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Wie die Parteien zu Mandaten kommen

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Zum 16. Mal seit dem Bestand unserer Republik wird am kommenden Sonntag der Nationalrat gewählt. Die Anzahl der Wahlberechtigten schlägt alle Rekorde: In ganz Österreich besitzen 5,183.019 Personen das aktive Wahlrecht, das sind um 163,742 bzw. 3,26 Prozent mehr als bei der Nationalratswahl vom 5. Oktober 1975. Prozentuell am stärksten ist die Zunahme der Wahlberechtigten in Vorarlberg (7,72 Prozent), absolut betrachtet in Oberösterreich mit 42.451 Wahlberechtigten mehr. Wien ist das einzige Bundesland, wo die Zahl der Wahlberechtigten um 17.691 oder 1,48 Prozent rückläufig ist.

Interessant erscheint, daß die Überzahl der weiblichen Wahlberechtigten nun eine rückläufige Tendenz aufweist: Noch 1975 waren 55,4 Prozent der Wahlberechtigten Frauen, diesmal sind es nicht ganz 55 Prozent. Extrem hoch erscheint diesmal auch der Anteil jener Wahlberechtigten, die zum ersten Mal an einer Nationalratswahl teilnehmen dürfen.

Mit 502.707 macht der Anteil der Erstwähler 9,7 Prozent aus. Dieser überdurchschnittlich hohe Erstwähler-Anteil ist auch darauf zurückzuführen, daß das Wahlalter von 19 Jahren nicht wie früher am31. Dezember 1978, sondern erst am 9. März 1979 erreicht sein mußte. Im heurigen Jahr erreichten auf diese Art noch 24.036 zusätzliche Erstwähler das aktive Wahlalter.

Die Wählbarkeit in den Nationalrat (passives Wahlalter) ist am 6. Mai erstmals bereits mit 21 Jahren (Stichtag auch 9. März 1979) gegeben. Noch 1975 betrug das passive Wahlalter 25 Jahre, bei den ersten republikanischen Wahlen am 16. Februar 1919 lag es bei 29 Jahren.

Wie bei jeder Wahl liegt auch kommenden Sonntag ein gewisses Fragezeichen in der Höhe der Wahlbeteiligung. Die schwache Wahlbeteiligung bei den Wiener und Niederösterreichischen Landtagswahlen wurde zuletzt als Alarmzeichen für die um sich greifende Politik-Verdrossenheit gewertet. Doch ist zu sagen, daß in beiden genannten Fällen der hohe Anteil der Nichtwähler einer Protesthaltung entsprungen war und anderseits bei Nationalratswahlen die Wahlbeteiligung traditionell höher hegt.

Gingen in der Ersten Republik zwischen 80 und 90 Prozent der Wahlberechtigten zur Nationalratswahl, lag die Beteiligung nach 1945 zumindest über 92 Prozent. Mit 97 Prozent war 1949 die stärkste Wahlbeteiligung zu verzeichnen; bei den Urnengängen seit 1970 schwankt sie zwischen 92 und 93 Prozent.

In den einzelnen Wahlkreisen ist die Wahlbeteiligung unterschiedlich. 1975 gingen in der Steiermark 96,2

Prozent und in Vorarlberg 96,1 Prozent der Wahlberechtigten zu den Urnen, in Wien waren es nur 87,7 Prozent. In den beiden erstgenannten Ländern hat dies sicher auch mit der dort geltenden Wahlpflicht zu tun, wobei die angedrohten Verwaltungsstrafen aber regelmäßig nicht verhängt werden. In Tirol besteht auch gesetzliche Wahlpflicht.

Die bereits bekannte Einrichtung der Wahlkarten wird es natürlich auch am 6. Mai geben. Anträge für Wahlkarten können noch bis spätestens 3. Mai an jene Gemeindeämter schriftlich oder mündlich gerichtet werden, in deren Wählerverzeichnis der Wahlberechtigte eingetragen ist. Mit dieser Wahlkarte kann im gesamten Bundesgebiet in jedem beliebigen der speziell ausgewiesenen Wahlkarten-Lokale gewählt werden.

