. Vielfach wurde bemängelt, daß es während der Wiener Festwochen 1974 an repräsentativen Schönberg-Aufführungen auffallend gefehlt hat.

Die Urnen Schönbergs und seiner Gattin wurden anschließend in einem Ehrengrab der Stadt Wien beigesetzt. Die Wiener Arbeiter-Zeitung meldete, daß die Feierstunde beim Objekt 32 C (neben dem Grab des österreichischen Gewerkschaftsbundpräsidenten Johann Böhm) auf dem Wiener Zentralfriedhof abgehalten wurde. Die Kulturstadträtin und Vizebürgermeasterin Gertrude Fröh- lich-Sandner sprach am Grab von „Ehrung und Dank”. Gleichzeitig fand der erste Kongreß der Internationalen Schönberg-Gesellschaft in Wien statt. Er wurde durch Frau Bundesminister für Wissenschaft und Forschung Hertha Firnberg eröffnet. Auf der Einladung wurde höflichst gebeten, die Plätze eine Viertelstunde vor Beginn der Eröffnungsveranstaltung einzunehmen.

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