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Wie die UNO...

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Gegenwärtig tagt die für neunzehn Tage anberaumte Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen in Nairobi. 747 Delegierte aus 271 Mitgliedskirchen haben sich ein-, gefunden; rechnet man aber die Beobachter, Gäste, Fachexperten, Berichterstatter und das gesamte Organisationsteam hinzu, so sind rund 2300 Personen an dieser fünften Generalversammlung des Weltkirchenrates beteiligt.

Ihre Aufgabe besteht statutengemäß in der Neuwahl des Präsidiums und des Zentralausschusses und in der Erarbeitung der Richtlinien, nach denen die Tätigkeit der einzelnen Organe sich bis zur nächsten Vollversammlung, also etwa sieben Jahre, zu vollziehen hat.

Der ökumenische Rat der Kirchen wurde 1948 nach jahrzehntelangen Vorbereitungen gegründet, um die christlichen Kirchen einander näherzubringen, das Ärgernis der Trennung abzubauen und die Wiedervereinigung als Fernziel im Auge zu behalten.

Auf der gegenwärtigen Tagung stehen neben den unumgänglichen budgetären, personellen und organisatorischen Fragen jedoch nicht etwa theologische Erörterungen, die auf die Einheit hinzielen, im Mittelpunkt der Beratungen und des Interesses, sondern die Art und das Ausmaß des politischen und sozialen Engagements des Weltkirchenrates. Man erwartet, daß das Weltkirchenforum bei den Debatten ein Abbild der UN-Vollversammlung bieten wird; bei den Abstimmungen wird es, ähnlich wie dort, zu einer Majorisierung der westeuropäischen und amerikanischen Kirchen durch eine farbige, von den Vertretern aus dem Ostblock verstärkte Mehrheit kommen.

Wer die Entwicklungen innerhalb des Weltkirchenrates seit seiner Gründung verfolgt hat, wurde in der zweiten Hälfte dieser Zeitspanne mit zunehmender Sorge über eine langsam vorgenommene theologische Neuorientierung erfüllt

Nie beschäftigte sich der Rat mit Theologie allein.

Schon eine der Wurzeln der Ökumene im nichtkatholischen Raum war die Bewegung für Praktisches

Christentum. Gemeinsamer Dienst in der Welt,, an der Welt, Hilfeleistungen für arme Völker und bei Katastrophen, würden-als echte christliche Anliegen gewertet und boten die Willkommene Möglichkeit, zunächst wenigstens in der Gemeinsamkeit der Wohltätigkeit Einheit zu demonstrieren. Es gibt kein Christentum ohne die karitative Dimension. Der Weltkirchenrat baute die zwischenkirchliche Hilfe zu einem großartigen Werk aus, dessen Leistungen über jede Kritik erhaben sind.

Er schuf sich mit seiner ständigen Kommission für internationale Angelegenheiten auch ein leistungsfähiges Instrument, um in der Weltpolitik immer dort präsent zu sein, wo es gilt, Konflikte zu entschärfen, zwischen unnachgiebigen Parteien zu vermitteln.-

Aber in erster Linie erblickte er seine Aufgabe, in der Förderung und Vorbereitung der christlichen Einheit auf theologischer Ebene.

Die iiimähliche Änderung der theologischen Bewußtseinslage hatte mehrere Ursachen.

Eine davon war die Ernüchterung und. die darauffolgende Resignation, als die mit viel Idealismus begonnenen Gespräche über die Einheit nicht recht vorankommen wollten.

Eine andere besteht in der Zunahme der Zahl und des Einflusses der Repräsentanten aus Afrika und Asien auf allen Konferenzen, eine Folge der Verselbständigung ihrer Kirchen und der Loslösung von den Missionsgesellschaften. Dem Afrikaner und Asiaten fehlt das Verständnis für das Kontröversielle der Begriffspaare Kirche — Welt und religiös — politisch. Seine Weltschau ist ganzheitlich bestimmt Wenn ihn etwas bewegt engagiert er sich ganz, er klammert nicht bestimmte Bereiche aus. Daher kann bei ihm der Drang zur nationalen Selbständigkeit und Unabhängigkeit zugleich zu einem religiösen und letztlich auch christlichen Anliegen werden. ' Eine weitere Ursache ist in der Tätigkeit der Kirchenvertreter aus dem Ostblock zu erblicken. Der Beitritt der Ostkirchen zum ökumenischen Rat erfolgte 1961 auf der dritten Vollversammlung in Neu-Delhi. Damals rätselte man über die Gründe, die den Kreml bewogen haben konnten, den Kirchen in seinem Machtbereich eine solche Aufwertung, und ihren Vertretern eine gewisse Freizügigkeit zuteil werden zu lassen. Die Vermutung, sie sollten durch die Themenwahl, durch das Herausstellen bestimmter Zielvorstellungen, durch die Bewertung der Geschehnisse und die Empfehlung wohlüberlegter Aktivitäten die sowjetische Politik fördem, konnte inzwischen nicht entkräftet werden. Aber diese Feststellung tut der Bereicherung der Fülle verschiedenartiger Traditionen in der Ökumene durch den Schatz der Orthodoxie keinen Abbruch.

Schließlich ist der zweimalige Wechsel Im Generalsekretariat unter den Ursachen der skizzierten Entwicklung zu nennen. Der jetzige Generalsekretär heißt Philip Potter, er ist ein Methodist schwarzer Hautfarbe von der Insel Dominica.

In der ökumenischen Zentrale in Genf ist Wahrheitssuche ohne Vorbedingungen nicht mehr gefragt. Es ist vielmehr eine Ideologie ausgearbeitet worden, zu deren Stützung biblische Zitate herangezogen werden. Der in j den ersten Jahren des ökumenischen Rates geprägte Begriff „Verantwortliche Gesellschaft“ — er sollte christliche Verantwortung für den Nächsten umschreiben — wurde zur Idee einer neuen Weltgesellschaft weiterentwickelt, an der alle Rassen und Nationen ihren Anteil haben sollen und in der jedem einzelnen die Möglichkeit gegeben wird, er selbst zu sein. Diese Gedanken werden ohne ausreichende biblische Fundierung wie eine neue Offenbarung proklamiert; zu ihrer Verwirklichung wird aufgerufen.

Erstes praktisches Ergebnis war das Antirassismusprogramm, in dessen Folge finanzielle Zuwendungen an „Befreiungsbewegungen“ geleistet wurden. Manche europäische Kirche distanzierte sich davon, darunter die evangelische Kirche Österreichs, um mit den von den Gläubigen aufgebrachten Mitteln nicht Bürgerkriege anzufachen.

Eine gefährliche Vermischung von Realität und Illusion hat hier um sich gegriffen: Der deutsche Theologe F. W, Künneth spricht von' der „Einbuße des biblischen und auch des historischen Gespürs“, und der erste Generalsekretär des ökumenischen Rates, der Holländer Willem A. Visser't Hooft, jetzt Ehrenpräsident, immer schon als „blendender Formulierer''bekannt, hat der Generalversammlung in Kenia das Wort mit auf den Weg gegeben, es müsse „eine bessere Balance zwischen dem Engagement für soziale Gerechtigkeit und dem theologischen Auftrag hergestellt werden“.

Ob er daran glaubt, daß seine Mahnung den Trend zur „Veränderung der Gesellschaft“ im ökumenischen Bereich korrigieren kann?

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