Es gibt solche Lokale vor allem in der Nähe aller wichtigen Grenzübergänge sowie in der Nähe von Flughäfen. Die Öffnungszeiten dieser Wahlkarten-Lokale sind sehr unterschiedlich. Direkt in der Abflughalle des Flughafens Wien-Schwechat kann beispielsweise am Wahlsonntag zwischen 0 und 17 Uhr mit Wahlkarten gewählt werden.

In den meisten Landbezirken und auch größeren Städten schließen die Wahllokale bereits zu Mittag oder im Lauf des Nachmittags, in Wien ist um 17 Uhr Wahlschluß. Exakt zu diesem Zeitpunkt wird Univ.-Prof. Gerhart Bruckmann im Fernsehen bereits die erste Wahlhochrechnung präsentieren. Erstmals besteht diesmal am Wahltag übrigens kein Alkoholverbot.

Die wahlwerbenden Parteien (SPÖ, ÖVP, FPÖ, KPÖ als Listen 1 bis 4 in sämtlichen Wahlkreisen, die „Christlich-Soziale Arbeitsgemeinschaft Österreichs“, CSA, nur in Tirol) sind naturgemäß sehr daran interessiert, daß die Wähler bereits möglichst zeitlich ihrem Wahlrecht nachkommen.

Praktisch in ganz Österreich ist es nämlich üblich, daß die von den einzelnen Parteien gestellten Wahlzeugen anhand der Wählerverzeichnisse überprüfen, wer noch nicht zur Wahl gekommen ist. Ist die Zahl jener, die vor Schluß der Wahllokale noch nicht gewählt haben, relativ gering, tun sich die Parteien und ihre Helfer leichter, die noch Säumigen an ihr Wahlrecht zu erinnern (was freilich eine Praxis ist, die nicht immer Anklang findet).

Eine eigene Wissenschaft stellt nun die Umrechnung des Stimmenergebnisses in Na-tionalrats-Mandate dar. Im Gegensatz etwa zum britischen Wahlrecht, das mehrheitsfördernd ist, haben wir in Österreich ein strenges Verhältniswahlrecht, dessen Sinn es ist, die Parteien möglichst genau nach dem

Verhältnis der auf sie entfallenden Stimmen im Nationalrat vertreten zu sehen.

Während in anderen Ländern wahlwerbende Parteien einen bestimmten Prozentsatz der gültigen Stimmen (z. B. fünf Prozent) erreichen müssen, um an der Mandatsverteilung mitnaschen zu können, besteht in Österreich die einzige Hürde darin, daß mindestens ein Grundmandat in einem der neun Wahlkreise erreicht werden muß. Wer bei den Wahlen 1975 in Vorarlberg ein Grundmandat erreichen wollte, mußte mindestens 16,7 Prozent der Vorarlberger Stimmen erreichen, in Wien brauchte man dafür nur 2,6 Prozent der gültigen Stimmen des Landes (Wahlkreis - Bundesland).

Die Verteilung der Mandate auf die einzelnen Wahlkreise erfolgt grundsätzlich nicht nach der Zahl der Wahlberechtigten, sondern der gesamten Bürgerzahl. Maßgebend ist dafür die Volkszählung 1971. Die dabei ermittelte Bürgerzahl wird durch 183 (Zahl der Mandate) dividiert, woraus sich die Verhältniszahl ergibt. Jeder Wahlkreis bekommt nun so viele Mandate, wie die Verhältniszahl in der Zahl der Landesbürger enthalten ist. Die Verhältniszahl beträgt derzeit 39.779.

In jedem der neun Wahlkreise findet zunächst das erste Ermittlungsverfahren statt, bei dem die Grundmandate zugewiesen werden. Mandate, die im ersten Verfahren nicht vergeben werden - je Wahlkreis zumindest eines - gelangen in einem zweiten Ermittlungsverfahren in einem der zwei Wahlkreisverbände zur Verteilung. Anspruch auf ein Restmandat haben nur Parteien, denen im ganzen Bundesgebiet wenigstens ein Grundmandat zugefallen ist.

