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Wie die Hunnen …

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In Nikosia danken die Bürger der inzwischen von den türkischen Invasionstruppen nahezu eingeschlossenen zypriotischen Hauptstadt ihrem denkmalschützenden Magistrat für die Erhaltung der früher nur als Verkehrshindernis empfundenen oder als Bedürfnisanstalt zweck- entfremdeten Wehrmauern aus venezianischer Zeit: Diese haben ln den stürmischen Juli- und Augusttagen Zehntausende vor pfeifenden Türkenkugeln und splitternden Granaten bewahrt.

Überall hängen wieder die Bilder des bei dem wahnwitzigen Offlziers- putsch vom 15. Juli vertriebenen Erzbischof-Präsidenten Makarios. Mit Bitterkeit trauern die in schlimmste Türicennot geratenen Zyprioten seiner weisen Führung nach, die Ankaras schon vor der Unabhängigkeit der Inselrepublik 1960 deutlichen Okkupationsgelüsten bei den Krisen von 1964 und 1967 einen Riegel vorgeschoben hatte. Allzu großes Verlangen nach rascher Wiederkehr des bärtigen Staatschefs aus seinem Pendelexil zwischen London und den Vereinten Nationen scheinen die Zypemgriechen aber auch nicht zu empfinden. Der „Kutten-Präsident“ ist den Türkei ein besonderer Dom im Auge, und sein Comeback müßte die Leiden Zyperns unter dem Stiefel der türkischen Soldateska nur vergrößern.

Eine Ausnahme bilden die allzeit Getreuen des Erzbischofs in seiner Bergheimat zwischen Troodos-Ge- birge und dem Hafen Paphos im poch freien Südwesten der Insel. Gerade dort haben aber auch die EOKA-Extremisten des 10-Tage- Präsidenten Nikolaos Sampson ihre letzten Schlupfwinkel. Beide Gruppen stehen sich in den waldigen Schluchten von Pedoulas mit den Waffen gegenüber. Angesichts des türkischen Vorhabens, die eingesessene griechische, armenische und arabischrmaronitische Bevölkerung aus Zyperns ganzer Nordhälfte zu vertreiben und dort einen Marionettenstaat Ankaras zu errichten, sind die EOKA-Leute ihrerseits bestrebt, den zypriotischen Süden „türkenrein“ zu machen. Auf ihr Konto gehen die Gemetzel an den islamischen Minderheiten bei Paphos und Le- mesos, aber auch der Mord an dem amerikanischen ‘ Botschafter Davis im Herzen von Nikosia.

Dieses Haß- und Hetzklima wird durch das brutale Vorgehen der türkischen Okkupationsarmee genährt, die sich an der von Ihr benannten „Attila-Linie" wahre Hunnengreuel zuschulden kommen läßt. Der Napalm-Mord an einer österreichischen UNO-Streife oder die Massenvergewaltigungen griechischer Mädchen sind in der Weltöffentlichkeit bekanntgeworden, weil hier internationale Interessen ins Spiel kamen oder sich die überlebenden Opfer in ein Rot-Kreuz-Spital bei Nikosia retten konnten. Was aber im türkischen Okkupationsgebiet ohne jede Kontrolle vor sich geht, reiht sich „würdig“ in die Kette jungtürkischer und kemalistischer Scheußlichkeiten an den Christen Kleinasiens und der unterdrückten kurdischen Minderheit in Anatolien.

Daß die aite osmanische Ritterlichkeit nicht ganz erloschen ist, bewies lediglich der türkische Panzergeneral ln Famagusta, der seine Kanonen zum Schutz des griechischen Viertels vor Würgern und Sengem auffahren ließ.

Dieser Saat der Gewalt zum Trotz versucht sich der amtierende Zypern-Präsident Kleridis nach wie vor in einer Politik der Versöhnung zwischen der griechischen und der türkischen Volksgruppe auf der Insel. Diese wäre ohne die Einmischung Ankaras um so erfolgversprechender, als die Mehrheit der Zyperntürken schon heute nichts mehr von der Regierung Ecevit wissen will. Die türkischen Bauern im Norden haben unter plündernden Soldaten aus dem Mutterland ebenso zu leiden wie ihre griechischen Nachbarn. Und der zyperntürkische Führer Raouf Denktasch ist von dem Plan der Umsiedlung aller seiner Volksgenossen an die JJordküste alles andere als erbaut.

Der von Kleridis verfolgte „Maka- rios“-Kurs für die Aufrechterhaltung der Einheit, Freiheit und Neu tralität Zyperns bietet die einzige Chance, daß die Insel nicht zu einem zweiten Palästina im östlichen Mittelmeer wird, Kleridis, der Freund Englands und cier EG, hat allerdings mit Makarios’ rötlicher Blockfreiheit mit Moskauer Schlagseite aufgeräumt. Es ist nur ihm zu verdanken, daß die zypriotische Führung den türkischen Horden gegenüber — die sich durch ihr lateinisches Alphabet als „Europäer", ausweisen wallen — nicht am freien Europa verzweifelt ist und sich der sow jetischen. Mittelmeerflotte in die Arme geworfen hat. Bleibt Kleridis durch türkische Ver- bohrheit erfolglos, so kann - die Alternative für Zypern — und wohl auch für das griechische Mutterland — nur Kommunismus heißen.

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