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Wie deutsch ist die Rote Armee ?

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In zwei Bänden handlich gegliedert ist in Ost-Berlin unlängst ein Militär-Wörterbuch erschienen, das in mancher Hinsicht unsere Aufmerksamkeit verdient. Das Werk ist mit seinen über 1000 Seiten und etwa 700 Stichwörtern das Resultat der langjährigen Arbeit eines Autorenkollektivs, dem nicht weniger als 200 Wissenschaftler angehören und das vom DDR-General und Direktor des DDR-Militärgeschichtlichen Instituts Reinhard Brühl geleitet wurde.

Es handelt sich damit um eine hochoffizielle Edition. Ihre Zielsetzung ist bereits im Vorwort skizziert: Sie sollte die bisherigen Forschungsergebnisse und Publikationen der DDR-Militärwissenschaft zusammenfassen und obendrein noch einen wichtigen klassenkämpferischen Beitrag leisten, nämlich „die Auseinandersetzung mit der reaktionären BRD-Geschichtsschreibung“. Das Wörterbuch versteht sich demnach als das „erste marxistisch-leninistische Nachschlagwerk zur gesamtdeutschen Militärgeschichtsschreibung“.

Lassen wir den rein ideologischen Teil des Werkes beiseite, obwohl dieser zugegebenermaßen auch seine politischen Reize hat und leicht zur Polemik verleiten könnte. Das Werk enthält daneben jedoch auch zahlreiche Stichwörter, die den Wissensdurst der apolitischen und somit „nur“ an deutscher Militärwissenschaft interessierten Leser befriedigen. Thema ist in der Tat die gesamte Militärgeschichte des „deutschen Raumes“, die in ihrer historischen Entwicklung und Bedeutung nach dem Prinzip der alphabetischen Gliederung dargestellt ist.

Gleichzeitig ist das Buch auch eine Art Militär-Enzyklopädie. Mit den Stichwörtern wird der Zeitraum von der Urgesellschaft bis zur Gegenwart der Militärpolitik behandelt, wobei das Hauptgewicht verständlicherweise bei den Ereignissen des 19. und des 20. Jahrhunderts liegt.

Ein Beispiel, das Stichwort „Preußisch-Österreichischer Krieg 1866“: In klaren Sätzen und nicht zu knapp wird hier der Ablauf der militärischen Auseinandersetzung zwischen Berlin und Wien samt deren Folgen beschrieben, begleitet von einer farbigen, sehr informativen Kartenskizze. Auch die Verluste der Kriegsgegner sind festgehalten. Interessant ist, dabei zu erfahren, daß das preußische Heer — die Sieger - neben 4.450 Gefallenen durch unmittelbare Feindeinwirkung auch noch 6.427 Tote zu beklagen hatte, die einer Seuche zum Opfer fielen.

Neben der Militärgeschichte sind auch fast alle anderen Disziplinen der Militärwissenschaft in diesem Wörterbuch vertreten. Der Leser erhält eine Fülle von Informationen, und wenn er sich in den beiden Bänden bereits gut auskennt, sollte er sich auch die Mühe nehmen, den „sozialistischen Teil“ der Stichwörter (mit kritischer Distanz) unter die Lupe zu nehmen.

Einige „Kostbarkeiten“ sind auch hier aufzufinden, denn das Werk enthält auch Informationen über die Entstehungsgeschichte der sowjetischen Militärakademien, über die Geschichte der Roten Armee, heute Sowjetarmee genannt, die nach dem Grundsatz der Herausgeber eigentlich nicht dem „Wörterbuch der deutschen Militärgeschichte“ zugeteilt werden dürfte.

Wurden diese geographischen Zugeständnisse aus rein politischen Erwägungen gemacht? Oder betrachten General Brühl und sein Wissenschaftsstab vielleicht das sowjetische Militärwesen als Teil der (ost-)deutschen Zeitgeschichte?

Man muß allerdings beim Lesen der Texte die politischen Schlagwörter durch die landesüblichen Begriffe ersetzen. Einige Beispiele dazu: Die im August 1961 zwischen West- und Ost-Berlin erstellte Mauer heißt im DDR-Buch „antifaschistischer Wall“. Und die Militär-Intervention des Warschauer Paktes im August 1968 gegen die CSSR ist unbenannt in „internationalistische Hilfe bei der Verteidigung des Sozialismus gegen die konterrevolutionären Anschläge seiner Feinde“...

WÖRTERBUCH ZUR DEUTSCHEN MI-LITARGESCHICHTE. Bd. I und II, Militärverlag der DDR, Berlin 1985, 1.124 Seiten.

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