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Wie der Aufstand verblutete

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Am 1. August 1944, vor 40 Jahren, erhob sich in Warschau die polnische Heimatarmee zu einem verzweifelten Kampf gegen die deutschen Besatzer. Nach wenigen Wochen verblutete der Warschauer Aufstand, weil Stalin nicht bereit gewesen war, die Rote Armee zur Unterstützung der heldenhaft kämpfenden Polen einzusetzen.

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Am 1. August 1944, vor 40 Jahren, erhob sich in Warschau die polnische Heimatarmee zu einem verzweifelten Kampf gegen die deutschen Besatzer. Nach wenigen Wochen verblutete der Warschauer Aufstand, weil Stalin nicht bereit gewesen war, die Rote Armee zur Unterstützung der heldenhaft kämpfenden Polen einzusetzen.

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In der Geschichte des Zweiten Weltkrieges spielt Warschau eine besonders tragische Rolle. Im September 1939 wurde es als erste europäische Hauptstadt von den Schrecken eines modernen Krieges heimgesucht. Im April 1943 brach im Juden-Ghetto, das die Deutschen in einem Warschauer Stadtteil errichtet hatten, ein Aufstand aus, dem mehr als 50.000 Juden zum Opfer fielen.

Und dann kam das Jahr 1944.

Die Rote Armee, inzwischen Verbündete Großbritanniens und der USA im Kampf gegen Nazi-Deutschland, hatte Hitlers Ostheer bei Stalingrad und Kursk das Rückgrat gebrochen. Die deutsche Wehrmacht befand sich — kämpfend — auf dem Rückzug.

Im Juli 1944 erreichten die sowjetischen Truppen im Mittelabschnitt der Front die polnische Grenze und überschritten sie an mehreren Stellen. Der Fall Warschaus schien Ende des Monats nur noch eine Frage von Tagen zu sein. In der Stadt selbst wuchs die Unruhe.

Unterdessen begann sich der nationale polnische Widerstand zu rühren. Die seit der Niederlage im Untergrund organisierten Einheiten der geheimen „Armija Krajowa" (Heimatarmee, abgekürzt: AK) bereiteten sich zum Kampf vor. Ihr Befehlshaber, General Tadeusz Bor-Komorowski, befand sich selbst in Warschau. Seit Monaten hatten Warschauer AK-Einheiten geheime Waffenlager und Munitionsdepots eingerichtet und einen wirkungsvollen Nachrichtendienst organisiert.

Die Deutschen aus Warschau zu vertreiben und dort den Kern eines neuen Polens zu schaffen, war in der gegebenen Situation nicht nur eine patriotische Tat, sondern ein eminent wichtiger politischer Akt. Denn die Beziehungen zwischen der polnischen Exilregierung in London und der Sowjetregierung waren seit April 1943 mehr als frostig.

Der Grund war, daß die „Londoner Polen" von Stalin eine Erklärung über die von den Deutschen bei Katyn in der Ukraine gefundenen Leichen von etwa 5.000 polnischen Offizieren verlangt hatten, die dort vermutlich 1940 von NKWD-Leuten ermordet worden waren. In seiner Antwort hatte Stalin jede Verantwortung abgelehnt und die Deutschen selbst der Tat bezichtigt. Zugleich beschuldigte er die Exil-Regierung der Kollaboration mit Hitler.

Stalin brach die Beziehungen zu den „Londoner Polen" ab. Aber das war noch nicht genug. Im Rahmen der sowjetischen Streitkräfte wurde eine rotpolnische Armee aufgestellt, die bei Lenino am 15. Oktober 1943 ihre Feuertaufe erhielt.

Nachdem die sowjetischen Truppen die Curson-Linie überschritten hatten, setzte Stalin am 22. Juli in dem von den Deutschen befreiten Lublin eine ihm ergebene „Regierung" ein, die sich offiziell „Polnisches Komitee der Nationalen Befreiung" nannte.

Am 25. Juli wurden die Bewohner Warschaus von Geschützdonner geweckt. Die 1. Bjelorussische Heeresgruppe unter Marschall K. K. Rokossowski (ein gebürtiger Pole) war im Anmarsch auf Warschau. Zwei Tage später forderte das Polnische Komitee der Nationalen Befreiung in Lublin über den Rundfunk die Einwohner Warschaus auf, sich gegen die Deutschen zu er neben und der anrückenden Roten Armee den Weg in die Stadt zu ebnen.

In der AK-Führung herrschte Aufregung: es schien, als hätten die Sowjets das Kriegsbeil zumindest vorübergehend zugunsten des gemeinsamen Kampfes gegen Hitler begraben.

