6962077-1984_51_04.jpg
Digital In Arbeit

„... wie die Nazi-Partei"

Werbung
Werbung
Werbung

Die 7. Bundesversammlung der Grünen Anfang Dezember 1984 in Hamburg war beherrscht von der Auseinandersetzung zwischen den „Fundamentalisten" und „Realpolitikern" um die Frage einer möglichen zukünftigen Regierungsverantwortung sowie von einem Eklat um eine Äußerung vom Grünen-Vorstandsmitglied und „Vordenker" Rudolf Bahro.

Die Aufkündigung des Tolerie-rungs- und Mitverantwortungsbündnisses zwischen den Sozialdemokraten unter Holger Börner und den Grünen in Hessen vor einigen Wochen ließ bereits erkennen, daß die Frage um den rechten Kurs der Grünen auf der Bundesversammlung zur Debatte stehen wird:

Sollen sich die Grünen als „Fundamentalopposition" verstehen, die nicht nur grundsätzlich gegen jedwede nur irgendwie geartete Regierungsmitverantwortung, sondern auch für eine grundlegende Änderung des politischen und wirtschaftlichen Systems (eine „andere Republik") ist? Oder sollen sie eine linke Reformpartei sein, die im großen und ganzen auf dem Boden der parlamentarischen Demokratie und des Rechtsstaates steht?

Obwohl die Grünen einen jährlichen Wechsel in den Partei- und Fraktionsgremien vornehmen und es daher schwierig ist, diese beiden grundlegenden politischen Richtungen zu personalisieren, hat sich doch in letzter Zeit abgezeichnet, daß in der Fraktion eher die Realpolitiker („Realos") zu Hause sind - der Baader-Meinhof-Anwalt Otto Schily sei als Exponent genannt -, während die Parteigremien, voran der Bundesvorstand mit Bundessprecher Rainer Trampert als Exponent, eher der fundamentalistischen Linie zuneigen.

Da die beiden Richtungen innerhalb der Grünen in etwa gleich stark sind, konnte sich keine der

beiden durchsetzen, so daß es zu einem Kompromiß kam. In einem Vermittlungsantrag, der eine deutliche Mehrheit fand, wurde festgehalten, daß die Entscheidung über eine politische Mitverantwortung den jeweils betroffenen Landes- und Ortsverbänden obliegen. Auf Bundesebene aber stelle sich diese Frage bis 1986

nicht. Mit diesem Kompromiß wurde die Entscheidung nur aufgeschoben.

Daß sich die Fundamentalisten bei den Grünen in Hamburg nicht durchsetzen konnten, verdankten sie einer Äußerung des ehemaligen DDR-Regime-Kritikers Rudolf Bahro, der in seinem Grundsatzreferat erklärt hatte: „Die Grünen steigen formell nach einem ganz ähnlichen Muster auf wie die Nazi-Partei. Um diesmal gut herauszukommen, nämlich damit die Volkserhebung gewaltfrei wird, dürfen die Grünen nicht verloren gehen." Dieser Satz bewirkte tumültartige Szenen und diskreditierte damit die Fundamentalisten.

Die Äußerung Bahros ist deswegen interessant und wert, sich näher damit zu beschäftigen, weil der Vorwurf an die Grünen, es gäbe zwischen ihnen und den Nazis Parallelen, nicht neu ist. Daß dies eine Partei besonders trifft, die sich als antifaschistisch und linksreformerisch versteht, liegt auf der Hand.

Gibt es nun wirklich Parallelen zwischen den Grünen (und der mit diesen koalierenden „neuen sozialen Bewegungen", wie z. B. die Friedensbewegung) und den Nazis? Was die Inhalte betrifft, so wird man höchstens zwischen manchen Öko-Thesen und der

„Blut-und-Boden-Romantik" der Nazis Parallelen finden. Aber es ist unbestreitbar, daß es im formellen Bereich deuchtliche Anklänge gibt.

So unrecht hatte Rudolf Bahro nicht. Nazis und Grüne sind beide nach Weltkriegen entstanden, die für die Deutschen in einer Katastrophe endeten. Beide Bewegungen versuchten beziehungsweise versuchen, neue Perspektiven für die Uberwindung dieser nationalen Katastrophe anzubieten, allerdings in eine jeweils andere Richtung. Die Tatsache, daß beide Bewegungen — auch letztlich die Grünen - ein deutsches Phänomen sind, läßt auch die Suche nach tieferen Ursachen aufkommen.

Unbestreitbar sind die Parallelen zwischen den Nazis und zu-mindestens den grünen Fundamentalisten in der negativen Bewertung der parlamentarischen Demokratie und des Rechtsstaates sowie der Tolerierung der Gewalt als Mittel zur politischen Durchsetzung. Verblüffend auch die Parallelen hinsichtlich der Attraktivität bei den Wählern, beide sprachen bzw. sprechen vor allem das jugendliche Wählerpotential an.

Die Äußerung Bahros war ein „Versprecher", der vielen zu denken geben müßte: Den anderen Parteien, wie sie wiederum Vertrauen bei den Wählern gewinnen und wie sie den parlamentarischdemokratischen Rechtsstaat — trotz aller Auswüchse und negativen Begleiterscheinungen — noch immer als die beste Lebensform hinstellen können.

Aber auch jenen zahlreichen „unkritischen" Anhängern und Sympathisanten der grün-alternativen Bewegung müßte sie zu denken geben, die aus einer gewissen modisch-intellektuellen Attitüde dort mitmachen, jedoch Politik sich keine Gedanken machen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung