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Wie aus dem Alten Testament…

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Während der frühen dreißiger Jahre war mir oft vergönnt, den Dichter und Denker Hermann Broch in seiner Wiener Wohnung zu besuchen. Ein unauslöschlicher Eindruck ist mir von damals geblieben. In all den darauffolgenden Jahrzehnten hat er nachgewirkt. Bis heute hat er die schmerzliche Tatsache von Hermann Brochs Tod vor 20 Jahren überdauert. Vermittelt hat die Bekanntschaft zwischen dem damals Fünfzigjährigen und mir — der zwischen zwanzig und dreißig Jahre zählte — der Dichter und Philosoph Elias Canetti. Hermann Broch schätzte Canettis gerade damals beendetes Schauspiel „Die Hochzeit“. Broch und Canetti setzten sich gemeinsam für meine Erzählung „Kornfeld“ ein. Diese Novelle war auch der Anlaß dafür gewesen, daß Canetti mich zu Hermann Broch gebracht hatte.

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Während der frühen dreißiger Jahre war mir oft vergönnt, den Dichter und Denker Hermann Broch in seiner Wiener Wohnung zu besuchen. Ein unauslöschlicher Eindruck ist mir von damals geblieben. In all den darauffolgenden Jahrzehnten hat er nachgewirkt. Bis heute hat er die schmerzliche Tatsache von Hermann Brochs Tod vor 20 Jahren überdauert. Vermittelt hat die Bekanntschaft zwischen dem damals Fünfzigjährigen und mir — der zwischen zwanzig und dreißig Jahre zählte — der Dichter und Philosoph Elias Canetti. Hermann Broch schätzte Canettis gerade damals beendetes Schauspiel „Die Hochzeit“. Broch und Canetti setzten sich gemeinsam für meine Erzählung „Kornfeld“ ein. Diese Novelle war auch der Anlaß dafür gewesen, daß Canetti mich zu Hermann Broch gebracht hatte.

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In einem Zinshaus nahe dem Donaukanal bewohnte der Dichter, der gerade an dem Roman „Die unbekannte Größe“ arbeitete (die Trilogie „Die Schlafwandler“ war etwa seit fünf Jahren einem größeren Publikum bekanntgeworden), eine sehr kleinbürgerliche, eine sehr „schlicht“ zu nennende Wohnung. Noch nach so vielen Jahrzehnten glaube ich deren sehr nüchterne Farbentöne vor mir zu sehen, mancherlei Nuancen von Braun und Grau. Vor meiner Erinnerung erscheinen sie im bescheidenen Wohn- raum verteilt, die anspruchslosen Möbel: der Schreibtisch, Ort der Entstehung aufwühlendster Schöpfungen; der Tisch, um den wir saßen

— Canetti, oft noch der oder jener andere Schriftsteller, und ich —, um zuzuhören, was Hermann Broch zu uns sprach. Aufs stärkste verdichtet erscheint die Erinnerung an die hochragende, schlanke, imponierende Gestalt; zumeist dunkel gekleidet, der Kopf nachdenklich oft ein wenig nach vorne geneigt…

Auch wenn von Hermann Brochs Abkunft niemand gewußt hätte: Angesichts dieser Synthese von Hochgewachsenheit und Dunkel (dieses strahlte aus von der Farbe seines Haares, vom tiefgründigen Ausdruck des Blickes seiner Augen!)

— wäre doch mindestens der, dem alte Kulturen vertraut sind, ans Alte Israel erinnert worden. Nicht an das spätere Judentum der Gettos — nein, an die altbiblische Zeit, da die Israeliten, noch Herren auf ihrem eigenen Boden, ringsumher ihre Schafherden weideten; da sie — man lese daraufhin nur einmal den Schluß des 64. Psalms!

— ihre Auen und fruchtbaren Triften in jubelnden Liedern besangen. Sah man — dies war zumindest mein persönlicher Eindruck — aufmerksam auf Hermann Brochs Gestalt: dann vertauschte die Einbüdung den mitteleuropäischen Anzug, den er trug, mit einem altpalästinensischen Hirtengewand. An Saul, den Samuel salbte, an des jungen David Brüder war man durch das Geheimnisvolle seiner persönlichen Ausstrahlung stets neu erinnert — und keine Oberflächlichkeit würde ärger irren als jene, die Hermann Broch mit dem Wort „jüdisch aussehend“ abstempeln wollte. Was man zuletzt, in unserem Jahrhundert, unter einem „jüdischen“ Aussehen meistens verstand, ist himmelweit verschieden von einer unverfälschlichen Physiognomie, in der eine Epoche der Psalmen auf erstand: Hermann Broch war es, der einem ihrer „Richter“, ihrer Hirtenkönige glich.

Diese Erinnerung kann ich nicht abschließen ohne den Hinweis: es atme auch unendlich vieles in Hermann Brochs Lebenswerk reinen, altbiblischen Geist. Das Moment des Beschwörenden, so charakteristisch für den Psalmen-Tonfall, scheint aufzuklingen in Gedichten Brochs, wie „Stimmen 1913“, „Stimmen 1933“ oder in dem kurzen, expressiven Gedicht über Gott. Oder auch Landschaften, wie manche Psalmen Davids sie wiedergeben — mit evokativer Anrufung des Baumwuchses, der Tierwelt, der Äcker und Gefilde —, erscheinen, übertragen in die Alpennatur, in seinem „Bergroman“ (heute betitelt „Der Versucher“, geschrieben angesichts der

Alpenwelt, zu Mösern, in Tirol!). Da ist Naturvergegenwärtigung, wie sie innerhalb österreichischer Dichtung vielleicht nur Adalbert Stifter und dem frühen Rilke gelang. Und etwas von der scharfen Unerbittlichkeit des prophetischen Aufschreies der Anklage scheint wieder aufzuleben im Essay „Das Böse im Wertsystem der Kunst“. Das Phänomen des Kitsches — weit entfernt davon, nur vom Ästhetischen her verwerflich zu sein! — ist auch antiethisch. Und erinnern nicht manche Broch- schen Tragödien des Eros in den

„Schlafwandlern“, in den „Schuldlosen“, suggestiv eindringlich, an verwandte Episoden aus den zwei Büchern Samuel, aus den beiden Büchern der „Könige“? Und seine Aussagen über das „Ethische Kunstwerk“, über „Erkennen und Handeln“, über die „Massenpsychologie“ an alttestamentliche Worte?!

Parallelen solcher Art erschöpfen zwar nicht das Wesentliche der Universalität, die der Geisteswelt Hermann Brochs eignete. Wie weit stieß er doch, etwa im „Tod des Vergil“ oder in den „Syntaktischen und Kognitiven Einheiten“ (um, mit einemmal eine dichterische und philosophische Aussage zu fassen!) über das hinaus, worauf eine Parallele ihn festlegen könnte! Wie stürmisch transzendieren seine späten Gedankenwerke jede geistesgeschichtliche Analogie, ansteuemd die fernen Ufer einer noch gänzlich unverwirklichten Herrschaft der Menschenliebe, ja, der Allmenschlichkeit! Keinen Augenblick lang sollte man vergessen, daß es, seit Novalis, kaum je einen Gestalter gab, der so wie Broch dem christlichen Mittelalter als einer Epoche der noch geeinten Werthaftigkeit zutiefst gerecht geworden ist…

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