Am 31. Juli 1944 gab General Bor-Komorowski den Befehl zum Aufstand. Die AK in Warschau, die aus etwa 25.000 Kämpfern bestand, besetzte am 1. August um 17 Uhr die strategisch wichtigen Punkte der Stadt. Nach 24 Stunden hatten sie etwa 50 Prozent von Warschau unter Kontrolle.

Die Überraschung bei den Deutschen war groß, ihr Widerstand vorerst gering. Aber am 5. August formierten sich die Deutschen in Warschau zu einem Gegenschlag. SS-Obergruppenführer Bach-Zelewski war von Hitler persönlich beauftragt worden, in Warschau „Ordnung zu schaffen". Er verfügte nur über wenig reguläre Truppen.

Bach-Zelewski sagte 1946 während des Nürnberger Prozesses aus, er habe von Hitler ausdrücklich den Befehl erhalten, während der Kämpfe keine Gefangenen zu machen, Warschau zu verwüsten und dabei keinerlei Rücksicht auf die Zivilisten zu nehmen.

In der ersten Etappe der Kämpfe hielt sich der SS-General strikt an diese Anordnung. Bis Mitte August schlugen seine Leute eine West-Ost-Verbindung quer durch Warschau und sicherten so den Nachschub für die im Raum Praga eingesetzten deutschen Truppen, die dort gegen die Sowjets Front machten.bindung untereinander nur noch durch die städtische Kanalisation aufrechterhalten konnten. Die Versorgung der Aufständischen wurde immer prekärer.

Am 30. September hielt die AK nur noch den Stadtteil Grzybow in der Mitte Warschaus—weit entfernt von der östlichen Vorstadt Praga, die jetzt fest in den Händen der Sowjets war. General Bor-Komorowski notierte in seinem Tagebuch: „Unser Todeskampf nähert sich dem Ende. Nur ein plötzlicher sowjetischer Angriff auf Warschau kann uns noch retten!"

Im Kreml waren die Würfel nämlich bereits gefallen: Die Politik hatte Vorrang vor militärischen Aspekten. Es lag ganz einfach nicht in Stalins Interesse, daß Polens Hauptstadt von polnischen Patrioten selbst befreit wurde.

Am 2. Oktober war General Bor-Komorowski gezwungen, den ungleichen Kampf im Interesse der Uberlebenden und der Stadtbewohner zu beenden. Er konnte mit SS-Obergruppenführer Bach-Zelewski, der inzwischen durch den Druck der öffentlichen Meinung der ganzen Welt zur Respektierung des Völkerrechtes veranlaßt worden war, eine ehrenvolle Kapitulation aushandeln.

Die Warschauer Aufständischen wurden nicht wie „Partisanen", sondern wie „Kombattanten", also als reguläre Truppen behandelt. Ihre Verwundeten wurden ärztlich versorgt und die Uberlebenden in Kriegsgefangenenlager gebracht.

9.000 Mann streckten in Warschau die Waffen. Der 63 Tage dauernde Aufstand hatte die AK 22.000 Gefallene und Verwundete gekostet. Noch schlimmer stand es um die Zivilbevölkerung. In der ersten Etappe des Aufstandes metzelten Hilfstruppen der SS (etwa die ukrainische Brigade Kaminski) wahllos alle Zivilisten nieder, die ihnen in die Hände fielen. Alles in allem haben etwa 180.000 Zivilisten während des Warschauer Aufstandes den Tod gefunden.

Hitler nahm Rache an Warschau. In einem Befehl vom 11. Oktober 1944 ordnete er an: Warschau — das heißt, was davon übriggeblieben war — müsse dem Erdboden gleichgemacht werden! Als dann am 18. Januar 1945 die Rote Armee endlich die Weichsel überschritt und Warschau befreite, war die Stadt zu neunzig Prozent zerstört. Keine andere Stadt in Europa hat durch den Krieg so große Schäden erlitten.

Lange Jahre mußten in der Polnischen Volksrepublik verstreichen, bis man der Helden des Warschauer Aufstandes von 1944 auch offiziell einigermaßen gedachte. Bis 1956 war das Thema im kommunistischen Polen tabu. Erst nachdem 1956 Wladyslaw Gomulka ans Ruder gekommen war, ließ man zu, daß die Bevölkerung öffentlich ihre Toten ehrte.

Heute dürfen die Polen zwar offiziell ihrer Helden vom August 1944 gedenken, für die polnische Kommunistische Partei ist dies jedoch weiterhin nur ein vom Volk erzwungenes Zugeständnis. Denn für sie gilt natürlich immer noch die sowjetische Sicht der Ereignisse, die 1978 im Standardwerk „Geschichte des Zweiten Weltkrieges" festgehalten wurde: Der Aufstand war demnach „ die verbrecherische Aktion einer Clique von Reaktionären aus der Londoner Emigration".

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