Das erste Ermittlungsverfahren erfolgt nach der Hare'schen System. Zuerst wird die Gesamtsumme der im Wahlkreis abgegebenen gültigen Stimmen durch die Anzahl der zu vergebenden Mandate geteilt. Die so ermittelte, auf die nächstfolgende ganze Zahl erhöhte Zahl ist die Wahlzahl. Die niedrigste Wahlzahl hatte 1975 Kärnten (23.988), am höchsten war sie in Wien (26.742). Bei annähernd gleicher Wahlbeteiligung wird die Wahlzahl auch am 6. Mai in den neun Wahlkreisen zwischen 24.000 und 26.000 hegen.

Jede wahlwerbende Partei erhält nun so viele Grundmandate, wie sich ergeben, wenn man die Summe der für sie abgegebenen Stimmen durch die Wahlzahl dividiert. Die im ersten Ermittlungsverfahren nicht verteilten Mandate (Restmandate) sowie jene Stimmen, die für ein Grundmandat nicht ausreichen (Reststimmen), werden dann dem zuständigen

Wahlkreisverband für das zweite Ermittlungsverfahren bekanntgegeben.

Die Wahlzahl für das zweite Ermittlungsverfahren, das nach dem d'Hondtschen System erfolgt, wird in der Weise berechnet, daß die von jeder Partei in den Wahlkreisen erzielten Reststimmen für jeden Wahlkreisverband zusammengezählt und nebeneinander geschrieben werden. Unter jede dieser Summe muß deren Hälfte, darunter das Drittel, das Viertel und nach Bedarf die weiteren Teilzahlen geschrieben werden.

Bei bloß einem zu vergebenden Restmandat stellt die größte, bei zwei Restmandaten die zweitgrößte usw. der so angeschriebenen Zahlen die Wahlzahl für das zweite Ermittlungsverfahren dar. Jede Partei erhält so viele Restmandate, wie die Wahlzahl in der Summe ihrer Reststimmen enthalten ist.

Die Mandate sind im zweiten Ermittlungsverfahren zumeist „billi-ber“ als im ersten. So betrugen die Wahlzahlen für das d'Hondtsche Aufteilungsverfahren 1975 nur 16.259 bzw. 18.401.

Das d'Hondtsche System garantiert, daß nun keine Mandate mehr übrig bleiben. Freilich gibt es kein Ermittlungsverfahren und keine Kombination zweier Verfahren, wodurch jede Tücke ausgeschlossen wäre. Auch unser System weist solche Tücken auf. So ist es zum Beispiel denkbar, daß eine Partei dadurch, daß sie Stimmen gewinnt, ein zusätzliches Grundmandat schafft, aber gleichzeitig zwei Restmandate verliert: so geschehen zum Leidwesen der FPÖ bei den oberösterreichischen Landtagswahlen.

Relativ einfach läßt sich nun feststellen, in welchen Bundesländern welche Parteien über stärker oder schwächer abgepolsterte Grundmandate verfügen. Im allgemeinen läßt sich sagen, daß die SPÖ in den meisten Wahlkreisen über ihren Besitzstand an Grundmandaten hinaus einen größeren Stimmenüberhang hat als die ÖVP. Besonders gut abgesichert ist das letzte GrUndmandat der SPÖ in Burgenland (15.442 Stimmen), Niederösterreich (20.309), Oberösterreich (15.381) und Tirol (20.495). Dünn ist der Reststimmen-Polster der SPÖ in Kärnten (2803) und Steiermark (1959).

Die Volkspartei hat nur in Niederösterreich mit 21.531 einen überdurchschnittlich guten Polster für ihre Grundmandate. Einen schwachen Überhang hat die ÖVP in Oberösterreich (2512). Ganz besonders knapp erreichte die FPÖ in Niederösterreich ihr einziges und in Oberösterreich ihr zweites Grundmandat (Uberhänge: 388 bzw. 540 Stimmen).

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